Laufzeitverlängerung für belgische AKW: Kernschmelze der Vernunft
Belgien lässt seine Kernkraftwerke länger laufen. Mit Putins Krieg bekommen Atom-und Kohlefreunde neue Scheinargumente. Dagegen müssen wir uns wehren.
A usgerechnet Belgien, das Land der schrottigsten Atomkraftwerke in Westeuropa, will zwei von sieben Reaktorblöcken länger laufen lassen: Kernspaltung frei bis 2035 statt bis 2025. Sogar die Anlage Tihange bei Lüttich mit dem berüchtigten maroden Bröckelreaktor ist dabei, 58 Kilometer Luftlinie von der deutschen Grenze entfernt. Und das alles unter Federführung einer grünen Ministerin.
Verheerende energiepolitische Folgen drohen. Macrons Frankreich will ohnehin kernspalterisch aufrüsten, in Finnland zweifeln die Grünen schon an ihrem Nein zur Nukleartechnologie. Und wenn Tihange (nicht einmal der älteste Reaktorblock) weitermachen darf, dann sind doch die angeblich sicheren deutschen Reaktoren nur sinnvoll, oder? Der Druck auf die grünen Minister:innen Habeck (Wirtschaft) und Lemke (Umwelt) wird steigen: Ihr wollt nicht? Dann halt den Kohleausstieg aussetzen!
Sagen wir es pathetisch: Gerade wird ein Teil der Menschheit klimapolitisch ansatzweise vernünftig. Dann kommt Kriegsverbrecher Putin und gibt den alten Kräften billige Scheinargumente. AKW sind aber nicht das kleinere Übel gegenüber dem Kohlegift. Zusammen bilden sie eine Koalition aus Teufel und Beelzebub.
Wehren wir uns dagegen, gemeinschaftlich – etwa mit sozial abgefederter Sparsamkeit: Wohnungen massiv subventioniert dämmen, zwischenzeitlich Zweitpullover an. Auch Neubauten müssen kuscheln können, also Schluss mit freistehenden Häusern. Die Spritpreise müssen weiter hoch, Tempolimit 30/80/100 sofort. Vielleicht helfen PsychologInnen auf Dauer gegen den Fetisch eigenes Auto. Bis dahin kann man Fahrgemeinschaften auch kommunal organisieren, der ÖPNV gehört hochgetaktet und Tankrabatt-Lindner ins Abklingbecken.
Während der Ölkrise der 1970er Jahre klebten sich viele „Ich bin Energiesparer“ auf die Autos. Und fuhren stolz weiter. Besser wäre es, Energiesparen sexy zu machen. Und statt Frieren für Frieden rhetorisch umframen: Das Auto? Vorgestriger Vollproll. AKW? Teure Billigpornos. Will wirklich niemand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“