Krise der Linkspartei: Ultimatum an Wagenknecht
Bis zum 9. Juni soll Sahra Wagenknecht erklären, ob sie in der Linken bleibt. Dazu haben sie die beiden Parteivorsitzenden aufgefordert.
Seit Monaten denkt die Ex-Bundestagsfraktionschefin lautstark über die Gründung einer neuen Partei nach. Ihr formeller Abschied von der Linken, mit der sie bereits seit Längerem de facto gebrochen hat, gilt nur noch als eine Frage der Zeit. Ein mögliches Szenario ist, dass sie den Bruch nach der Landtagswahl in Hessen im Oktober vollziehen wird. Um, wie von ihrem Umfeld in Planung, ein konkurrierendes Wahlbündnis für die Europawahl im Juni 2024 zu schmieden, würde es für eine Abspaltung allerdings auch noch bis Anfang nächsten Jahres reichen.
Wie das Kaninchen auf die Schlange blickt die schwer kriselnde Linke bisher hilflos auf das Treiben von Wagenknecht und ihren Kombattant:innen. Zwar denkt die Parteispitze um Janine Wissler und Martin Schirdewan intensiv über Gegenstrategien nach, aber viel eingefallen ist ihr noch nicht.
Woran das liegt, darüber gibt jenes Treffen einen Hinweis, über das die Anwesenden öffentlich nicht reden wollen. Nach taz-Informationen traf sich am 25. Mai der geschäftsführende Parteivorstand in der Linken-Zentrale mit Sahra Wagenknecht. Mit dabei waren auch die Bundestagsfraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali.
Ultimatum mit unklaren Konsequenzen
Wie die taz aus Parteikreisen erfuhr, stellten dabei Wissler und Schirdewan Wagenknecht ein Ultimatum: Bis zum 9. Juni, also bis zum kommenden Freitag, solle sie sich erklären, ob sie in der Linkspartei bleiben oder gehen will. Auf der Vorstandssitzung am 10. Juni soll dann über ihre Antwort oder Nichtantwort beraten werden. Unklar ist jedoch, was für Konsequenzen das Gremium ziehen will, falls sich – wie zu erwarten – Wagenknecht nicht zu einem Bekenntnis zur Linken bereitfindet.
Logisch erschiene zum Beispiel, in diesem Fall die Bundestagsfraktion aufzufordern, Wagenknecht aus ihren Reihen auszuschließen, damit sie diese nicht weiter als Plattform für ihre Abspaltungspläne nutzen kann. Doch dazu fehlt der Parteispitze sowohl der Mut als auch die Durchsetzungskraft. Auf dem Treffen soll Bartsch – unterstützt von Mohamed Ali – deutlich gemacht haben, dass nach seiner Auffassung Wagenknecht selbst bei einem Parteiaustritt Mitglied der Fraktion bleiben könne.
Nicht nur in der Partei, sondern auch von Linken-Abgeordneten wird beklagt, das einzige Interesse von Bartsch sei es, auf Biegen und Brechen den Fraktionsstatus zu erhalten – und seine Macht durch die Fortsetzung des Bündnisses mit den Wagenknechtianer:innen zu sichern. Koste es, was es wolle. Für Anfang September ist die Neuwahl des Fraktionsvorstandes terminiert, da braucht Bartsch sie mal wieder.
Weder Schirdewan und Wissler noch Bartsch und Mohamed Ali beantworteten Fragen zu dem klandestinen Treffen und den möglichen Folgen für Wagenknecht. Michael Schlick, der Pressesprecher der Linksfraktion, wollte nicht einmal einräumen, dass das Gespräch überhaupt stattgefunden hat, sondern beschied der taz nur pauschal wie wahrheitswidrig: „Ihre Informationen stimmen nicht.“
Die Parteipressestelle antwortete demgegenüber: „Gerne bestätigen wir Ihnen, dass es ein solches Treffen gegeben hat. Über die dort besprochenen Inhalte können wir leider keine Auskunft geben.“
Problemfall Linksfraktion
Im Konflikt mit Wagenknecht und ihrem Anhang wird die Bundestagsfraktionsspitze zunehmend zu einem Problem für die Linkspartei. Wie es um die Fraktion unter der Führung von Bartsch und Mohamed Ali bestellt ist, darüber gab Cornelia Möhring bei einer Veranstaltung des Netzwerks Progressive Linke am Samstag in Berlin Auskunft.
Eigentlich gebe es keine Fraktion mehr, sondern nur noch eine „Ansammlung“ von Leuten, „wo jede und jeder macht, was er oder sie will“, sagte die 63-jährige Linken-Bundestagsabgeordnete aus Schleswig-Holstein. Da gehe nicht mehr viel zusammen. Der Rolle als linke Opposition würden sie „null gerecht“. Inzwischen glaube sie, „dass wir mit einer Gruppe im Bundestag tatsächlich besser dran wären“, sagte Möhring – und erntete dafür heftigen Applaus.
Dass der jetzige Zustand nicht beibehalten werden kann, darin waren sich die rund 50 Versammelten, darunter mehrere Linken-Landesvorsitzende sowie Bundes-, Landtags- und Kommunalparlamentarier:innen, einig. Die Linkspartei befände sich in einer „existenziellen Krise“ und es bedürfe einer „nachhaltigen Klärung“ des Konflikts mit dem „linkskonservativen“ Lager um Wagenknecht, beschlossen sie.
Der derzeitigen Mehrheit in der Bundestagsfraktion warfen sie vor, sie würde mit ihren Ressourcen jene unterstützen, „die damit unverfroren die programmatischen Positionen der Linken konterkarieren und die Gründung einer konkurrierenden Partei betreiben“. Das müsse aufhören.
Das im vergangenen Dezember gegründete und aus unterschiedlichen Parteiströmungen stammende Netzwerk Progressive Linke hält eine Richtungsentscheidung sowie einen „politischen und programmatischen Neustart“ der Linkspartei auf dem kommenden Bundesparteitag im November für erforderlich. Das sei „die letzte Chance, diesem verheerenden Prozess noch ein unmissverständliches Stoppzeichen entgegenzusetzen“. Möglicherweise ist es bis dahin schon zu spät.
Gegendarstellung von Dr. Dietmar Bartsch, die Linke:
Sie schreiben über ein Treffen des Geschäftsführenden Parteivorstandes in der Linken-Zentrale mit Sahra Wagenknecht sowie Frau Mohamed Ali und mir: „… soll Bartsch … deutlich gemacht haben, dass nach seiner Auffassung Wagenknecht selbst bei einem Parteiaustritt Mitglied der Fraktion bleiben könne.“ Das ist falsch. Das habe ich nicht gesagt.
Die Redaktion ist zum Abdruck der Gegendarstellung verpflichtet, unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt. d. R. 13.06.2023
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