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Kriminologe über schießende Polizisten„Es wird nicht gelehrt wegzugehen“

In Niedersachsen hat die Polizei einen Geflüchteten erschossen. Der Polizeiforscher Rafael Behr spricht über Defizite in der Ausbildung.

Ein Polizist übt das Schießen Foto: Christoph Gateau/dpa

Interview von Juliane Preiß

taz: Herr Behr, mehrere Schüsse klingt nicht nach Notwehr.

Rafael Behr: In der Ausbildung lernen Po­li­zis­t*in­nen zumindest zwei Schüsse abzugeben, sogenannte Dubletten. Zwei oder drei Schüsse sind durchaus noch nachvollziehbar, wenn es mehr sind, muss man sich fragen, ob derjenige die Kontrolle über die Situation hatte.

Warum wird auf den Körper des Angreifers gezielt?

Man unterscheidet Schüsse nach dem Polizeirecht, auf die Extremitäten, die nicht tödlich sein dürfen, und Schüsse in Notwehr, die auf den Körper abgegeben werden dürfen und den Gegenüber im schlimmsten Fall töten.

Wie definiert man Notwehr für die Polizei?

Notwehr ist juristisch dann gegeben, wenn ein unmittelbar bevorstehender Angriff auf das Leben oder die Gesundheit abzuwehren ist. Und Polizisten, die dazu da sind, Gefahren abzuwehren, gibt es nicht die Möglichkeit zu flüchten oder sich defensiv zu verhalten. Das heißt, Po­li­zei­be­am­t*in­nen begeben sich berufsbedingt öfter in Gefahrensituationen, wo sie eventuell von ihrem Notwehrrecht Gebrauch machen müssen. Und etwas kommt noch hinzu: Viele Polizisten, in der Regel männliche, arbeiten in einem sogenannten Überwältigungsdispositiv, sie bringen sich häufiger in Notwehrsituationen. Sie sind gewohnt anzugreifen und nicht abzuwarten. Die Kultur der Überwältigung ist tief in die Polizistenkultur eingeflochten. Es wird nicht gelehrt wegzugehen, sondern zuzupacken. Das wird dann zum Problem, wenn dieses Verhalten zur Routine wird und den Raum der Verhältnismäßigkeit verlässt.

Im Interview: Rafael Behr

der Kriminologie war zuletzt Professor für Polizeiwissenschaften mit den Schwerpunkten Kriminologie und Soziologie an der Polizeikademie Hamburg. 2024 ging er in den Ruhestand.

Lernt man Verhältnismäßigkeit in der Ausbildung?

In der Ausbildung lernen die Po­li­zis­t*in­nen Entscheidungen zu treffen. Schießen, nicht Schießen. Es werden Fallkonstellationen unter Laborbedingungen trainiert. Es gibt Schießkinos, wo die Po­li­zis­t*in­nen in filmischen Situationen lernen sollen, schnelle Entscheidungen zu treffen. Dafür werden Bilder gewählt, die eindeutig sind. Zum Beispiel, großer Mann mit einer Axt oder Frau mit Kinderwagen. Die Wirklichkeit ist selten so eindeutig. Ich will die Polizisten nicht in Schutz nehmen, aber manchmal ist es schwierig, Situationen eindeutig zu bewerten.

Was lernen Po­li­zis­t*in­nen in der Ausbildung über den Umgang mit psychisch erkrankten Personen?

Psychische Erkrankungen sind in der Theorie ein Thema, geübt wird der Umgang mit solchen Personen nicht. Im Einsatz steht meist der gefährliche Mensch im Mittelpunkt, der Angreifer, und nicht der kranke Mensch. Hier besteht ein Defizit.

Wo sehen Sie in der Ausbildung Handlungsbedarf?

Die Ausbildung läuft immer darauf hinaus, dass die Polizei als Sieger vom Platz geht. Die Simulationen zielen auf ein erfolgreiches Ende. Und wenn es nicht erfolgreich ist, unterbricht der Ausbilder die Übung und sagt: Versuch es nochmal. Das Bewusstsein, dass man auch mal scheitern muss, ist ganz gering ausgeprägt. Eine Fehlerkultur gibt es so gut wie nicht.

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14 Kommentare

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  • Die wichtigste Passage des ganzen Interviews ist wohl diese: „Viele Polizisten, in der Regel männliche, arbeiten in einem sogenannten Überwältigungsdispositiv, sie bringen sich häufiger in Notwehrsituationen. Sie sind gewohnt anzugreifen und nicht abzuwarten. Die Kultur der Überwältigung ist tief in die Polizistenkultur eingeflochten. Es wird nicht gelehrt wegzugehen, sondern zuzupacken.“







    In eine verständliche Alltagssprache übersetzt bedeutet das: Vor allem männliche Polizisten führen Situationen, in denen sie ihre Waffe einsetzen dürfen, absichtlich herbei. Sie eskalieren ohne Not, bis sie zeigen können, was sie gelernt haben. Weil sie es dürfen. Weil sie es wollen.







    Stellen wir uns folgende Situation vor: Ein Mensch mit schwachen Nerven fühlt sich von lauter Musik aus der Nachbarwohnung genervt. Statt nun zur Nachbartür zu gehen, zu klingeln und um Ruhe zu bitten, ruft er die Polizei. Dann verschanzt er sich in seiner Wohnung und beobachtet durch den Spion was passiert. Auftritt Polizei. Er klingelt, seine Kollegin steht hinter ihm. Die Tür geht auf. Ein angetrunkener Mensch, Typ „Gefährder“ öffnet. Die Polizisten wollen seinen Ausweis sehen. Der Typ lässt die Tür offen und geht den Ausweis holen. Die Polizisten folgen ihm. Der Angetrunkene will nun den Ausweis des Polizisten sehen. Der Polizist hält den Ausweis so, dass der Betrunkene ihn nicht gut lesen kann. Der Mann streckt die Hand aus und will den Ausweis zu sich heran ziehen. Der Polizist interpretiert das als Angriff. Statt zwei Schritte zurück zu treten, tritt er einen Schritt vor und nimmt den Musikliebhaber in den Schwitzkasten. Der Angetrunkene reagiert über und beißt den Polizisten im Affekt in den Arm oder tritt ihm abs Bein. Das nimmt der Polizist zum Anlass, den anderen zu Boden zu bringen und seine Waffe zu ziehen. Ein Schuss löst sich. Ein Mann ist tot und ein anderer hat vor Gericht eine Zeugin, die beeidet, dass der Kollege in Notwehr gehandelt hat. Und nun: Finde den Fehler.

  • " Im Einsatz steht meist der gefährliche Mensch im Mittelpunkt, der Angreifer, und nicht der kranke Mensch. Hier besteht ein Defizit." Dafür bedarf es vor Gericht meißt mehrerer medizinischer Gutachten. Und selbst wenn das schon einmal amtlich festgestellt wurde, auf der Straße können Polizisten das nicht auf die Schnelle in einer Notsituation erkennen. Das ist nicht schwierig, Herr Behr, das ist unmöglich.

    • @Lars B.:

      Ich denke, gemeint sind die Fälle, bei denen von vornherein die psychische Störung/Erkrankung bekannt ist, wie z.B. bei der Durchführung eines Unterbringungsbeschlusses etc.

      Es wird seit langem auf verschiedenen Ebenen darüber gestritten, ob in solchen Fällen Fachpersonal z.B. vom Psychologischen Dienst hinzugezogen werden sollte oder nicht. Da es keine rechtsverbindliche Regelung dazu gibt, begeben sich die Polizisten meist allein in solche Konfliktsituationen. Dies darf durchaus kritisch hinterfragt werden, auch wenn eine praktikable Lösung bislang nicht in Sicht ist (der P.D. oder psych. Fachpersonal ist z.B. in der Nacht häufig nicht erreichbar, für ein Hinzuziehen werden von Seiten des P.D. häufig bis zu einige Stunden Vorlaufzeit gefordert etc.).

  • Wie weit ist weggehen von wegsehen entfernt?



    Aus meiner Sicht führt beides zum Scheitern einer sozialen Gesellschaft.

    • @alterego:

      Das sehe ich anders.

      Im Notwehrrecht ist die sog. "sozialethische Einschränkung" derselben mittlerweile allgemein anerkannt. D.h., in bestimmten Konstellationen, die dem Notwehrrecht entsprechen, ist der Notwehrleistende angehalten, zunächst eine zurückhaltende Gegenwehr durchzuführen. Laut herrschender Meinung ergibt sich dies aus dem Tatbestandsmerkmal der Gebotenheit (§ 32: "Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist...").

      Theoretisch ist auch der Diebstahl eines Kaugummis ein Angriff auf die Rechtsordnung und somit notwehrfähig - doch niemand würde von der Polizei erwarten oder es als erlaubt betrachten, wenn auf einen Kaugummi-Dieb zur Verhinderung der Flucht geschossen wird. Dies gilt allgemein auch für psychisch auffällige/kranke Personen, schließlich sind sie oftmals nicht schuldfähig und daher auch nicht Täter im Sinne des Strafrechts, er will die Rechtsordnung ja eigentlich gar nicht angreifen und daher muss sie (genau wie bei Kindern) auch nicht mit aller Macht verteidigt werden. Ein sich Zurückziehen der Beamten bei gleichzeitiger Sicherung der Situation bzw. der Allgemeinheit ist daher auf jeden Fall rechtlich möglich und zumeist sogar angemessen.

    • @alterego:

      Und eine Gesellschaft in der die Polizei aus den im Interview erläuterten Gründen von nach Schema F in die Eskalation einsteigt und zwar soweit, dass es dabei auch zu Toten kommt wäre demnach 'erfolgreich'? Oder wäre nicht eher der Grad an Humanität und Zivilisiertheit ein Indikator für Scheitern oder Erfolg einer Gesellschaft und zwar auch und gerade dort wo der Staat den Bürger*innen mit Hard Power entgegentritt.

  • Rafael Behr sagt es:



    "Psychische Erkrankungen sind in der Theorie ein Thema, geübt wird der Umgang mit solchen Personen nicht. Im Einsatz steht meist der gefährliche Mensch im Mittelpunkt, der Angreifer, und nicht der kranke Mensch. Hier besteht ein Defizit."



    und von der Erfahrung mit Polizei und Militär in den Herkunftsländern:



    Gelüchtete kennen sich nicht aus hier.



    Beide Seiten kennen nicht die Dosierungsmöglichkeiten. So kommt es zur maximalen Eskalation und die Polizei siegt.

    • @nzuli sana:

      Ich habe nicht verstanden, weshalb Sie jetzt eine dritte Seite "Geflüchtete" aufmachen.

  • Ein Polizist, der in einer Notwehrsituation scheitert ist tot oder schwerverletzt. Wie häufig soll ein Polizist in der Praxis dann scheitern müssen.

    • @DiMa:

      Das Interview ist passagenweise dann doch etwas abschweifend, das stimmt wohl.



      Was Herr Behr aber schon in verschiedenen Interviews angesprochen hat und wohl auch hier vertritt: es mangelt (in Umfang, realistischer und reflektierter Darstellung etc.) an tatsächlicher Ausbildung zur Deeskalation von Konflikten, damit vielleicht ein Teil der Notwehrsituationen gar nicht erst zu solchen werden müssen.

  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    "Das Bewusstsein, dass man auch mal scheitern muss, ist ganz gering ausgeprägt."

    Und wenn scheitern bedeutet, das jemand anders ein unschuldiges Opfer wird?

    • @02854 (Profil gelöscht):

      Danke. Daß Sie den Satz a.E. aufspießen.



      Er ist mir auch aufgestoßen. But.

      Das - insbesondere “scheitern“ aber nicht Ihren & den ähnlichen Gründen Ihres Vorredners @DIMA. Denn.



      Denn nach dem ganzen Beitrag - dem Hinweis „…als Sieger vom Platz gehen…“ - vor allem “… Es wird nicht gelehrt wegzugehen, sondern zuzupacken. Das wird dann zum Problem, wenn dieses Verhalten zur Routine wird und den Raum der Verhältnismäßigkeit verlässt.“



      Halte diesen Abschlußsatz - die Wortwahl “scheiten“ - für mißlungen - ja das Vorstehende konterkarierend.

      kurz - Weggehen - Zurückgehen - Raumgeben - den Raum der Verhältnismäßig NICHT verlassen! - wie ja von diesem Verfassungsgrundsatz ausdrücklich gefordert* ist eben gerade:



      KEIN SCHEITERN •

      unterm—— * btw but not only —



      Darin liegt die atemlos machende Hirnrissigkeit eines MP Kretsche mit seiner Pandemie-Notstandverfassung.



      In der den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit - glatt verfassungswidrig - zur Disposition gestellt sehen will. Abgefeiert hier von ahnungslosen tazis & befeuert von Udo Knapp!



      Halleluja & Herr wirf 🧠 vom Himmel!



      Dank im Voraus • Gellewelle =>



      “ Die Grünen und die Freiheit



      : Ökodiktator Kretschmann?



      Baden-Württembergs Grüner Ministerpräsident hat für die Zukunft ein Pandemie-Notstandsgesetz vorgeschlagen. Damit wolle er die Ökodiktatur vorbereiten, rufen die Freiheitsrhetoriker. Denken wir das mal durch.“



      taz.de/Die-Gruenen...Freiheit/!5784316/ & O-Ton Kretsche =>



      “ „Wir brauchen für Pandemien ein eigenes Regime. (…) Meine These lautet: Wenn wir frühzeitige Maßnahmen gegen die Pandemie ergreifen können, die sehr hart und womöglich zu diesem Zeitpunkt nicht verhältnismäßig gegenüber den Bürgern sind, dann könnten wir eine Pandemie schnell in die Knie zwingen. (…) …“

      kurz - So redet ein Persetter ein Pauker ohne Ahnung - als eine losgerissene Kanone aus K&K-Schrägschisserzeit •

    • @02854 (Profil gelöscht):

      Mir hätte da mal der Bezug zum konkreten Fall gefreut. Sagen wir mal die Polizei, die wohl gerufen wurde, um die Gefahr, die von der Person ausging, zu abzustellen, geht wieder, weil ihr die Situation zu heiß erscheint. Was wären dann die nächsten Schritte gewesen, um der Situation Herr zu werden. Oder anders gefragt: Ist die Polizei bei diesem Einsatz wirklich so vorgegangen, wie es vom Wissenschaftler als falsches Vorgehen beschrieben wurde?

      • @FancyBeard:

        Young man. Bin ich Jesus? Wachsen mir Haare auffe Brust? Eben.

        “LOWANDORDER gestern, 10:35



        @SWISS39 Junger Mann. Nix is klar.



        Wir waren alle nicht dabei & wissen nichts genaues •



        Entlarvend aber ist Ihr - bar jeglicher Empathie mit einem Toten - letztes:

        “… und der Tote selber schuld.“

        Geht’s noch!



        unterm—— btw servíce —

        Mit Jura & ähnlich filigranen Dingen -solltens sich besser nicht beschäftigen.

        Da liegt kein Segen drauf •

        Dank im Voraus“



        taz.de/Toedlicher-...rsachsen/!5801600/

        kurz - Habe als Jurist/Richter früh gelernt - mich nicht an Spekulatius zu beteiligen. Das lockt vllt - verwirrt aber nur. Einen “festgestellten Sachverhalt“ - wie er notwendig ist für weiteres Durchdenken & ggfls Entscheiden - liegt nicht vor •

        kurz - Allgemeine Gedanken ja -



        &



        Wie hier: Ausbildungsdefizite anmahnen! Immer!



        &



        Ansonsten - 🧠 lüften. Newahr.



        Normal • Und gut is.