Israels Kriegsführung in Gaza: Echte Hungerhilfe geht anders
Die Palästinenser sind zu hundert Prozent von akutem Hunger bedroht. Israel nutzt minimalistische Hilfe indes als Machtinstrument.
H ilfe für hungernde Zivilpersonen in einer Kampfzone ist enorm schwierig, aber die weltweit entwickelten Grundsätze dafür sind keine Zauberei. Hungerhilfe muss Bedürftige direkt erreichen, ihre Verteilung muss neutral bleiben und darf keiner Willkür unterliegen, sie muss unabhängig von den Kriegsparteien und ohne Militarisierung geleistet werden.
Was Israel im Gazastreifen veranstaltet, spricht all diesen Prinzipien Hohn. Seit drei Monaten sind die Grenzen des Gebietes komplett geschlossen. Es kommt für die rund noch 2,1 Millionen Bewohner – es waren einmal 2,3 Millionen – nichts mehr zu essen hinein; was vorhanden war, wurde immer rarer und diente Israel, Hamas und kriminellen Banden zunehmend als Instrument der Begünstigung.
Mitte Mai erreichte der Anteil der Bevölkerung unter akutem Hunger nach UN-Erhebungen 100 Prozent. Da hob Israel ein neues System aus dem Boden: Eine private Stiftung sollte in den Worten von Israels Ministerpräsident Netanyahu „minimale“ Hilfe leisten, also gerade mal so viel, dass die Leute nicht alle verhungern.
Es funktioniert nicht, und wahrscheinlich soll es auch gar nicht funktionieren. Die Hilfe kommt nicht zu den Menschen, sondern Menschen sollen zu Sammelstellen kommen. Wenn sie sich zu Tausenden drängeln, kommt es unweigerlich zu Tumult, Israels Armee eröffnet das Feuer, inzwischen werden regelrechte Massaker gemeldet.
Die Hilfspakete erhält sowieso nur, wer die israelische Sicherheitsschleuse passiert, aber die meisten kommen gar nicht so weit. Israel macht Hungerhilfe zum Gnadenakt für Auserwählte.
Die Rechtfertigung, man müsse Diebstahl durch die Hamas verhindern, ist lächerlich, denn was mit diesen Hilfsgütern passiert, ist noch viel unklarer als bei regulären UN-Hilfsaktionen – ebenso, ob irgendetwas bei den Schwachen und Kranken ankommt. Zugleich gehen Kämpfe und Luftangriffe weiter.
Direkt jenseits der Grenze, in Israel, gibt es Nahrung in Hülle und Fülle. Direkt an der Grenze, unter israelischer Kontrolle, wartet eine komplette UN-Infrastruktur mit fähigen Helfern. Sie wissen genau, wie man Bedarfe ermittelt und wie man Bedürftige erreicht, ohne dass eine Kriegspartei profitiert.
Dass sie das nicht dürfen, ist eine politische Entscheidung, für die es nur zwei denkbare Gründe gibt. Entweder Israel ist die unfähigste Nation der Welt – dann sollte das dringend jemand anderes machen. Oder Israel macht das bewusst – dann bleibt nur der Schluss, dass das Überleben der palästinensischen Bevölkerung gar nicht gewollt ist.
Dummheit oder Völkermord? Man kann nur hoffen, dass es in Israel noch Augenmaß für einen dritten, menschlichen Weg gibt.
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