Kommentar Glyphosat-Entscheidung: Mitgift für die Große Koalition
Deutschland hat trotz Absprachen zwischen Union und SPD der Verlängerung der Glyphosatzulassung zugestimmt. Dreistigkeit darf nicht siegen.
W enn man das Einhalten von Regeln und Absprachen als bürgerliche Tugend betrachtet, dann hat sich die CSU am Montag endgültig aus dem Kreis der bürgerlichen Parteien verabschiedet. Gegen das erklärte Votum von SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks hat das von CSU-Mann Christian Schmidt geführte Landwirtschaftsministerium in Brüssel für die Verlängerung der Genehmigung für das umstrittene Ackergift Glyphosat gestimmt – und damit erst eine Mehrheit unter den EU-Staaten ermöglicht.
Dabei sind die Regularien der Bundesregierung klar: Wenn sich das Kabinett nicht einigen kann, muss sich Deutschland in Brüssel enthalten. Darüber hat sich Schmidt einfach hinweggesetzt – wohl in der Annahme, dass ihm die Dankbarkeit der Agrarindustrie mehr nützt, als ihm der Ärger der Bevölkerung schadet. Und mutmaßlich in der Hoffnung, dass dieses Vorgehen bei einer Regierung, die ohnehin nur noch geschäftsführend im Amt ist, keine großen Konsequenzen haben wird.
Doch damit dürfte er sich verrechnet haben. Wenn die SPD noch irgendeine Form der Selbstachtung hat, muss sie darauf bestehen, dass Schmidt als Minister zurücktritt, bevor auch nur ein weiterer Gedanke an eine neue Große Koalition verschwendet wird. Und wenn schon die Entscheidung auf EU-Ebene durch das dreiste Vorgehen des CSU-Manns gegen den erklärten Willen der SPD gefallen ist, müssen die Sozialdemokraten nun dafür sorgen, dass Glyphosat zumindest in Deutschland verboten wird.
SPD-Umweltministerin Hendricks hat sich schließlich aus gutem Grund gegen das Pestizid ausgesprochen: Es spielt nicht nur eine wichtige Rolle beim Rückgang der Artenvielfalt, sondern wird von der Internationalen Krebsforschungsagentur der WHO als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Zudem sind Alternativen vorhanden; nicht zuletzt lehnt eine breite Mehrheit in der Bevölkerung den Einsatz des Giftes ab.
Der Protest der Sozialdemokraten gegen die regelwidrige Entscheidung des Agrarministers darf darum nicht nur eine kurze Protokollnotiz bleiben, sondern muss tatsächlich Konsequenzen haben. Eine erneute Große Koalition mit einem vertragsbrüchigen Partner darf es nur geben, wenn dieser für sein Handeln zur Rechenschaft gezogen wird und dessen Folgen so weit wie möglich entschärft werden.
Falls die SPD trotz dieses bewussten Affronts durch die Union zur Tagesordnung übergeht und Koalitionsgespräche beginnt, trägt sie die Entscheidung faktisch mit – und braucht dann ihrerseits nicht mehr über Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit zu reden.
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