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Klimaproteste und VerantwortungSolange ihr blockt, blockieren wir

Ziviler Ungehorsam sei undemokratisch, sagen Politiker*innen. Un­se­r*e Au­to­r*in findet: Undemokratisch ist, wenn die Regierung Klimagesetze bricht.

Halten zusammen: Klimaaktivst:in­nen bei einer Sitzblockade vor dem Berliner Hauptbahnhof im Dezember Foto: Florian Boillot

A ls wir das letzte Mal versuchten, ganz Berlin lahmzulegen, um auf den Klimanotstand hinzuweisen, kettete ich mich an eine Leitplanke. Das war 2019, Extinction Rebellion blockierte über eine Woche verteilt Plätze, Straßen, Gebäude und Brücken. Polizisten mussten die Leitplanke auseinanderschrauben, um uns Ak­ti­vis­t*in­nen abzuführen.

Aktionen wie diese stehen nun wieder an und mehr denn je werden Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen wie ich dafür getadelt, gegen Gesetze zu verstoßen, wenn sie sich zum Beispiel an die Straße kleben. Das Absurde daran ist: Während Po­li­ti­ke­r*in­nen so etwas sagen, bricht die Bundesregierung genau jene Gesetze, die die Einhaltung der Verpflichtungen im Klimaschutz sicherstellen sollen. Aber wir jungen Menschen sollen Vertrauen in das Versprechen von Rechtsstaat und Demokratie haben?

Was mir mit Blick auf die Klimakrise am meisten zusetzt, ist nicht die Enttäuschung darüber, dass die Ampel hinter ihrem Klimaversprechen zurückbleibt, wie es der Kli­ma­ex­per­t*in­nen­rat nun wieder erklärt hat. Dass die Politik nicht tut, was sie tun müsste, ist bitter – aber auf traurige Weise auch Normalität geworden. Niemand, den ich kenne, erwartet eine energiepolitische Kehrtwende, weil die SPD Plakate mit Slogans wie „Klimakanzler“ druckt.

Was aber schmerzt, ist, wenn das Gefühl entsteht, es ginge nicht nur langsam vorwärts, sondern eigentlich rückwärts. Und diesen Eindruck habe nicht nur ich, sondern viele junge Menschen um mich herum.

Erst kürzlich wurde das eigentlich schon beschlossene Verbrenner-Aus ab 2035 aufgeweicht – damit die ­E-Fuels auch noch irgendwie vorkommen. Dass es in absehbarer Zeit keinen relevanten Markt dafür geben wird? Dass die Physik klare Grenzen hat, was den Wirkungsgrad dieser Technologien angeht? Völlig egal.

Phantasielösungen für eine Wunschwirklichkeit

Es geht in dieser Debatte schon lange nicht mehr um tatsächliche Lösungen für die Klimakrise unter den Parametern der Wirklichkeit, sondern um abstrakte Lösungen, die innerhalb von Wunschparametern in einer Wunschwirklichkeit funktionieren. All das konnte man noch als Kränkung dieser Menschen von der Wirklichkeit abtun – und die daraus entstehenden Zaubertechnologien als Versuch einer Befriedung jener Kränkung.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Was nun aber im Verkehrsministerium passiert, ist nicht mehr bloß der Kampf von Wirklichkeitsgekränkten. Es macht mich wütend. Das Klimaschutzgesetz wird so geändert, dass die einzelnen Sektoren keine eigenen Klimaziele mehr haben. Frei nach dem Motto: Wir können die Klimaziele nicht verfehlen, wenn es keine Ziele gibt. Und als Krönung soll sogar rückwirkend das Verkehrsministerium von Volker Wissing von Anforderungen befreit werden, die das geltende Klimaschutzgesetz vorsieht. Wie bitte?

Und das in einer Zeit, in der Ak­ti­vis­t*in­nen bei zivilem Ungehorsam der mahnende Zeigefinger vorgehalten wird! Der Tenor lautet dann: Wir, die Demokratie, sind auf solche Protestmittel nicht angewiesen. Wir haben andere Wege: Regeln und Gesetze.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Ich bin Teil dieser parlamentarischen Demokratie und engagiere mich kommunalpolitisch. Ich habe immer geglaubt, dass es sich lohnt, für Recht und Gesetz beim Klimaschutz zu streiten. Aber wie sollen junge Menschen davon überzeugt werden, sich nicht auf die Straße zu kleben, wenn Po­lit­ike­r*in­nen parallel sagen: Sorry, das Klimaschutzgesetz gilt jetzt nicht mehr, weil sonst würde der Volker ja dagegen verstoßen. Das ist Arbeitsverweigerung. Und solange ihr blockiert, blockieren wir deswegen auch.

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10 Kommentare

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  • Windkraft, Solarenergie, wenn es denn so einfach wäre. Vergessen wird das Artensterben, das bei dem ungehemmten Ausbau erneuerbarer Energie, wie "Klimakanzler"Scholz fordert, leider fortschreiten. Und schade, nicht eine*r der KommentatorInnen erwähnt Energiesparen. Wir können den jetzigen und immer noch steigenden Energieverbrauch nicht mit den erneuerbaren abdecken. Das wäre Wahnsinn! Aber bewusster Verbrauch ist offensichtlich nicht In oder nicht gewollt. Wie bei dem Sektor Verkehr. Zu den Fuels, dessen Klimabilanz ist grottenschlecht, darauf zu setzen ist Dinosauriermässig. Ich finde es schade, dass die LG so wenig Gehör findet. Klar polarisieren sie, dass haben wir in Wackersdorf und Brokdorf auch getan. Und, wo wären wir heute? Mit Sicherheit nicht bei WKA und PV

  • Die Ziele haben sich nicht geändert, nur die Überprüfung der einzelnen Sektoren.



    Es ist schade, wenn Falschmeldungen Mantraartig wiederholt werden.



    Natürlich ist das ein Entgegenkommen der FDP gegenüber, die Ihr schlechtes Image loswerden wollte .



    Eine Koalition bedarf gegenseitigenEntgegenkommens.



    Die Zielvorgabe ist allerdings nicht aufgegeben.



    E- Fuels betreffend ist einerseits klar, dass es eine derartige Alternative für große Maschinen, Schiffe und Flugzeuge geben muss. Eine Entwicklung in dieser Hinsicht ist also sinnvoll. Im PKW Bereich glaube ich allerdings nicht, dass diese Möglichkeit großartig genutzt werden wird. Die Autoindustrie müsste hier zwei Techniken parallel vorantreiben.



    Da Firmen neben Investitionen in Entwicklung auch noch Geld verdienen wollen, warum sollten sie das tun?



    Es wurde viel Geld in elektrotechnische Entwicklung gesteckt, da liegt die Zukunft. Die e fuel Idee ist ebenfalls ein Zückerchen für die FDP, ohne große Relevanz.



    Das Gefühl eines Rückschritts ist einfach falsch.



    Die Wärmewende wird massiv subventioniert,



    Der Windkraftausbau erleichtert.



    Bürger und Firmen investieren in Photovoltaik.



    Die Steigerungszahlen im letzten Jahr belegen, dass die Regenerativen Energien signifikant zulegen. Die Vereinfachung der Genehmigungen hat zu einem starken Anstieg des Windkraftausbaus im ersten Quartal dieses Jahres geführt.



    Das sind Fakten, die auf den Seiten des Bundes nachgelesen werden können.



    Was derzeit geschieht, ist , dass Einige die Tatsachen ignorieren und behaupten, Ihre Zukunft werde zerstört.



    Gerne wiederholen ich mich: baut Eure Zukunft selbst!



    Nehmt die offenen Stellen in der Windkraft, dem Bau von Wärmepumpen, montiert Photovoltaik Anlagen mit!



    Dämmt Häuser!



    Es gibt im Handwerk und der Industrie gerade Viel für Umwelt und Klimaschutz zu tun .



    Die Kunden stehen Schlange.



    Woran es fehlt sind Arbeiterinnen und Arbeiter.



    Zeigt nicht mit den Fingern auf Andere,



    sondern macht einfach mal Selber!

  • "Phantasielösungen für eine Wunschwirklichkeit"



    Davon haben wir wahrlich genug.



    Ich warte auf technisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich praktikable Lösungsvorschläge für die reale Wirklichkeit.

  • Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.

  • Auf vielen Feldern begeht die Politik inzwischen Arbeitsverweigerung. Geltende Gesetze werden nicht umgesetzt und bei Notständen sieht man oft keinen Handlungsbedarf. Rechtliche "Werkzeuge" werden ohne Not aus der Hand gelegt.



    Wie viele EU-Verfahren wegen Nichtumsetzung, gerade in Arten- und Klimaschutzbelangen, sind inzwischen gegen Deutschland anhängig?



    Da die Politik immer mehr den Eindruck erweckt, es mit der "Weiter-So-Gesellschaft" auf keinen Fall verderben zu wollen, darf es nicht überraschen, wenn Menschen, die den Klimawandel ernstnehmen, zu Protestformen greifen, die nicht im stillen Kämmerlein stattfinden und niemanden stören. Man "will die Menschen mitnehmen", heißt es. Gilt scheinbar nicht für jene, die sich seit Jahren für Natur- und Umweltschutz einsetzen, wie es scheint.

  • Da erübrigt sich ein kritischer Kommentar. Weiter so!

  • Die LG würde die Gesellschaft spalten heißt es..

    Nun...der wahre Spalt liegt in der immer dynamischer werdenden Geophysikalischen Dynamik und dem was in der (vorgestellten) Realität dieser Gesellschaft davon angekommen ist.. bisher.

    Oder einfacher ausgedrückt die Spaltung ist schon lange vorhanden..und seit dem Club of Rome Bericht bekannt.. Nur ist sie halt verharmlost, geleugnet oder vergessen- und eben dadurch immer größer geworden.

    Unter anderem deswegen stehen wir jetzt am Beginn einer neuen Phase der Klima Dynamik, nämlich kurz vorm auslösen diverser Kipppunkte, die das Geschehen noch dynamischer und damit potenziell noch katastrophaler machen.

    DAS ist die Wirklichkeit..und die Aktivisten haben das verstanden.

    Die eigentliche Spaltung liegt also darin, dass sich die Mehrheit immer noch (also implizit: immer mehr) von der Geophysikalischen Wirklichkeit abspaltet.

    Aber leider läßt sich die physikalische Wirklichkeit nun mal nicht beschwichtigen, auch dann nicht, wenn man den Kopf in den Sand steckt und hofft, daß sie dann verschwindet.

    Und genau deshalb haben die Aktivisten recht und ihre Aktionen sind absolut legitim und notwendig.

    Und weil das so ist, werden die Aktionen auch nicht aufhören.

    Selbst wenn man alle Aktivisten für immer weg sperren würde, würde das den Spalt nicht beseitgen und es würden neue Aktionen beginnen.

    Nein..wenn die Spaltung enden soll, kann dies nur geschehen, indem man die Situation versteht, ernst nimmt und angemessen darauf reagiert..

    Wenn die Regierung also die Spaltung beenden will, dann möge sie danach handeln. Und ein erster gutet Schritt wäre: mit den Aktivisten zu sprechen und ihnen wirklich zuzuhören..denn die Aktivisten und mit ihnen ein großer Teil der jungen Generation sind eben die ersten die die physikalische Wirklichkeit tatsächlich verstanden haben..

  • Die Lösung ist ja einfach, damit die Regierung nicht mehr gegen Gesetze verstösst: Klimaabkommen kündigen. Entsprechend umsetzen. Schon ist der Rechtsfrieden wieder hergestellt.

    Ist das die bessere Lösung?

  • Ich habe allmählich den Eindruck, dass alles zum Thema gesagt ist. Die einen finden's gut, die anderen nicht. Die Aktionen werden weitergehen, irgendwann werden sie eskalieren. Die einen werden die Schuld der Polizei geben, die anderen den Aktivisten...

  • Keine Einsicht ist auch eine Einsicht. Gilt gleichermaßen für Aktivisten und Politiker. Leiden tut unter beiden der Biederbürger.