Kardinal Marx über sexuellen Missbrauch: Erschütterung als Dauerzustand

Es reicht nicht, sich bei den Opfern zu entschuldigen. Die Kirche muss sich reformieren und Konsequenzen ziehen.

Portrait von Kardinal Marx

Ist wieder und wieder erschüttert: Kardnal Marx Foto: Felix Hörhager/dpa

Wie oft kann ein Mensch erschüttert sein? Für Kardinal Reinhard Marx ist dies wohl ein Dauerzustand. So auch an diesem Donnerstag, als er das 1.900 Seiten starke Gutachten zu sexualisierter Gewalt im Erzbistum München und Freising kommentiert. Marx ist wieder erschüttert, wieder erschrocken, wieder betroffen. Wieder entschuldigt er sich bei den Opfern sexualisierter Gewalt, für Taten, die ihnen Vertreter der katholischen Kirche angetan haben. Marx übernimmt moralische Verantwortung dafür, dass er ihr Leid übersehen hat.

Eine Woche ist es her, dass die Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl ein Gutachten vorgestellt hat, in dem es Hinweise auf mehr als 200 Tä­te­r:in­nen gibt. Die Mehrheit sind katholische Priester, die über Jahre hinweg nahezu unbehelligt Kindern und Jugendlichen Gewalt antun konnten. Marx spricht von einem „Desaster“, von einer „dunklen Seite“, die Teil der Geschichte des Erzbistums sei. Auch das klingt nach Wiederholung.

Natürlich will Marx aufklären, innerhalb der Kirche gemeinsam mit den Betroffenen. Personelle Konsequenzen für sich sieht er nicht. Bereits 2021 hatte er seinen Rücktritt bei Papst Franziskus eingereicht. Dieser lehnte ab, Marx bleibt. Jetzt wartet er auf mehr Akten und Einschätzungen. Vor allem vom emeritierten Papst Benedikt. Dieser äußerte sich auf rund 80 Seiten im Gutachten. Marx lässt sich aber nicht zu einem Urteil über den Ex-Papst hinreißen und verweist darauf, dass ihm dazu die „fachliche Expertise“ fehle. Es bleibt der fahle Geschmack von Vertuschung, von der Ahnung, dass die Täter und diejenigen, die sie deckten, unantastbar bleiben.

„Es gibt keine Zukunft des Christentums in unserem Land, ohne eine erneuerte Kirche.“ Dies ist einer der wenigen Sätze des Kardinals, der von minimaler Selbsterkenntnis zeugt. Es brodelt in den Gemeinden. Wütend sind die, die aus Überzeugung seit Jahren für die Kirche arbeiten. Es geht um mehr als um Kirchenaustritte. Es geht um die Restglaubwürdigkeit einer Institution. Erschütterung rettet sie nicht, vielleicht ein Schuldeingeständnis mit juristischen und personellen Folgen.

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Schreibt seit 2016 für die taz. Themen: Außen- und Sicherheitspolitik, Entwicklungszusammenarbeit, früher auch Digitalisierung. Seit März 2024 im Ressort ausland der taz, zuständig für EU, Nato und UN. Davor Ressortleiterin Inland, sowie mehrere Jahre auch Themenchefin im Regie-Ressort.

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