Juraprofessorin zur Letzten Generation: „Das Strafrecht ist keine Lösung“

Die Politik sollte auf die Letzte Generation zugehen, sagt Katrin Höffler. Die Professorin für Strafrecht warnt vor einer Eskalationsspirale.

Straßenblockade von Aktivist:innen.

Aufeinander zugehen: Straßenblockade in Berlin am 24. November Foto: Letzte Generation/reuters

taz: Frau Katrin Höffler, standen Sie schon einmal wegen der Straßenblockaden der Letzten Generation im Stau?

Katrin Höffler: Ich selber noch nicht. Ich bin eine ängstliche Autofahrerin und bin deshalb fast nur mit dem Fahrrad unterwegs (lacht). Mein Mann ist aber inzwischen dazu übergegangen, morgens gar nicht mehr ins Auto zu steigen. Insofern haben die Blockaden in unserer Familie bereits eine Klimaschutzwirkung erzielt.

Katrin Höffler ist Professorin für Strafrecht, Kriminologie und Rechtssoziologie an der Universität Leipzig. Sie forscht unter anderem zu Kriminalprognosen, Extremismus und Digitalisierung.

Nun haben die AktivistInnen sogar den Berliner Flughafen blockiert. Justizminister Marco Buschmann (FDP) prüft härtere Strafen, die Union fordert Freiheitsstrafen von bis zu 5 Jahren. Kann die Gruppe so aufgehalten werden?

Eher nicht. Die Forschung zur Generalprävention sagt zwar, dass sich Menschen von einer höheren Wahrscheinlichkeit, entdeckt oder verurteilt zu werden, etwas stärker abschrecken lassen. Nicht aber von einem höheren Strafmaß allein. Das ist für die Menschen zu abstrakt. Und bei der Letzten Generation ist es ja Teil des Konzepts, erwischt zu werden. Ich glaube, dass selbst Bewährungsstrafen wenig daran ändern würden, dass die Proteste weiter gehen. Die Ak­ti­vis­t:in­nen handeln ja aus einer tiefen Überzeugung heraus.

Mit welchen Strafen müssen Ak­ti­vis­t:in­nen schon jetzt rechnen, etwa, wenn sie eine Straßenkreuzung blockieren?

Das lässt sich nur sehr schwer verallgemeinern. Bei Straßenblockaden ist Nötigung der gängigste Vorwurf, wobei hier jüngst diskutiert wurde, ob dieser Tatbestand überhaupt bei friedlichen Sitzblockaden vorliegt. Das konkrete Strafmaß im Einzelfall hängt dann von vielen Faktoren ab, zum Beispiel, ob es Vorstrafen gibt oder wie viele Menschen von der Blockade betroffen waren. Bei einem Erstdelikt wird es in den meisten Fällen bei einer Geldstrafe bleiben.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gibt es zwischen den durch die Schuld vorgegebenen Ober- und Untergrenzen einen Spielraum, in dessen Rahmen Rich­te­r:in­nen präventive Strafzwecke einbeziehen. Eine Überlegung dabei ist, was die oder den Be­schul­dig­te:n von weiteren Taten abhalten würde. Eine andere, was die Strafe für die Gesellschaft kommunizieren soll. In Bayern zum Beispiel kann ich mir vorstellen, dass da ein Richter sagt: Hier muss der Staat Stärke zeigen. Überhaupt stellt die Justiz hier vielleicht eher nicht wegen Geringfügigkeit ein, wie das ansonsten in leichten Fällen der Nötigung durchaus denkbar wäre. Das dient auch der Abschreckung und um zu zeigen: Der Staat ist nicht untätig.

Was kommuniziert der Staat denn, wenn er auf Klimaaktivismus mit Forderungen nach Strafverschärfungen und Präventivhaft reagiert?

In erster Linie richten sich Politiker:innen, die sowas fordern, ja an die Autofahrer:innen. Wollten sie mit den Ak­ti­vis­t:in­nen kommunizieren, müssten sie unbedingt in einen echten Austausch treten. Das geht auch, wenn sie dennoch daran festhalten, dass die Blockaden zunächst als Straftaten verfolgt werden. Der Klimawandel ist für den Staat ja auch rechtlich ein entscheidender Auftrag. Das gibt Artikel 20a Grundgesetz und der Klimabeschluss des Verfassungsgerichts eindeutig vor.

Gibt es kein Kommunikationsangebot, wird das zu einer weiteren Exklusion von Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen und zu Rebellionsverstärkung führen. Noch lehnt die Letzte Generation den Staat ja gar nicht ab, sondern fordert ihn zum Handeln auf. Wenn der Staat den Ak­ti­vis­t:in­nen aber das Gefühl gibt, dass er sie weder anhört noch versteht, werden die Ak­ti­vis­t:in­nen auf Distanz gehen.

Mehr Repression führt zu Radikalisierung?

Ich gehe davon aus. Härtere Strafen führen zu einer Verstärkung der Exklusion. Die Ak­ti­vis­t:in­nen spüren eine sogenannte anomische Situation, das heißt, dass ihr Ziel, den Klimawandel aufzuhalten, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln nicht zu erreichen ist. Trotz aller Demonstrationen und Petitionen ist der Staat bisher untätig geblieben. Wenn die Ak­ti­vis­t:in­nen nun zu anderen Mitteln greifen, indem sie sich zum Beispiel auf einer Straße festkleben, geschieht das auch aus Verzweiflung heraus.

Der Staat schafft sich seine Probleme selbst.

Dass es die Letzte Generation gibt, liegt an der fatalen Klimapolitik der letzten Jahrzehnte, nicht an den fehlenden Strafen, ja. Eine friedliche Gesellschaft erreichen wir am besten durch eine gute Klimapolitik. Ich glaube kaum, dass alle Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen in Präventivhaft gesteckt werden können. Grundsätzlich ist es immer Augenwischerei, zu härteren Strafen zu greifen, ohne die zugrundeliegenden Probleme zu lösen. Das Strafrecht ist keine Lösung für soziale und ökologische Krisen.

Was sollte die Politik stattdessen tun?

Ich denke, dass ein ernsthafter Diskurs ganz zentral ist. Dafür muss man ein Forum finden, das die Ak­ti­vis­t:in­nen einbindet.

Wird das reichen? Von „blablabla“ hat die Klimabewegung ja bekanntlich genug. Die Ak­ti­vis­t:in­nen wollen Taten sehen.

Ich kann da keine genaue Handlungsanweisung geben. Ich glaube aber schon, dass es durch ein kluges Verhalten seitens des Staates möglich ist, eine Art Pause zu erwirken. Indem man sagt, wir setzen uns jetzt zusammen, wir nehmen eure Forderungen ernst und versuchen eine Lösung zu finden. Dafür müssen Po­li­ti­ke­r:in­nen aber aufhören, mit Etiketten wie „Terroristen“ oder „Verrückte“ um sich zu schmeißen.

Kri­ti­ke­r:in­nen wenden ein, der Staat dürfe sich nicht erpressen lassen. Könnten dann nicht zum Beispiel auch Ab­trei­bungs­geg­ne­r:in­nen mit Blockaden beginnen?

Eine offene kommunikative Haltung kann nicht mit Erpressbarkeit gleichgesetzt werden. Auch mit Ab­trei­bungs­geg­ne­r:in­nen muss kommuniziert werden. Wenn wir uns mit Protestformen ganz allgemein politisch – also nicht auf der juristischen Ebene – auseinandersetzen, dann müssen wir uns aber schon anschauen, welche Ziele verfolgt werden. Den Klimawandel zu bekämpfen, ist eben allgemein akzeptiert und sogar ein verfassungsrechtlicher Auftrag. Über das „Wie“ muss ein Aushandlungsprozess stattfinden.

Viele Leute fürchten um den Rechtsstaat, sollte den Ak­ti­vis­t:in­nen nachgegeben werden. Die Polizeigewerkschaften fordern mehr Präventivhaft wie in Bayern, um ihn zu verteidigen.

Beim Präventivgewahrsam wird doch über den Umweg des Polizeirechts ein wichtiger Grundsatz unseres Rechtsstaats ausgehöhlt. Normalerweise wird wegen der vielen negativen Wirkungen von Freiheitsentzug eine Freiheitsstrafe von weniger als 6 Monaten nur in Ausnahmefällen angeordnet. Ohne Urteil ist Freiheitsentzug eigentlich nur durch Untersuchungshaft möglich. Dafür müssen sogenannte U-Haftgründe vorliegen, die bei Straßenblockaden nicht gegeben sind. Über das Polizeirecht werden aber trotzdem Menschen ohne Urteil eingesperrt, weil sie eine Straße blockiert und sich dann friedlich wegtragen haben lassen.

In Bayern sind Ak­ti­vis­t:in­nen für bis 30 Tage in Präventivhaft gesteckt worden. In der JVA Stadelheim ist ein Aktivist in den Hungerstreik getreten.

Da wird mir bange. Sollten da Dinge wie Zwangsernährung ins Spiel kommen, kann das zu einer ganz besonderen Radikalisierung führen, weil so etwas noch einmal ein enormer Freiheitseingriff ganz anderer Art ist. Beide Seiten könnten in eine Eskalationsspirale geraten. Ich hoffe, dass sich die Situation anders löst.

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