Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland: Nichtstun gegen Nahles
Die Chefin der Bundesagentur für Arbeit will Schüler*innen stärker in den Arbeitsmarkt nötigen. Diese sollten dagegen etwas tun, nämlich: nichts.
N och sind in vielen Bundesländern Sommerferien, noch dürfen sich Schüler*innen in diesem Land ein wenig ausruhen von Tests, Hausaufgaben, Referaten und allerlei anderen Nervigkeiten. Zum Glück, denn: Arbeiten müssen sie ja alle noch genug. Das wissen die Eltern, die von ihrer 40-Stunden-Woche herab gern predigen, dass Schule ja entspannend sei. Das harte Leben, das kommt ja noch!
Dass alle Jahre wieder eine neue Studie oder Umfrage feststellt, dass sich Schüler*innen in diesem Land immer öfter gestresst fühlen – geschenkt. Dass die Psyche der Jugendlichen unter den Belastungen der Coronakrise nachweislich stark gelitten hat – ach was! Opa ist immerhin noch unter Artilleriebeschuss mit der Kutsche über den winterlichen Bergpass in die Schule gefahren und hatte dabei immer ein fröhliches Lied auf den Lippen. Sollen sie mal nicht so jammern, die Jugendlichen.
Andrea Nahles – das fehlte den Jugendlichen gerade noch – hat nun Ideen. Im Vergleich zum Juli des Vorjahres sei die Zahl der als erwerbslos gemeldeten Jugendlichen unter 25 Jahren um 8 Prozent gestiegen, sagte die Vorsitzende der Bundesagentur für Arbeit am Dienstag in einem Interview mit der Rheinischen Post. „Die Überfülle der Möglichkeiten bei über 300 dualen Ausbildungsberufen verunsichert viele Jugendliche“, ergänzte sie.
„Unselige Frühverrentungspraxis“
Um den verwirrten Jugendlichen zu helfen, schlug die ehemalige Generalsekretärin der SPD mehr verpflichtende Praktika vor. Eine unbezahlte Tätigkeit von Minderjährigen während der Schullaufbahn sei einfach zu wenig. Das passt wie die Faust auf den Lehrertisch, denn nicht nur die Jüngeren sollen in Nahles’ Welt mehr zur Arbeit genötigt werden, auch die „unselige Frühverrentungspraxis“ ist ihr ein Dorn im Auge. 1,3 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland über das Rentenalter hinaus, das kann der Rest doch auch – wenn er nicht schon krank oder tot ist.
Die Jungen sollen eher ran und die Alten länger – schon ist der Fachkräftemangel gelöst. Weniger arbeiten? Gott bewahre: Es gebe „weltweit und historisch“ keine Gesellschaft, die ihren Wohlstand mit Arbeitszeitverkürzung halten konnte, meinte Christian Lindner noch im Mai. Ökonomen widersprachen, aber gut, das sind ja nur „Studierte, die alles durcheinanderbringen“, wie der Trigema-Inhaber und Schimpansenflüsterer Wolfgang Grupp jüngst verlauten ließ.
Die Jugendlichen scheinen es derweil gelassen zu nehmen: 30.000 Berliner*innen zwischen 14 und 24 täten einfach „nichts“, schrieb die B.Z. Ende Juli. Und damit tun sie das einzig Richtige.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs