Joe Bidens Rede zur Lage der Nation: Kein bisschen müde
Mit einer energiegeladenen und streitlustigen Rede zur Lage der Nation steigt US-Präsident Joe Biden voll in den Wahlkampf mit Donald Trump ein.
Und genau das schaffte er auch. Biden gab sich temperamentvoll und munter. Ab und an zeigte er sich sogar streitlustig und lieferte sich einen Schlagabtausch mit Republikanern, die seine Rede immer wieder mit Zwischenrufen unterbrachen. Es war eine Rede, die Bidens Ambition auf weitere vier Jahre im Amt unterstrich.
„Niemand wird jetzt über kognitive Beeinträchtigungen reden“, sagte der demokratische Abgeordnete Jerry Nadler, als er dem Präsidenten nach dessen Ansprache gratulierte.
Für Biden war es die vierte und möglicherweise letzte „State of the Union“-Ansprache seiner Präsidentschaft. Wie üblich gab er seine Rede vor beiden Kammern des US-Kongresses, um seine politischen Siege zu unterstreichen, seine künftige Agenda darzulegen und für die Unterstützung des Kongresses zu plädieren. In diesem Jahr gab es allerdings noch einen weiteren Faktor: die bevorstehende Wahl.
Mehr Wahlkampfrede als Lage der Nation
Biden versuchte deshalb auch den Unterschied zwischen ihm und seinem Kontrahenten aufzeigen, ohne Ex-Präsident Donald Trump dabei auch nur ein einziges Mal beim Namen zu nennen. Dazu bediente er sich mehrerer Beispiele, die verdeutlichen sollten, wie anders die Dinge unter Trump sein würden. Dazu zählten die Ukraine, das Recht auf Abtreibung und Klimapolitik.
Biden will mehr Unterstützung für Kyjiw. Trump will das nicht. Biden will es Frauen ermöglichen, ohne Angst vor rechtlichen Konsequenzen im ganzen Land Abtreibungen vornehmen zu lassen. Trump prahlt damit, dass er mit der Ernennung von konservativen Richtern zum Supreme Court für das vorläufige Ende des Abtreibungsrechts gesorgt hat. Unter Biden haben die USA mehr in den Klimaschutz investiert als jemals zuvor. Trump macht sich lustig über erneuerbare Energien und will mehr fossile Brennstoffe fördern: „Drill baby, drill“.
„Meine amerikanischen Mitbürger, das Problem unserer Nation ist nicht, wie alt wir sind, sondern wie alt unsere Ideen sind. Hass, Wut, Rache und Vergeltung gehören zu den ältesten Ideen. Aber man kann Amerika nicht mit alten Ideen führen, die uns nur zurückwerfen. Um Amerika, das Land der Möglichkeiten, zu führen, brauchen Sie eine Vision für die Zukunft dessen, was Amerika sein kann und sollte. Heute Abend haben sie meine gehört“, sagte Biden.
Der Ton und Klang von Bidens Rede erinnerte stark an eine Wahlkampfrede und weniger an einen Überblick über die Lage der Nation.
Hilfe für Gaza und eine Zwei-Staaten-Lösung
Auch zum Krieg in Gaza äußerte sich Biden. Bereits am Nachmittag hatten sich Pro-Palästinensische Demonstranten vor dem Weißen Haus versammelt und versucht, die Abfahrt des Präsidenten zum Kapitol zu stören. Und bei den letzten Vorwahlen der Demokraten hatten in mehreren Bundesstaaten Hunderttausende Wähler:innen aus Protest gegen die Israel-Unterstützung der Regerung nicht für Biden gestimmt.
In seiner Rede dann bestätigte er, was bereits vom Weißen Haus im Verlauf des Tages angekündigt wurde, nämlich dass er das US-Militär dazu beauftragt habe, einen temporären Landungssteg vor der Küste Gazas zu errichten, damit dort in Zukunft Schiffe mit humanitären Hilfslieferungen anlegen können. Bislang sind nur zwei Grenzübergänge im Süden des Gazastreifens geöffnet, auch dank israelischer Kontrollen kommen nur wenige Lastwagen mit Hilfsgütern jeden Tag zu den Menschen.
Gleichzeitig richtete er sich auch an Israels Regierung und verlangte von ihr, Priorität auf den Schutz von unschuldigen Zivilisten zu legen. „In diesem Krieg sind bereits mehr Palästinenser gestorben als in allen vorherigen Gaza-Kriegen zusammen. Die meisten von ihnen waren Zivilisten, nicht Hamas,“ klagte Biden. Und für die Zukunft: „Die einzige Lösung ist eine Zweistaatenlösung,“ sagte Biden unter großem Applaus.
Biden pries zudem die Erfolge seiner milliardenschweren Infrastruktur- und Klimaschutz-Pakete, wie den Inflation Reduction Act, an, der in weniger als zwei Jahren zu einer Welle an Investitionen in erneuerbare Energien und andere grüne Technologien geführt hat.
Südgrenze: Problem beheben oder darüber streiten?
Und dann war da natürlich auch noch das wahrscheinlich größte Wahlkampfthema – die US-Grenzkrise. Die Situation an der US-Südgrenze hat sich knapp acht Monate vor der Wahl als eines der zentralen Themen herauskristallisiert.
„Wir können um die Grenze streiten oder sie reparieren. Ich bin bereit, das Problem zu beheben“, sagte Biden und forderte die republikanischen Kongressabgeordneten auf, über einen von beiden Seiten ausgehandelten Senats-Kompromiss trotz etlicher Vorbehalte abzustimmen. „Meine republikanischen Freunde, ihr schuldet es der US-Bevölkerung, dieses Gesetz zu verabschieden“.
Rund 20 Milliarden US-Dollar waren neben Hilfen für die Ukraine und Israel in dem Gesetz vorgesehen – im Senat fand es eine überparteiliche Mehrheit, aber der Trump-treue Sprecher des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, brachte es bis heute nicht einmal zur Abstimmung. Der Trump-kritische republikanische Senator Mitt Romney hatte schon vor Wochen öffentlich gemacht, wie Trump auf die Repubikaner einwirkte, um das Paket abzulehnen, weil ungelöste Grenzfragen sein wichtigstes Wahlkampfthema sind.
Beim sensiblen Thema Einwanderung kam es auch zum vielleicht spektakulärsten Schlagabtausch des ganzen Abends. Trump-Anhängerin Marjorie Taylor Greene verlangte von Biden, dass er den Namen einer ermordeten Frau aussprechen möge, da der mutmaßliche Täter ein illegaler Einwanderer ist. Greene, die mit einem knallroten MAGA (Make America Great Again) Hut im Publikum saß, erhielt ihren Wunsch. Biden nannte Laken Riley beim Namen. Er forderte aber den Kongress dazu auf, etwas zu unternehmen, damit es nicht zu weiteren tragischen Fällen dieser Art kommen möge.
Republikanische Antwort: alles ganz furchtbar
Biden sprach insgesamt für knapp 67 Minuten und schien dabei am Ende genauso energisch, wie am Anfang. Republikaner ließen nicht viel Gutes an der Rede.
Die republikanische Antwort auf Bidens State of the Union Rede gab es wie immer nicht im gleichen Saal und vor Publikum, sondern wird als aufgezeichneter Beitrag von den US-TV-Sendern im Anschluss an die Rede des Präsidenten ausgestrahlt. Diesmal fiel Katie Britt die Rolle der Antwortenden zu. Die Senatorin aus Alabama gehört mit ihren 42 Jahren zur jungen republikanischen Garde im US-Senat. Obwohl sie das Senatorenamt erst seit zwei Jahren begleitet, hat sich die zweifache Mutter bereits einen Namen gemacht. Sie ist Teil des republikanischen Führungskreises um den scheidenden Fraktionsvorsitzenden Mitch McConnell und sitzt im einflussreichen Haushaltsausschuss.
Sie bezeichnete Bidens Rede als „realitätsfremd“ und erklärte, dass das Land an einem Scheideweg befinde.
„Unter seiner Regierung geht es den Familien schlechter. Unsere Gemeinden sind weniger sicher und unser Land ist weniger sicher,“ sagte Britt. Sie beklagte sich über steigende Kriminalität, offene Grenzen und wirtschaftliche Probleme im Land.
Ihr Auftritt war nicht sonderlich gelungen und das zeigte sich auf den verschiedenen sozialen Netzwerken. Trump selbst bezeichnete Biden Rede als „die schlechteste State of the Union Ansprache aller Zeiten“ und eine „Beschämung“ für das Land.
Der Wahlkampf ist somit eröffnet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus