Islamismus-Vorwurf im Fußball: Rechte Fingerzeige
Antonio Rüdiger hat zum Ramadan ein Gebetsfoto veröffentlicht. Jetzt wird gegen den Nationalspieler gehetzt, er sei ein Anhänger islamistischen Terrors.
Antonio Rüdiger ist eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Nun wurde der deutsche Fußballnationalspieler in die Nähe der Terrororganisation „Islamischer Staat“ gerückt, und er wehrt sich juristisch. Bei der Staatsanwaltschaft Berlin erstattete der 31-jährige Berliner, der bei Real Madrid spielt, Anzeige: „Wegen Beleidigung bzw. Verleumdung, verhetzender Beleidigung sowie Volksverhetzung“. Auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) wurde aktiv und meldete den Vorfall bei der Zentralstelle für Bekämpfung der Internetkriminalität.
Darum geht es: Der frühere Chefredakteur der Bild-Zeitung, Julian Reichelt, und das von ihm betriebene äußerst rechte Newsportal Nius hatten am vergangenen Samstag behauptet, Rüdiger zeige bei Instagram den „Islamisten-Gruß, den spätestens seit dem Grauen der ISIS-Terroristen die ganze Welt kennt“. Die Behauptung bezog sich auf ein zu diesem Zeitpunkt bereits zwölf Tage altes Foto, das den bekennenden Muslim Rüdiger auf einem Gebetsteppich zeigt, einen Zeigefinger nach oben gerichtet.
Reichelts X-Tweet und Nius’ Artikel erschienen nur kurz nach dem mutmaßlich islamistischen Anschlag in Russland auf ein Rockkonzert. Der Bezug, den Rüdiger jedoch gewählt hatte, war der Beginn des Fastenmonats Ramadan. Der Fußballprofi hatte dort auf Englisch geschrieben: „Einen gesegneten Ramadan allen Muslimen in der ganzen Welt. Möge der Allmächtige unser Fasten und unsere Gebete annehmen.“ Entsprechend fielen beispielsweise auf Facebook die über 25.000 Kommentare auf Rüdigers Post aus. Fast ausschließlich wünschten die User sich „Ramadan Mubarak“, einen gesegneten Fastenmonat. Irgendein extremistischer oder gar terroristischer Bezug lässt sich nicht finden.
Auf die zwei Strafanzeigen reagierte Julian Reichelt nun auf X mit der Behauptung, Rüdiger und der DFB bedienten sich „Einschüchterungsmethoden“. Mit dem Gruß, den Rüdiger gezeigt habe, feierten „Terroristen auf der ganzen Welt ihre Morde“. Er, Reichelt, werde sich „niemals verbieten lassen, das zu sagen“.
Muslime und Islamexperten hingegen – auch solche, die gerne für Medien wie Nius als Stichwortgeber für antimuslimische Berichterstattung zu Wort kommen – führen aus, dass Rüdigers Geste nichts mit Terrorismus zu tun hat. Der Psychologe Ahmad Mansour etwa schreibt auf Facebook: „Das Wichtigste zuerst: Die Geste ist religiös, nicht extremistisch; sie symbolisiert den Tauhid, also den Glauben an den einen Gott und damit den Monotheismus.“
„Solidarität mit Antonio Rüdiger“
Der Publizist Hamed Abdel-Samad äußerte auf X gar: „Antonio Rüdiger hat meine Solidarität.“ Abdel-Samad spricht von Hetze gegen den Nationalspieler, „während man die wahren Islamisten im Lande in Ruhe lässt und sogar politisch hofiert“.
Doch Reichelt und seine Plattform finden auch Unterstützer für ihren Versuch, Rüdiger eine sympathisierende Nähe zu islamistischem Terror zu unterstellen. Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch forderte: „Der Mann hat in unserer Nationalmannschaft nichts verloren.“
Nius fährt auch CDU- und CSU-Politiker auf, die sich gegen Rüdiger und das öffentliche Zeigen eines muslimischen Zeichens positionieren. Der CDU-Politiker Ali Ertan Toprak sagt dort, Rüdiger könne nicht „so weltfremd“ sein, als dass er nicht wüsste, dass dies ein Zeichen für den Machtanspruch des IS sei.
Und die Vizevorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Andrea Lindholz (CSU), beklagte, Rüdiger solle lieber „das Thema Integration in unserem Land“ nach vorne bringen. Rüdiger wurde 1993 in Berlin-Neukölln geboren, seine Mutter stammt aus Sierra Leone, sein Vater aus Deutschland.
Nius behauptet auch: „Der Verfassungsschutz warnt vor dem ausgestreckten Zeigefinger“, bringt als Belege jedoch nur Zitate aus älteren Broschüren über Salafismus, in denen erwähnt wird, dass auch Islamisten diesen Gruß verwenden und dass er „von den Medien als ‚IS-Finger‘ betitelt“ wird.
Das für den Verfassungsschutz zuständige Innenministerium teilte der Bild-Zeitung mit, der sogenannte Tauhid-Finger sei „als Glaubensbekenntnis zu verstehen und insofern mit Blick auf die öffentliche Sicherheit als unproblematisch einzuordnen“. Dass der IS und andere islamistische Gruppen das Symbol nutzten, ändere daran nichts.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“