IfW Kiel entlässt Verhaltensökonomen: Flieg oder du fliegst
Gianluca Grimalda weigerte sich, in der Klimakrise von einer Forschungsreise zurückzufliegen. Dafür hat ihn das Kiel Institut für Weltwirtschaft gefeuert.
Knapp 13.700 Kilometer liegen zwischen dem Institut für Weltwirtschaft (IfW) an der Kieler Förde und dem Dorf Hangan im Inselstaat Papua-Neuguinea im Pazifik. Wüsten, Wälder und Ozeane trennen die Orte. Zwei Monate kann es dauern, von einem zum anderen zu reisen – oder zwei Tage.
Empfohlener externer Inhalt
Als der Verhaltensökonom Gianluca Grimalda sich am 27. September in Hangan an den Klapptisch in seinem Zimmer setzt, um per Videoschalte mit seinen Chefs in Kiel über seine Rückreise zu sprechen, ist er noch entspannt. Er ahnt nichts von dem Konflikt, den er über die nächsten Wochen öffentlich mit ihnen austragen wird – und der ihn am Ende seinen Job kosten wird. So erzählt er es der taz am Telefon.
Sechs Monate verbrachte Grimalda in Papua-Neuguinea, überquerte Flüsse und wanderte durch den Regenwald, um 30 teilweise tief in den Bergen liegende Dörfer zu besuchen. Dort erforschte er, wie sich die Folgen der Klimakrise auf die Bereitschaft der Menschen auswirken, einander zu helfen. Er ist zufrieden mit den Ergebnissen und freut sich auf die Heimreise.
Um seine Treibhausgas-Emissionen zu minimieren, will Grimalda über die nächsten zwei Monate per Schiff, Bus und Zug nach Kiel zurückkehren. Slow Travel nennt sich diese Art der Fortbewegung. Grimalda, der neben der Arbeit auch Aktivist bei Scientist Rebellion ist, reist bereits seit Jahren so. Auf dem Hinweg bestritt er 16.000 der 22.000 Reisekilometer, ohne zu fliegen – das IfW störte sich nicht daran.
Ursprünglich sollte er schon am 10. September zurück in Kiel sein. Doch Erpressungsversuche von macheteschwingenden Banditen und Ablehnung und Skepsis gegenüber seinem Vorhaben in einigen Dörfern zögerten seine Abreise immer wieder hinaus. Grimalda rechnete deshalb mit Verständnis von seinen Chefs.
Aber das Gespräch am 27. September verläuft anders als erwartet. Neben seinem Vorgesetzten sind auch der Präsident des Instituts und die Direktorin anwesend. Von ihnen kommt ein Ultimatum: Entweder Grimalda sitzt am nächsten Montag an seinem Schreibtisch in Kiel oder er ist seinen Job los.
„Da ist meine mediterrane Art mit mir durchgegangen“, sagt Grimalda. Er sieht das Ultimatum als Angriff auf seine Würde, seine Werte in der Klimakrise. Er weigert sich zurückzufliegen.
In den sechs Monaten in Papua-Neuguinea ist er immer wieder Menschen begegnet, die fordern, dass der Globale Norden endlich seine Emissionen reduziert. Nach diesen Gesprächen will Grimalda nicht einfach in ein Flugzeug steigen und zurück in seine komfortable Wohnung in Kiel. „Weiße Männer wie ich werden hier oft ‚Giaman‘ genannt, Lügner oder Verräter“, sagt Grimalda. Aber er wolle kein Giaman sein. Er entscheidet sich, die Sache öffentlich zu machen.
Grimalda sagt, sein Vertrag beim Kieler IfW sei „fantastisch“, ein Job, wie er ihn mit seinen 51 Jahren wohl nicht mehr finden werde. 3.700 Euro netto, 30 Tage Urlaub, alle Freiheiten in der Forschung. All das setzt er jetzt aufs Spiel.
Ungehorsam zieht ins Büro ein
Grimaldas Weigerung, für Dienstzwecke zu fliegen, ist ungewöhnlich. An zivilen Ungehorsam auf der Straße hat man sich mittlerweile gewöhnt. Doch dass sich ein Arbeitnehmer derart öffentlich gegen die Reisepolitik seines Arbeitgebers wehrt, das ist neu. Von der Schule über die Straße könnte der Ungehorsam angesichts der Klimakrise nun auch im Büro angekommen sein.
Auf gewisse Art wirkt Grimaldas Verhalten kleinlich. Täglich steigen hunderttausende Geschäftsreisende ins Flugzeug, um zu Konferenzen und Kunden zu kommen, um Fabriken zu inspizieren oder zu forschen. Grimaldas Beitrag zur Erderwärmung ist winzig. Warum steigt er nicht einfach ein?
Grimalda hat Erfahrung mit zivilem Ungehorsam, blockierte bereits einen Privatflughafen in Mailand, klebte sich an den futuristisch designten Porsche-Pavillon in Wolfsburg. Doch obwohl er selbst zivilen Ungehorsam übte, hat er Zweifel an der Protestform. Er ist unsicher, ob das bewusste Brechen von Gesetzen, um auf einen Missstand hinzuweisen, wirklich wirkt. Der größte Effekt sei aus seiner Sicht der, dass die Legitimität weniger radikaler Gruppen steige.
Trotzdem hat er sich an den Aktionen von Scientist Rebellion beteiligt. „Auf mich wirkt es einfach absurd, dass es in der Klimakrise weiterhin Orte wie Privatflughäfen gibt“, sagt Grimalda. Und ebenso absurd sei es für ihn, dass sein Arbeitgeber ihn nun in ein Flugzeug zwingen will. „Bei dem Klimazusammenbruch, den wir derzeit erleben, ist es die einzig richtige Antwort, der Forderung meines Instituts nicht nachzukommen“, sagt er.
Nach seinen Berechnungen würde Grimaldas Rückreise über Land gegenüber einem Flug 4,9 Tonnen CO2 einsparen. Das ist mehr CO2, als eine Person durchschnittlich in einem ganzen Jahr ausstoßen dürfte, um das 1,5-Grad-Limit zu halten.
Nach der physikalischen Logik der Klimakrise mag Grimalda mit seiner Weigerung, ins Flugzeug zu steigen, das Richtige tun. Aus Sicht des Kieler Instituts für Weltwirtschaft verletzt er damit seine Pflichten als Arbeitnehmer. Einen Tag nach dem Telefonat mit seinen Chefs erreicht ihn eine schriftliche Abmahnung. Man sei nicht mehr bereit, sein „arbeitsvertragswidriges Verhalten hinzunehmen“, heißt es darin.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
„Der Zeitgeist geht zwar in eine andere Richtung, aber was, wie und wo gearbeitet wird, bestimmt im Rahmen des Direktionsrechts grundsätzlich der Arbeitgeber“, sagt die Arbeitsrechtlerin Dr. Nathalie Oberthür. Es spreche vieles dafür, dass die Zurückhaltung von Grimaldas Gehalt für den September und die Abmahnung durch das Institut rechtens sei.
In Grimaldas Versuch, auf eigene Faust aufs Fliegen zu verzichten, zeigt sich ein Dilemma der Klimakrise. Denn so sehr Klimaschutz auch als individuelle Konsumentscheidung geframt wird: oft sind es die physischen, sozialen und ökonomischen Infrastrukturen, die bestimmen, wie klimafreundlich wir wirklich leben können.
Paper schreiben sich auch auf einem Frachter
Nach eigenen Angaben gibt es für Grimalda keinen Grund, in Kiel sein zu müssen. Er habe keine Lehrverpflichtungen, und an Meetings könne er auch online teilnehmen. Dass er auch auf Reisen produktiv sein könne, habe er bereits bei einer Containerschiffsreise 2015 gezeigt, während der er an einem Paper gearbeitet hat. Mit Publikationen unter anderem in der renommierten Fachzeitschrift PNAS sei das vergangene Jahr bislang eines seiner erfolgreichsten als Wissenschaftler gewesen.
Grimaldas Arbeitgeber will sich auf Anfrage nicht zu dem Fall äußern. Man tue das bei internen Personalangelegenheiten grundsätzlich nicht. Ein Sprecher des Instituts verweist jedoch darauf, dass man Mitarbeiter grundsätzlich bei klimaschonenden Reisen unterstütze. In der Vergangenheit habe man Herr Grimaldas Slow-Travel-Aktivitäten zum Beispiel bei einer Reise nach Tokio 2019 unterstützt.
Mit seinem Versuch, als Einzelner aus den Normen, Erwartungen und Zwängen der Arbeitswelt auszubrechen, sieht sich Grimalda plötzlich scharfen arbeitsrechtlichen Sanktionen gegenüber. Ein Wissenschaftler, der entlassen werden soll, weil er sich zu sehr fürs Klima engagiert: Das sorgt weltweit für Aufmerksamkeit.
Der Guardian, CNN, die Frankfurter Allgemeine Zeitung – sie alle berichteten über Grimaldas Weigerung, für die Arbeit ins Flugzeug zu steigen. Sein Protest scheint einen Nerv zu treffen.
Denn mit ihm rüttelt Grimalda an einem der Grundpfeiler der Arbeitsgesellschaft: In den Büros des Arbeitgebers anwesend zu sein ist so wichtig, dass die mehreren Tonnen CO2, die ein Interkontinentalflug verursacht, dagegen kaum ins Gewicht fallen. Unternehmer:innen, Manager:innen und Banker:innen folgen dieser Arbeitslogik genauso wie Wissenschaftler:innen, Journalist:innen und NGOs. Grimalda stellt sie nun infrage.
Risikobereitschaft sorgt für Aufmerksamkeit
„Sein Protest funktioniert so gut, weil er tatsächlich bereit ist, ein Opfer zu bringen“, sagt Steve Westlake, Psychologe an der Universität Cardiff. Westlake erforschte in seiner Doktorarbeit die Rolle von Vorbildern bei CO2-reduzierendem Verhalten. Evolutionär seien Menschen darauf gepolt, hinzuschauen, wenn ein Gruppenmitglied risikoreiches oder kostspieliges Verhalten zeige, das man nicht intuitiv verstehe. In diesem Moment der Aufmerksamkeit könne auch das eigene Verhalten hinterfragt werden, sagt Westlake.
Wie gut das funktioniert, hängt jedoch vor allem davon ab, wie sehr man sich mit dem Abweichler identifiziert. „Fehlt dieses Verständnis, reagieren Menschen schnell mit Abwertung auf moralisch gut wirkendes Verhalten“, sagt Westlake. Der vermeintliche Held wolle doch nur Aufmerksamkeit für seine Person oder der Protest bringe doch gar nichts, heißt es dann.
Grimalda hält an seiner CO2-armen Rückreise fest. Er sei bereit, alle rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen zu tragen. In einer Mail versicherte er seinem Institut, über Land so schnell wie möglich nach Kiel zurückzukehren.
Seine Chefs überzeugte er damit nicht. Am 11. Oktober kündigten sie offiziell seinen Arbeitsvertrag. Grimalda will nun vor Gericht gegen seine Kündigung vorgehen.
„Diese Entscheidung des Kieler Instituts ist schockierend“, sagt Julia Steinberger, Professorin für die gesellschaftlichen Herausforderungen des Klimawandels an der Universität Lausanne und Hauptautorin des jüngsten Berichts des Weltklimarats (IPCC). „Trotz des internationalen Aufschreis und der Unterstützung für Dr. Grimalda durch die wissenschaftliche Gemeinschaft haben sie beschlossen, einen Forscher zu entlassen, dessen größtes Vergehen darin besteht, seine Arbeit gründlich und ohne weitere Schädigung der gefährdeten Gemeinschaften, mit denen er arbeitet, durchzuführen.“
Als die taz Grimalda nach seiner Kündigung um 3 Uhr morgens Ortszeit erreicht, läuft er gerade draußen vor seinem Zimmer in Hangan auf und ab. Derzeit stehe er noch unter Schock. Aber er bereue seine Entscheidung nicht. Er sagt: „Wenn ich einige Leute zum Nachdenken gebracht habe, dann hat es sich gelohnt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?