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Hörsaalbesetzung in Hellersdorf„Free Palestine“ mit dem Segen von oben

Was ist von der Besetzung in der Alice Salomon Hochschule übrig geblieben? Die Ak­ti­vis­t*in­nen loben die Hochschulleitung. Und tadeln sie zugleich.

Bei der Besetzung des Hörsaals in der Alice-Salomon-Hochschule am 6. Januar Foto: dpa/Annette Riedl

Berlin taz | Schon von Weitem sind die Banner zu sehen, die aus den Fenstern der Alice Salomon Hochschule in Hellersdorf hängen. „Friede der Welt, Tod dem Imperialismus“ und „Free Palestine“ ist zu lesen, daneben weht eine Palästina-Fahne. Sechs Mannschaftswagen der Polizei parken gleich gegenüber auf der anderen Seite des Platzes, den Eingang zur Hochschule im Blick.

Ansonsten ist am Dienstagmittag wenig zu spüren von dem, was tags zuvor als Hörsaalbesetzung begonnen hat – und inzwischen in eine von der Uni geduldete Nutzung des Raums für „Community-Arbeit“ übergegangen ist. Die Türen zum Hörsaal sind verschlossen, drinnen tagen die Aktivist*innen. Im Plenum geht es unter anderem ums Programm, das sie an diesem Tag, und, so ihre Hoffnung, in den kommenden Tagen anbieten wollen.

Möglich macht das eine tolerante Haltung der Hochschulleitung gegenüber den Protestierenden. Bereits während der Besetzung am Montag setzte Präsidentin Bettina Völter auf Deeskalation und erwirkte einen Kompromiss mit den Aktivist*innen: Ihnen wurde zugesichert, auch am Dienstag den Hörsaal für ihre Zwecke nutzen zu können – sofern sie ihn am Montagabend zur üblichen Schließzeit der Universität um 21 Uhr verlassen.

Völter stellte sich auch schützend vor die Protestierenden, während diese am Abend nach und nach aus dem Haus kamen. Videos in den sozialen Netzwerken zeigen, wie sie einen Polizisten zurechtweist, der sich neben der Tür postiert hatte. „Wir brauchen Sie nicht“, sagt sie, und: „Ich bin die Präsidentin der Hochschule, ich habe Hausrecht. Ich habe Sie nicht gerufen.“

Die Wogen glätten

Der Auftritt schlug hohe Wellen, der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) schaltete sich ein und nannte die Aussagen der Präsidentin „völlig unverständlich“. Die Hochschule ist am Dienstag dann auch bemüht, die Wogen zu glätten. Man sei „im konstruktiven und engen Austausch mit der Polizei gewesen“, wofür man dankbar sei, heißt es in einem Statement. Zugleich betont man, die Aktion weiter zu dulden. Auch eine Fortsetzung in den kommenden Tagen sei möglich, sofern „die Regeln eines respektvollen und gewaltfreien Miteinanders gewahrt bleiben“.

Für diese Haltung kriegt die Leitung ein verhaltenes Lob vom Sprecherteam der Besetzer*innen. Es sei gut, dass Völter so gehandelt habe, sagen die drei Studierenden am Dienstag der taz. Doch der gelassene Umgang mit dem Protest dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Uni kein bisschen auf die Forderungen der Protestierenden eingegangen sei, darunter ein Abbruch der Beziehungen zu israelischen Institutionen, die in Besatzung und Krieg verwickelt seien. Man sei sowieso entschlossen, den Protest bis Ende der Woche fortzuführen: „Wir bleiben bis Freitag“, so die Sprecher*innen. Ob sie planen, auch im Hörsaal zu übernachten, ließen sie offen.

Mit etwas Verspätung öffnen sich am Nachmittag die Türen zum Audimax. Der Andrang ist mäßig, drinnen knien einige Studierende mit Kufija und bemalen weitere Transparente. Gleich geht der erste Workshop los. Thema: Der Tod von Oury Jalloh im Dessauer Polizeigewahrsam vor 20 Jahren.

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6 Kommentare

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  • Was soll die Besetzung einer Hochschule, noch dazu einer, die schon in Berlin wenige kennen, überhaupt erreichen?

    Wir haben nicht mehr 1968. Das alles wird doch selbst von den Wohlmeinendsten höchstens noch als studentische Folklore wahrgenommen.

  • Wer ernsthaft noch meint das wären keine Antisemit*innen der soll sich einfach angucken was sie da vor Ort mit der Büste von Alice Salomon angestellt haben. Ohne Worte.

    Die Hochschulpräsidentin Völter hat sich gut dokumentiert vor einen antisemitischen Mob gestellt der in einer deutschen Hochschule Judenhass ausgelebt hat. Fr. Völter hat ebenfalls die Arbeit der freien Presse behindert und die Polizei (die verhindern wollte das z.B. die Büste von Alice Salomon geschändet wird oder in einer deutschen Unis gewaltsamer Antisemitismus ausgelebt werden kann wie bereits zuvor an anderen Unis, ebenfalls gut dokumentiert) als "Bedrohung" bezeichnet.

    Und da brauch man auch nicht die CDU für um hier Konsequenzen zu fordern. Das hat was mit Verantwortung zu tun. Der ist sie nicht gerecht geworden und hat dafür im mindesten ihren Hut zu nehmen. Das ist eine Frage der Erinnerungskultur. Gelebt und nicht nur zur Sonntagsrede rausgeholt ...

  • Man kann nichts befreien was es nie gegeben hat. Es hat nie eine palästinensische Nation gegeben , das Gebiet war Osmanisches Reich, danach Treuhandgebiet der Briten . Die arabischen Nationen lehnten den Teilungsplan der Vereinten Nationen ab. Die jetzigen Grenzen sind Waffenstillstandslinien nach verschiedenen Angriffen auf Israel. Warum setzen sich die "Aktivist*innen" nicht für Verhandlungslösungen mit dem Ziel zweier unabhängiger Staaten auf dem Territorium ein. Mit Palästinensertüchern und -fahnen zu wedeln und Plakate zu malen ist wohlfeil bringt aber nichts !

    • @Barthelmes Peter:

      Das ist historisch falsch, weil Sie den Prozess der Nationenbildung vereinfacht und die Konflikte einseitig darstellen (die gegenwärtigen Grenzen sind Folge des Sechstagekrieges, den Israel begonnen hat); die jetzigen Grenzen sind vor allem international anerkannt - Gaza/WJL/OJ sind, auch in den Augen der deutschen Regierung, besetzt und können natürlich befreit werden. Den Aktivisten zu unterstellen, Sie wurden eine Verhandlungslösung ablehnen, ist zudem eine Unterstellung: der Begriff "Befreiung" schliesst das jedenfalls nicht aus (und Aktivisten in Deutschland ihre Machtlosigkeit vorzuwerfen, ist selbst wohlfeil...).

  • Solche Banner und Forderungen, Abbruch der Beziehungen zu israelischen Institutionen, die an Antisemitismus grenzen, und das an der Alice Salomon Hochschule und diese Leute werden weiterhin als Aktivisten bezeichnet und das Vorgehen der Hochschulleitung als tolerant. Man hat ständig Angst vor einem Rechtsruck aber verhamlost dann ein solches Verhalten und lässt diese Leute gewähren. Kann man sich wirklich nicht ausdenken

    • @Christian Deinhart:

      Das ist m.E. Eine Missinterpretation. Es wurde explizit geschrieben „ Institutionen, die in Besatzung und Krieg verwickelt seien“. Lassen Sie uns nicht vergessen, dass in den palästinensichen Gebieten schätzungsweise 45.000 Menschen umgekommen sind und doppelt so viele verletzt wurden. Es gibt keine Sicherheit in Gaza, nicht genügend Nahrung, Wasser und Medizin und Strom. Der Gazastreifen wurde offenkundig systematisch zerstört und die Menschen dort zermürbt und kollektiv bestraft. Israel ist Besatzungsmacht und wird von vielen als Kolonialmacht und Apartheitsregime gesehen. Nur wir Deutschen canceln die Debatte hierüber ob unserer historischen Verpflichtung zum Holocaust die in die bedingungslose Loyalität eines Unrechtsstaats müdete, statt sich mit den Unterdrückten und Opfern systematischer Unterdrückung zu solidarisieren. Schutz jüdischen Lebens ist zurecht eine deutsche Maxime! Nur wo bleibt der Schutz und die Menschenwürde der Palästinenser?

      Indem Sie den Protest als antisemitisch diffamieren tragen Sie dazu bei, dass das Leid der Palästinenser unsagbar bleibt, metaphorisch wie auch buchstäblich. Das Völkerrecht gilt jedoch für alle! Auch Israel muss sich daran halten.