Hinweise des Vegetarierbundes: Impfungen sind nicht vegan
Viele Präparate enthalten tierische Stoffe, alle werden an Tieren getestet. Doch sind diese Warnungen angesichts zu niedriger Impfquoten vertretbar?
BERLIN taz | In der aktuellen Diskussion um den Ausbruch der Masern in Berlin weist der Vegetarierbund darauf hin, dass Impfungen weder vegetarisch noch vegan seien. „In zahlreichen Impfstoffen finden sich Laktose, Gelatine oder auch Rindergalle“, heißt es in einem Artikel, der am Montag an erster Stelle auf der Internetseite von Deutschlands größter Interessenvertretung vegetarisch und vegan lebender Menschen stand. Der Text erschien in dieser Version am 23. Februar; die Organisation mit rund 13.000 Mitgliedern warb am Wochenende in ihrem Newsletter für den Beitrag.
Bis zu diesem Zeitpunkt waren ab Oktober in Berlin bereits mehr als 650 Menschen an Masern erkrankt. Es ist der größte Ausbruch in der Hauptstadt seit Inkrafttreten des Infektionsschutzgesetzes im Jahr 2001; ein ungeimpftes Kleinkind starb. Daraufhin riefen die Behörden noch einmal zu Impfungen auf – und befeuerten die Debatte über das Pro und Contra dieser Immunisierungen. Ärzte halten die Impfquoten für zu niedrig.
Dennoch warnt der Vebu Vegetarier, die außer Pflanzen auch Produkte von lebenden Tieren essen, und Veganer, die auf alle vom Tier stammenden Erzeugnisse verzichten: Um Viren und Bakterien für die Impfstoffproduktion zu vermehren, seien Zellen oder Eiweiße zum Beispiel von Tieren nötig. „Da es zu den Herstellungsverfahren bislang keine Alternativen gibt, kann kein Impfstoff die Kriterien allein für die Bezeichnung vegetarisch oder gar vegan erfüllen.“ Der Vebu beruft sich bei seiner Einstufung auf Informationen des bundeseigenen Paul-Ehrlich-Instituts, das Impfstoffe zulässt und überwacht.
Hinzu kommt dem Verband zufolge, dass Tiere auch leiden müssen, wenn die Substanzen entwickelt werden. Gesetzliche Regelungen schrieben vor, dass Impfstoffe zuerst an Tieren getestet würden. Obwohl an Ersatzmethoden geforscht werde, seien Experimente mit lebenden Tieren weiterhin üblich.
„Aus diesen Befunden ergibt sich für Veggies ein Dilemma“, urteilt der Vebu: Wer seine und die Gesundheit anderer Menschen schützen will, muss Tierleid in Kauf nehmen. Einträge in Internetforen zeigen, dass sich gerade Veganer tatsächlich in dieser Zwangslage sehen.
Medikamente sind auch nicht vegan
Der Vebu rät deshalb, „mit seinem Hausarzt individuell zu besprechen, welche Impfungen notwendig sind und welche optional.“ Auch viele „Nicht-Veggies“ würden infrage stellen, ob die insgesamt 14 von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Standardimmunisierungen „unbedingt notwendig“ seien. Dabei sollten Tierfreunde aber vor allem eines bedenken: Wer sich wegen fehlender Impfung anstecke, müsse mit Medikamenten behandelt werden, „die wiederum aufgrund der Inhaltsstoffe und Tierversuche nicht vegetarisch-vegan sind.“
Der Vorsitzende der Impfkommission, Jan Leidl, verteidigte die Empfehlungen seines Gremiums. „Das sind alles keine vergnüglichen Sachen, vor denen wir empfehlen, sich und seine Kinder durch Impfung zu schützen“, sagte er der taz. „An Infektionen mit dem Rotavirus beispielsweise stirbt man in Deutschland nicht.“ Aber jährlich müssten 25.000 bis 30.000 angesteckte Kinder ins Krankenhaus und etwa 100 intensivmedizinisch behandelt werden.
Vebu-Geschäftsführer Sebastian Zösch wies im Gespräch mit der taz den Vorwurf zurück, es sei unverantwortlich, während der aktuellen Impfdiskussion auf das Tierethik-Problem der Präparate hinzuweisen: „Wir überlassen jedem die freie Wahl. Jeder muss gucken, wo er seine eigene Grenze zieht. Wir stellen einfach nur Informationen zur Verfügung.“
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