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Geste gegen RassismusDebatte um deutschen Kniefall

Die deutsche Elf kniet vor dem Achtelfinale gegen Rassismus. Die Europameisterschaft ist voll von politischen Gesten. Sie stehen für einen Wandel.

Gemeinsames Knien: das deutsche Team (schwarz) protestiert gemeinsam mit dem englischen Team Foto: Mike Egerton/dpa

Aus dem Kniefall ist in Deutschland natürlich sofort ein Knie-Fall geworden. Noch am Tag nach dem Ausscheiden gegen England bei der Männer-EM ereiferten sich die Rechten bei Twitter, und nicht umsonst gerade dort, gegen das Anti-Rassismus-Knien. Der Tenor: eine rückgratlose, woke Millionärs­truppe von Nicht-mehr-Deutschen denke nur noch an Regenbogenbinden und schwarze Kriminelle. Manchmal ging beides auch arg durcheinander: einen Kniefall „vor der LSBTIQ-Lobby“ wollte Beatrix von Storch gesehen haben. Fast richtig, das war der Arm, nicht das Knie.

Nie zuvor ist ein Turnier derart voll von politischen Bekenntnissen gewesen. Das wäre vor zwanzig Jahren unvorstellbar gewesen. Und es ist durchaus erst mal Zeichen echten Fortschritts, wenn Neuer sagt: „Für uns war es gar keine Frage. Wir finden es gut, dass man sich so positioniert, da mussten wir gar nicht lange darüber nachdenken.“ Wenn die NZZ giftet, der Fußball würde jetzt nicht mehr Menschen vereinen, sondern trennen, dann übersieht sie mutwillig, dass Menschen auch früher nicht alle durch den Fußball vereint waren. Schwule oder Schwarze etwa blieben und bleiben außen vor.

Gleichzeitig haben diese Aktionen, die von Polen bis Italien alle in Aufregung versetzten, natürlich etwas Wohlfeiles. Streitbare politische Kritik äußern die Spieler nicht, es geht so allgemein wie möglich um Toleranz und Menschlichkeit. Nicht grundlos erinnern diese Aktionen an die Hashtags und Profilbildchen der sozialen Medien, wo sich verdächtig macht, wer nicht zum richtigen Zeitpunkt einen Regenbogen über das eigene Profilbild tackert.

Der Fußball ist social-medialisiert worden. Jeder steht unter Gruppenzwang, sich schnell mal positionieren zu müssen. Und sich der Wirksamkeit von Bildern bewusst zu sein. Nicht umsonst knieten die Deutschen, weil die Engländer knieten, und trugen die Engländer eine Regenbogenbinde, weil die Deutschen sie trugen. Deutsche, die einen Rassismusprotest verweigern, wie hätte das ausgesehen?

Es ist eine sehr liberal-kommerzielle Symbolik, wie sie zuerst die großen US-Konzerne vorgemacht haben. Und trotzdem kann man den deutschen Spielern nicht vorhalten, das sei risikofrei; der Twitter-Shitstorm verdeutlicht, dass das Nationalteam durchaus etwas zu verlieren hat. Es steht aber mittlerweile von zwei Seiten unter Positionierungsdruck. Einen Shitstorm hätte es auch fürs Stehenbleiben gegeben. „Ein echter Pole kniet nur vor Gott“, das wäre in Deutschland eher nicht mehrheitsfähig. Man kann all das kritisieren, und man muss sich davon keinen großen Wandel erhoffen. Mainstream-Regenbogen und -Kniefall stehen zugleich aber für einen Wandel, der sich schon ereignet hat. Das ist nicht das Schlechteste.

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17 Kommentare

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  • „Ein echter Pole kniet nur vor Gott“ - Ein Kniefall vor der Menschlichkeit sollte doch wohl auch ein Kniefall vor Gott sein, oder welchen Gott meinen die?

  • Ein angenehm nach-denklicher Kommentar. Danke dafür.

  • Ich seh da keine Debatte. Weil die üblichen Verdächtigen der konservativen Presse und irgendwelche rechten Internettrolle bei Regenbogenfarben und Protesten gegen Rassismus Schnappatmuing bekommen und sich bei Twitter ausheulen ist das noch lange keine Debatte.

    Und wie kann das Ganze schlicht liberal-kommerzielle Symbolik sein, wenn da in den Kadern der beiden Mannschaften 12 farbige Spieler stehen?

    Das sagt viel mehr aus und hat viel mehr Beachtung verdient, als die Gülle, die da von rechts abgesondert wird.

  • Dass die mediale Präsenz einer Fußball-WM/EM als Werbeplattform dient, ist doch nun wirklich nicht neu. Die Gesten verkommen als Verstärker der übrigen Werbung, der Nike-beschuhte Fuß unterhalb des gebeugten Knies.

    Mal sehn, welche Lobby bei nächsten Mal ihre Zeichen/Gesten platzieren oder als Werbeträger verkaufen kann.

  • Juhu, da freut man sich ja schon auf die WM in Katar.



    Da läuft ja zum Glück alles mit rechten Dingen ab. :-)

  • Eine gut gemeinte, aber hohle weil folgenlose Geste. Wenn man wenigstens hinterher Fußball gespielt hätte...

  • Ich weiß nicht, ob es nur ganz allgemein um Tolereanz und Menschlichkeit geht. Gegen zwei Außenseiter oder einfach für's schöne Wetter würde man soetwas nicht machen. Ich denke man sollte schon so ehrlich sein, dass diese Aktion gegen alle gesellschaftlichen Kräfte und Menschen geht, die man aus tiefstem Herzen ablehnt und deren Einfluss man begrenzen will. Und das sind glaube ich nicht wenige Kräfte und Menschen, sonst würde man so eine Aktion nicht machen.

    Wie immer steht dahinter ein bunter Mix: es geht auch um Menschlichkeit, es geht um mehr Macht für neue (Mehrheits)gruppen, es geht um eine Mehrheitsgesellschaft, die ihre Weltsicht verteidigen (durchsetzen) will - verschiedene Dinge eben.

    • @Markus Michaelis:

      "Ich denke man sollte schon so ehrlich sein, dass diese Aktion gegen alle gesellschaftlichen Kräfte und Menschen geht, die man aus tiefstem Herzen ablehnt und deren Einfluss man begrenzen will."



      Da habe Sie richtig gedacht, es geht gegen Rassisten!

  • Bei dieser EM hat sich Deutschland mehr um irgendwelche Zeichen als um Tore gekümmert. Beim nächsten mal sollte man Binden, Farben und Kniefälle lieber wieder sein lassen und sich statt dessen wieder etwas mehr um Ball und Gegner kümmern.

    • @DiMa:

      Ach, haben die Zeichen die deutsche Elf mehr abgelenkt als die englische? Das ist dann doch ein bisschen platt, s. Kommentar von Sven Günther unten.

      • @mats:

        Ob die englische Mannschaft kurz vor dem Anpfiff ein Zeichen gegen die Massentierhaltung oder für den Weltfrieden setzt (oder auch nicht) ist mir ehrlich gesagt total egal.

        Nur wurde das Thema bei dieser EM total überfrachet.

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @DiMa:

      Ach naja, ich finde es gut, dass die Fußballer nicht mehr so doof sind wie früher. Führt dann aber auch dazu, dass sie empfindlicher sind und die Leistung leidet.



      Aber Sprüche wie "Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien" waren schlimmer.

      • @4813 (Profil gelöscht):

        Wattn dat fürn Klischee, "Mann, nicht doof = empfindlich, tendenziell Loser"?

        • 4G
          4813 (Profil gelöscht)
          @mats:

          Ja so isses, Mann nicht doof = empfindsam == keine Maschine, darum Mal so Mal so.



          Der Lottar Matthäus hätte nicht geweint wie Kimmich. Aber am Ende ist der Kimmich glücklicher und der Lottar der Loser. Hat Gott so eingerichtet.

  • "ereiferten sich die Rechten bei Twitter"

    Ja, aber die ereifern sich über alles mögliche und das auch noch mit "Argumenten" aus der Hölle.

    Trixie auf Twitter:



    "Wer auf seinen Knien liegt, ist von Anfang an besiegt. Wer Mut hat, dem gehört das Leben. Der lässt sich seinen Stolz nicht nehmen. Und niemals brechen und nicht biegen. Und der wird am Ende siegen. #EM2021 #Wahl2021 #AfD"

    Gut die Engländer haben auch alle gekniet und gewonnen, die Russen haben gegen Belgien nicht gekniet und 3:0 verloren. Auf so Leute musste man noch nie viel geben...

    • @Sven Günther:

      Da muss ich Twitter-Trixie an den Sänger der Böhsen Onkelz erinnern: Der tönte groß von wegen "lieber stehend sterben, als kniend leben" und beging dann Fahrerflucht. Er nahm den potentiellen Tod des Schwerverletzten in Kauf, um seine eigene Haut zu retten. So viel zum Thema Rhetorik und Realität bei den Nationalisten...

      • @Parabel:

        Wobei das Lied eine Frechheit der Onkelz ist.

        Der Spruch "Lieber aufrecht sterben, als auf Knien leben" ist vom mexikanischen Revolutionär Emiliano Zapata. Ideologisch sind da die Verbindungen ganz dünn, denen hat einfach das wording gut gefallen.