Geplantes „Bürgergeld“: Der Kampf gegen Armut geht weiter
Das neue „Bürgergeld“ fällt zu niedrig aus, aber es enthält auch Gutes: Die Macht der Arbeitsagentur gegenüber den Empfänger:innen wird gestutzt.
J a, klar, es ist natürlich zu wenig, wenn der Regelsatz im Hartz-IV-Bezug zu Beginn des kommenden Jahres mit der Umwidmung der Leistung in ein „Bürgergeld“ wahrscheinlich nur um 10 Prozent, also um bis zu 50 Euro im Monat, steigen wird. 500 Euro zum Leben, wovon neben Stromkosten, Lebensmitteln, Kleidung und Drogeriewaren auch Medikamente, Handy, Internetanschluss, Fahrkarten, Waschmaschinenreparatur und vieles mehr bezahlt werden muss: das ist Armut und Dauerverzicht. Punkt.
Das Bürgergeld bleibt also trotz der von SPD-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil geplanten Erhöhung viel zu knapp. Trotzdem verdient der Gesetzentwurf, den Heil am Mittwoch vorstellte, neben Kritik auch Anerkennung. Es ist ein richtiger Gedanke, Menschen im Leistungsbezug mehr Mitspracherechte einzuräumen bei der Wahl der eigenen Weiterbildung, die mit einem Extrabonus vergütet wird.
Nach all den Jahren weiß man in den Jobcentern, dass der Ansatz, Empfänger:innen von Arbeitslosengeld II in ungeliebte Trainingsmaßnahmen oder schlecht entlohnte Zeitarbeit zu zwingen, gescheitert ist, weil sich dadurch kein nachhaltiges Erwerbsleben aufbauen lässt. Es war ein Paradox, dass gerade in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit, der fehlenden Jobs um die Jahrtausendwende, von den „faulen“ Arbeitslosen die Rede war, deren Leistung man ruhig kürzen könnte.
Notwendiger Schirm
Heute werden Arbeitskräfte gesucht, die Zahl der Erwerbslosen ging in den vergangenen Jahren zurück. Der Hartz-IV-Bezug ist ein Schirm geworden, unter dem sich millionenfach Menschen versammeln, die wegen fehlender Ausbildung, körperlicher und psychischer Einschränkungen, mangelnder Sprachkenntnisse, familiärer Pflege, Kinderbetreuung und anderer Gründe nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt durch bezahlte Arbeit selbst zu verdienen. Auch für sogenannte niedrigqualifizierte Jobs etwa im Gastrobereich braucht man neben Sprachkenntnissen ein Durchhaltevermögen, das viele Akademiker:innen nicht aufbringen würden.
Also Schluss mit den Vorverurteilungen. Im Gesetzentwurf ist ein „Schlichtungsmechanismus“ vorgesehen, falls sich Vermittler:innen und Klient:innen nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen können. Dieser Versuch, die Abhängigkeit von einem einzelnen Sachbearbeiter im Jobcenter zu verringern, ist richtig. Was die Armut betrifft, muss auch beim Bürgergeld natürlich der Kampf weitergehen für das pauschale Bezahlen etwa von Stromkosten oder von ÖPNV-Monatskarten, also für höhere Regelsätze.
Das darf weder Heil erspart bleiben noch der FDP, die schon den vorliegenden Entwurf blockiert.
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