Gaza-Proteste in Deutschland: Propalästinensische Demos an Unis
An einigen Universitäten in Deutschland finden propalästinensische Demos statt. Sollten sie zugelassen werden? Ein Pro und Contra.
Ja.
G aza ist ein Schlachthaus. Mit dem Vormarsch der israelischen Armee auf Rafah, wo sich mehr als eine Million Menschen drängen, werden sich die humanitäre Krise und die Hungerkatastrophe dort verschärfen und noch mehr Menschen sterben.
In Deutschland gibt es im Vergleich zu anderen Ländern wenig Protest gegen diesen Krieg – dabei sind wir nach den USA der engste Verbündete Israels. Das liegt auch daran, dass der Staat solche Proteste zum Teil hart unterbindet, insbesondere in Berlin: Eine umstrittene „Palästina-Konferenz“ wurde verhindert, ein Protestcamp vor dem Bundestag mit Polizeigewalt aufgelöst, zuletzt zwei Proteste an Berliner Universitäten im Keim erstickt. Dafür werden umstrittene Parolen sehr einseitig interpretiert, zu Straftaten erklärt, Versammlungen werden aufgelöst und verboten. Das erinnert an autoritäre Regime – egal wie man zu den Protesten steht.
Es ist gut, dass rund 100 Berliner Professor:innen und Dozent:innen dieses Vorgehen kritisiert und das Recht auf Protest an ihren Hochschulen verteidigt haben. Dass sich die FDP-Wissenschaftsministerin Bettina Stark-Watzinger einer Hetzkampagne der Bild-Zeitung anschließt und ihnen vorwirft, nicht auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen, ist ein starkes Stück. Damit hat sie ihre Fürsorgepflicht grob verletzt. Stark-Watzinger sollte zurücktreten. Sie ist für ihr Amt ungeeignet.
Hätten sich die Wissenschaftler:innen auch für rechte Proteste starkgemacht? Vermutlich nicht. Menschen, die gegen einen Krieg demonstrieren, sind aber nicht mit Menschen vergleichbar, die andere deportieren wollen. In Deutschland üben Politik und Medien viel Nachsicht gegenüber rechten Protesten: Die Pegida-Bewegung konnte monatelang gegen Muslim:innen hetzen – ihre Wortführer wurden in TV-Talkshows eingeladen, sie selbst als „besorgte Bürger“ verharmlost. Wer gegen den Gazakrieg protestiert, wird dagegen fast zum Staatsfeind erklärt. Das muss aufhören.
Daniel Bax
Nein.
Natürlich möchte jede Generation von Studierenden historisch so bedeutsam sein wie die Student*innenbewegung der 1968er. Das ist verständlich. Schließlich haben die Proteste vor einem halben Jahrhundert einen kulturellen Wandel angestoßen, der bis heute nachwirkt. Dazu gehört, dass die Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Deutschland als nahezu unantastbar gilt. Aber eben nur nahezu.
Die Unterstützer*innen der Gazaproteste argumentieren, dass den Studierenden das Recht auf Meinungsäußerung zusteht – egal wie sie zum Gazakrieg, zur Hamas und zu Israel stehen. Kurzum: unabhängig von Inhalten. Spinnen wir diesen Gedanken einmal weiter: Studierende haben das Recht, auf dem Campus zu demonstrieren. Umgehend die Polizei zu rufen und die Versammlung auflösen zu lassen, ist undemokratisch. Punkt. Wenn dieses Prinzip gilt, dann nicht nur für Linke mit Palästinensertüchern und antiisraelischen Parolen. Auch rechte und rechtsextreme Student*innen könnten munter an den Unis Plakate mit „Umvolkung“, „Meinungsdiktatur“ und „Hängt Habeck“ herumtragen.
Proteste können nicht unabhängig von ihren Inhalten beurteilt werden. Wie auf Worte Taten folgen, haben wir oft genug leidvoll erlebt. Bei jedem rechtsextremen Anschlag hat es im Vorfeld Brandstifter gegeben. Worte rechtfertigen Gewalt. Zur Wahrheit gehört, dass die politische Linke diese Linie auch schon überschritten hat.
Die Protestierenden an der Berliner FU fordern nicht einfach ein Ende des Gazakriegs. Sie verlangen, Israel/Palästina zu „dekolonialisieren“ und Palästina „from the river to the sea“ (vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer) zu „befreien“. Harmlos ist das nicht, denn es bedeutet, Israel das Existenzrecht abzusprechen, es wortwörtlich abzuschaffen. Ja, stimmt, solche Auslöschungsfantasien klingen nicht unbekannt. Eine Hochschule muss sie nicht hinnehmen und hat jedes Recht, die Proteste räumen zu lassen. Gut, dass die FU Berlin dieses Recht wahrgenommen hat.
Silke Mertins
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