Gaza-Proteste an Universitäten: Diskurs statt Polizei
Weil sie Polizeieinsätze an Unis kritisierten, stehen viele Dozierende selbst in der Kritik. Der Historiker Michael Wildt will eine Entschuldigung.
Dass der Polizeieinsatz an der FU mit aggressiven Parolen und der Dialogunwilligkeit der Protestierenden begründet wurde, sei bedenklich. Aggressive Parolen zu schützen, sei gerade „das Wesen der Versammlungsfreiheit“, Dialogfähigkeit dort kein Kriterium. Der Polizeieinsatz an der FU sei mindestens unnötig gewesen. Klüger agierende Universitäten in Köln und Frankfurt hätten gezeigt, dass es möglich ist, anders mit radikalen Protesten umzugehen.
Der NS-Historiker Michael Wildt hatte mit anderen ProfessorInnen gegen den Polizeieinsatz an der FU protestiert. Das hatte ihm und anderen in der Bild-Zeitung in steckbriefhafter Aufmachung der Vorwurf eingetragen, „Juden-Hass-Demos“ zu unterstützen.
Bei Bild mag solch grobe Denunziation nicht verwundern – das Verhalten der FDP-Bundesbildungsministerin wirkte erklärungsbedürftig. Bettina Stark-Watzinger hatte erklärt, das Statement von Wildt & Co mache sie „fassungslos“. Gerade „Lehrende müssen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen“. Das war, kaum verhüllt, der Vorwurf, dass sich die inzwischen mehr als 1.000 UnterzeichnerInnen mit ihrem Brief verfassungsfeindlich betätigt hätten.
Abwegig
Wildt kritisierte in Berlin diesen Vorwurf als „abwegig“. Dass sich die Ministerin nur auf die Bild-Berichte bezog, ohne mit den VerfasserInnen geredet zu haben, sei erstaunlich. Er hofft auf eine Entschuldigung von Stark-Watzinger.
Miriam Rürup, Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam, plädierte dafür, die Vielfalt der Stimmen zuzulassen. „Wenn man niedergeschrien wird, muss man halt abwarten, bis es vorbei ist“, so Rürup. Es gehe darum, „klare Kante gegen Antisemitismus zu zeigen“. Und sich gegen einen Antisemitismusbegriff zu wehren, der verkürzt eingesetzt wird.
Wildt betonte, es sei die Aufgabe von Lehrenden an Universitäten, Spannungen zu deeskalieren. Dabei seien Polizeieinsätze das völlig falsche Mittel. Dass sich jüdische Studierende „nach dem 7. Oktober alleingelassen gefühlt haben“, dürfe sich nicht wiederholen, so Wildt. Es gehe darum, die Selbstregulierungskompetenz der Universitäten zu stärken und kein autoritäres Staatsverständnis zu befördern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung