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Europa und die USADie Rückkehr des Westens

Gastkommentar von Ernst Hillebrand

Seit dem Ukrainekrieg ist der Westen als politisches Projekt wieder en vogue. Vergessen, aber nicht überwunden sind die inneren Widersprüche.

Wolodymyr Selenskyj erhält einen Fragebogen zu einem möglichen EU-Beitritt, 8. April 2022 Foto: Adam Schreck/AP/dpa

F rei nach Wilhelm Busch könnte man sagen: Drei Jahre war der Westen so krank – jetzt raucht er wieder, Gott sei Dank! Die Schwächegefühle, die die westliche Welt die letzten Jahre beschlichen, sind dank des ukrainischen Widerstandswillens wie weggeblasen.

Überwunden der Kabul-Schock, als die afghanische Armee nicht im Traum daran dachte, für „westliche Werte“ zu sterben. Verdrängt der Corona-Schock, als Sterberaten und Wirtschaftsrückgang in den westlichen Industrieländern (und nicht zuletzt in ihrer Führungsmacht USA) weit über den Werten Ostasiens, vor allem des „Systemrivalen“ China lagen.

Und vergessen der Trump-Schock, als nicht nur die transatlantische Verteidigungsgemeinschaft, sondern auch die vermeintliche gemeinsame Wertewelt des Westens einem populistischen Stresstest unterzogen wurde.

Die Soldaten und Freiwilligen in der Ukraine zeigen, dass das westliche Modell immer noch so attraktiv ist, dass Menschen dafür zu sterben bereit sind. Und der Westen wiederum kann zeigen, dass er zum entschlossenen und gemeinsamen Handeln fähig ist – schlicht, dass es ihn tatsächlich noch gibt.

Bild: privat
Ernst Hillebrand

ist Leiter des Referats Internationale Politikanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung. Eine Langfassung des Beitrags gibt es in „Die Gute Gesellschaft – Soziale und Demokratische Politik im 21. Jahrhundert“ (Suhrkamp 2013).

Moralische Überlegenheit war angekratzt

Garniert wird die Rückkehr des Westens mit dem angenehmen Gefühl der moralischen Überlegenheit – ein Gefühl, das postkoloniale Identitätsdebatten, die Ahnung, dass der Irak- und der Libyenkrieg vielleicht doch nicht ganz den Idealen des Völkerrechts entsprochen hatten, sowie die mit dem Klimawandel verbundenen Selbstvorwürfe in letzter Zeit doch ein bisschen angekratzt hatten.

Ein Paradox dieser Revitalisierung des Westens besteht darin, dass sie in mancherlei Hinsicht aus Faktoren erwächst, die mit dem Zeitgeist des postmodernen Westens wenig zu tun haben. Aus dessen Perspektive ist der Kampfeswille der Ukrainer ein Atavismus; er basiert auf Vorstellungen, die in der postheroischen und postnationalistischen Welt des Kosmopolitismus eigentlich keinen Platz mehr haben.

Es ist faszinierend zu sehen, wie Medien, für die das Adjektiv „nationalistisch“ normalerweise einen Maximalvorwurf darstellt, sich für die Geburt eines (historisch ja auch nicht ganz unproblematischen) ukrainischen Nationalgefühls begeistern.

Die Zeit zitiert einen polnischen, PiS-nahen Intellektuellen, der spottet: „Ich würde mal sagen, das mit „metrosexuell“ hat sich vorerst erledigt, wenn Männer an die Front ziehen und die Frauen bei den Kindern bleiben, oder?“

Zudem wird völlig übersehen, dass der Konflikt nicht nur eine Systemdimension hat – westlich-liberale Staats- und Demokratievorstellungen vs. oligarchischen Autoritarismus à la Putin –, sondern auch eine kulturelle. Samuel Huntington wies immer wieder darauf hin, dass die „Bruchlinie“ zwischen der westeuropäischen Kultur- und Zivilisationssphäre und der der Orthodoxie mitten durch die Ukraine geht.

Und dennoch bleibt zunächst natürlich der Fakt, dass die Ereignisse in der Ukraine den „Westen“ sowohl als ideologisches Konstrukt wie als handelnde Gemeinschaft schlagartig wiederbelebt haben.

Wie lange wird und kann das tragen? Hier ist Skepsis angesagt. Heinrich August Winkler definiert den Westen als „normatives Projekt“, das aufklärerische Grundwerte in Institutionen und Normen gegossen hat: Menschenrechte, säkularisierte Hoheitsgewalt, repräsentative Demokratie, Gewaltenteilung, bürgerliche Freiheiten und Rechtsstaatlichkeit.

Den Menschen in der Ukraine dankbar sein

Das Problem dieses Projekts bestand in den letzten Jahren weniger in den externen Herausforderungen durch autoritäre Systemalternativen oder dem Auftauchen neuer, nicht westlicher Akteure auf der Weltbühne. Auch die Formulierung illiberaler Konzepte von Demokratie durch marginale konservative Akteure wie Orbán oder Kaczyński war nicht wirklich wichtig.

Das Problem des „Westens“ waren (und sind) seine inneren Widersprüche und seine wachsenden Probleme, die Errungenschaften einer säkular-demokratischen Gesellschaft gegen innere Erosionsprozesse zu verteidigen.

Die Spaltung der Lebenswirklichkeit von Gewinnern und Verlierern von Internationalisierungsprozessen lässt die Vorstellung einer „normativen Gemeinschaft“ für viele Menschen immer künstlicher erscheinen. Wie tief dieser Riss auch in Europa geht, wird die zweite Runde bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen am 24. April wieder zeigen.

Die repräsentative Demokratie verliert an sozialer Repräsentativität und politischer Gestaltungskraft; die Säkularisierung der westlichen Gesellschaften, die Gleichheit von Mann und Frau und das Recht auf individuelle Selbstbestimmung wird in der multikulturellen Wirklichkeit westlicher Zuwanderungsgesellschaften normativ und praktisch infrage gestellt; subjektiv gefühlt geraten für viele Menschen Meinungsfreiheit und bürgerliche Freiheiten unter Druck, während repressive Ideologien und Dogmen im Aufwind sind. All diese Faktoren sind am 24. Februar nicht verschwunden.

Wir müssen den Ukrainern dankbar sein, dass sie ihren Kampf gegen eine autoritäre Kleptokratie kämpfen, für ihr Recht auf ein angstfreies Leben in einem Land ohne politische Gefangene und Giftanschläge. Wir sollten ihnen dafür tatsächlich den Weg nach „Westen“ – sprich in die EU – öffnen.

Aber so unangebracht die Abgesänge vor einigen Monaten waren, so künstlich ist nun das neue Stärkegefühl des „Westens“. Zumal diese Renaissance der eigenen Gewissheiten einige Aspekte – wie etwa die Irak-Invasion – so völlig ignoriert. Der Westen wird den geopolitischen Gewaltakteur Russland erfolgreich einhegen können – seine eigenen Widersprüche, Probleme und Paradoxien werden aber bleiben.

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64 Kommentare

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  • Es ist faszinierend zu sehen, wie Medien, für die das Adjektiv „nationalistisch“ normalerweise einen Maximalvorwurf darstellt, sich für die Geburt eines (historisch ja auch nicht ganz unproblematischen) ukrainischen Nationalgefühls begeistern.

    EXAKT!

  • +++Wir müssen den Ukrainern dankbar sein, dass sie ihren Kampf gegen eine autoritäre Kleptokratie kämpfen,+++

    Das ist schon wirklich sehr Tapfer und auch das Frau von der Leyen die Waffenlieferung uneingeschränkt unterstützt ist eine klare Ansage.

    Hoffe das die Ukraine wenigstens die Unabhängigkeit behält, die Russischen Truppen zurück drängen kann und auf das O. Scholz mehr Mut bei den Waffenlieferungen zeigt, auch gegen seine eigene Partei.

    Die Ukraine führt den Kampf, den nach meiner Meinung auch wir mit zu verantworten haben, denn die Russlandfreundliche Politik, auch noch nach der Vernichtung von Aleppo in Syrien war ein Fehler.

    Putin sagt zwar das die Sanktionen nicht wirken, aber je mehr diese ihn ärgern, umso mehr glaub ich, das die Sanktionen schon etwas bewirken.

  • Interessant, aber leider kein Wort zu China.

  • Der Westen ,der Osten-



    Nicht taugliche Begriffe,



    Eigentlich Himmelsrichtungen.



    Fuer den Nordamerikaner ist Spanien im Osten gelegen



    Und der wahre Osten beginnt für mich bei Japan.



    Alles ist relativ und eine Frage des Standortes und der Perspektive.



    Nichtssagend eigentlich.



    Aufgebaute Popanze und Feindbilder.



    Wer aber konkret der beinahe globalen Lebensgefahr ,die durch Diktatoren von Imperialen Großmächte n ausgeht,auch der Umweltzerstörung,der atomaren Gefahr,entgehen möchte,dem empfehle ich: auswandern ,bald,autark leben auf zb.:den Azoren, Kapverden, Madeira,mindestens!

    • @Trotzleo:

      Am ehesten wird man auf St. Helena überleben können: Die ca. 4000 Einwohner bauen Kartoffeln an, züchten Schafe und die chinesischen Fischdiebe kommen noch nicht so weit. Nur: Es ist eine Perspektive für nur ganz wenige, soviel Platz haben die Menschen nicht und der technische und medizinische Fortschritt bleibt draussen vor, vor allem, wenn die sehr seltenen Hilfslieferungen vom Mutterland ausbleiben. Das monatliche Schiff aus Kapstadt war zu teuer und die Flugverbindung aus Südafrika, einmal wöchentlich, wurde -nicht nur Corona-bedingt- wieder eingestellt. Aber ein Beispiel für eine Gemeinwohlwirtschaft, bei der kein Globalist stören kann, sogar einen eigenen -natürlich ehrenamtlich und ohne Werbung- Radiosender betreiben die bescheidenen Insulaner.

  • Ob der Westen wieder en vogue ist - ich bezweifle es, letzten Endes ist es für die Ukraine wohl einfach das kleinere Übel und damit Pragmatismus.

    Denn was sind die Alternativen - Russland? Seit 2014 mit der Annektierung der Krim für die Mehrheit in der Ukraine keine Option mehr, und spätestens seit Kriegsbeginn erst recht nicht.

    Die Türkei oder China? Beides keine ernsten Optionen.

    Damit wird die Wahl dann doch ziemlich eng, in welche Richtung man sich streckt, wenn man als eigenständiger Staat weiter existieren will. Nein, eigentlich kann man sagen, dass Russland die Ukraine in die Richtung geschoben hat.

  • Wo Huntington seine scharfen Linien zog weiß ich nicht, aber es ist sicher nicht so zu verstehen, dass das simpel durch die Mitte verläuft oder die Ukraine schön sauber in Ost und West teilt. Gerade der (sehr) ländliche Westen wird westeurop. Idealen in dieser Hinsicht fürcht ich kaum entsprechen, das hat auch wenig mit Orthodoxie zu tun, vgl. etwa Polen und Griechenland. Richtig problematisch wird's für mich wo Gefühle problematisiert werden, erst recht nationale, das sollte man mein ich den Gemeinten mit sich auszumachen überlassen. Wer's in dem Fall allerdings für historisch fragwürdig hält, dürfte etwa von der EU ja erst recht wenig erwarten, denn verglichen damit mangelt es dem ukr. Beispiel nicht an Argumenten. Nun geht es bei sowas aber auch und zum Glück nicht (mehr) um essentialistische Vorstellungen oder Schicksaldenke, sondern sowas vergeht und entsteht auch, wie vieles andere. Gerade aus deutscher Perspektive und wenn man's nun schon mit Geschichte hat und weiß wie erst diese Nation entstand, etwas mehr Zurückhaltung und Demut stünde zu Gesicht. Auch glaub ich mit Verlaub nicht, dass nun gerade deutsche Intellektuelle "den" Westen definieren, ihren vielleicht, doch schon aus diesem Artikel verströmt insb. die Ahnung eines wieder und wieder großen Missverständnisses und das typisch deutsche Fremdeln mit dem vorgeblichen Gegenstand. Was die Ukraine zumindest in Teilen aber durchaus vorführt und zwar nicht zuletzt den Deutschen ist doch genau das. Dass es nicht so sehr geografische Frage ist, wie stark dieser Drang, dieses Verlangen, diese Überzeugung gen Westen ist.

  • Danke E. Hillebrand!



    Der 'Wertewesten' ist für mich nur der werte Westen, wenn ich auf das Big Picture schaue. Schlagzeileninduzierte Weltvorstellungen, selektive Wahrnehmung, selbstreferenzielle Verabsolutierungen, Ideologiegläubigkeit, die eigene Biographie – alles steht uns im Weg beim Versuch, so eben mal den Anteil des ‚Wertewestens‘ am Weltgeist genau auf den Punkt zu bringen. Deshalb nur eine weitere Meinung: Mich widert ‚der Westen‘ manchmal an, (vielleicht, weil ich kritische Medien vorziehe und alt genug bin, manche Blamagen des ‚Wertewestens‘ miterlebt zu haben). Indes, es gibt die vielen guten Qualitäten des Westens eben auch. ‚Kapitalistische‘ Unternehmer:innen investieren hohe Summen und teilweise ihr Leben in Humanität und soziale Wohlfahrt, hier und im Ausland. Forscher:innen können weitgehend frei forschen, Humanitäre Institutionen, NGOs und private Akteur:innen leisten positive Wertevermittlung hier und überall auf der Welt, gescholtene, sogar verachtete Bundestagsabgeordnete ruinieren sich ihre Gesundheit bei den Anstrengungen fürs Gemeinwohl, medizinisches Personal leistet überobligat, der offene, kritische Diskurs ist ein Markenzeichen des Westens, zwischenmenschlich wird (trotz massiver medialer Pervertierungsversuche) Anständigkeit, empathisches Sozialverhalten und Aufrichtigkeit weiterhin tradiert, die Meinungsfreiheit (mal das Ranking googeln!) ist, wie viele andere Menschenrechte, nirgends auf so hohem Standard wie im kollektiven ‚Westen‘.



    Wenn man entsprechende Medien nutzt, findet man tausende Beispiele dafür, wer dabei ist und was alles passiert, diese ‚westliche Kultur‘ positiv sich auswirken zu lassen. Das ist für mich, neben und mit den vielen Schwächen und Missständen (siehe o.g. ‚innere Widersprüche‘) der werte Westen.



    Ich kann, wie #ABDURCHDIEMITTE, seit Kriegsbeginn schlechter schlafen. Wegen der Opfer, Zerstörungen, aber auch, weil ich etwas bedroht fühle, was mir viel wert und dabei zufällig (?) im ‚Westen‘ zu Hause ist.

  • Der Westen wird seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion von seinen Gegnern als Westen definiert. Ansonsten wird es sehr ungenau mit der Definition des sogenannten Westens. Gehört Chile und Argentinien zum Westen? Wenn ja oder nein-warum/warum nicht?



    Gehört Griechenland zum Westen, das geographisch westlich von Griechenland gelegene Serbien aber nicht? Seit wann ist Polen Teil des Westens und wäre Frankreich unter Le Pen nicht mehr der Westen?....

    Die Debatte der letzten Jahre über die Kolonialgeschichte und ihre Spätfolgen ist und war wichtig, wurden aber auch hier schon maximal pauschalisiert. Denn auch das osmanische Reich, Russland, Japan, China haben beim fleißig kolonialisiert. Auch hier war es nicht nur der sogenannte Westen. Auch im Westen hatten die einfachen Leute keine Entscheidungsgewalt. Für nicht wenige kolonialistische Expeditionen wurden straffällig gewordene Personen in Europa zwangsrekrutiert und hatten die Wahl zwischen Galgen oder Schiffsreise nach Afrika.

    Die Debatten über den Westen werden in mancherlei Hinsicht sehr oberflächlich geführt. Sowohl in der Pauschalritik als auch in der Lobpreisung des Westens, ist immer der Wunsch nach Vereinfachung und Schwarz/weiß Denken zu erkennen.

    • @Alfonso Albertus:

      Der "Westen" ist hier nicht geographisch zu verstehen:

      "Heinrich August Winkler definiert den Westen als „normatives Projekt“, das aufklärerische Grundwerte in Institutionen und Normen gegossen hat: Menschenrechte, säkularisierte Hoheitsgewalt, repräsentative Demokratie, Gewaltenteilung, bürgerliche Freiheiten und Rechtsstaatlichkeit."

      Das der "Westen" mitunter hinter seine eigenen Ideale zurückfällt, ist leider wahr, dies ändert aber nichts daran, dass ich persönlich (und hoffentlich die Mehrzahl diese Ideale allen anderen Werteordnungen vorziehe.

      • @Schalamow:

        Klar. Nur wo war der "Westen" im Irak, in Vietnam, in Serbien, in Libyen, in Chile ... ?

        • @Robin7:

          Der «Westen» ist nicht perfekt und hat weder im Irak, noch in Vietnam, in Serbien, in Libyen, in Chile etc. eine gute Figur abgegeben. Diese Ereignisse wurden aber im «Westen» zu Recht immer sehr kontrovers diskutiert. Aber in keinem dieser Fälle ging es um die Vernichtung der Bevölkerung eines ganzen Landes.



          Es ist jetzt aber nicht das Thema.

    • @Alfonso Albertus:

      China hat als Weltmacht eben nicht in einem vergleichbaren Maßstab kollonialisiert.

      Chinas Schiffe erreichten mehrfach die Küste Amerikas, lange vor Kolumbus. Gleiches gilt für Afrika.

      Die Gräueltaten des Kollonialismus enstanden vor allem durch private Unternehmer. Die Expeditionen wurde mit Bankkrediten finanziert und diese mussten mit Zinsen zurück gezahlt werden.

      Die Geschichte des Osmanischen Reiches ist die von der Kontrolle der Handelsrouten im Mittelmeerraum. Das würde ich nicht mit Kollonialismus in einen Topf werfen.



      Das Römische Reich ist ein besseres Beispiel.

      Der Kollonialismus hat aus meiner Sicht vor allem Ausbeutung von Mensch, Land und Ressourcen als Ziel und ist der Ursprung des Kapitalismus, wie wir Ihn kennen.

      Die Chinesen betreiben aktuell deutlich zielstrebigeren "Kollonialismus" , als sie es in Ihrer gesammten Geschichte jemals getan haben.

    • @Alfonso Albertus:

      Moin, ich sehe beim 'Westen' eher ein freiheitliches Demokratiemodell, zumindest wird es so charkterisiert. Die Mitglieder der Gesellschaft werden mit in die Verantwortung genommen, wenn sie 'ihre' Regierung wählen. Allerdings gehört die Freiheit des Wirtschaftens für diejenigen, die die materiellen Voraussetzungen mitbringen, dazu. Und da werden die Bedingungen für den Lebensstandard der ganzen Gesellschaft von immer weniger Vermögenden, deren Eigentum vom Staat juristisch garantiert wird, bestimmt. Die Werbebotschaften, konsumieren zu 'dürfen', gehören dazu ! Die Unterschiede zwischen arm und reich unterscheiden (inzwischen, früher war der Reichtum besser verteilt, abgesehen von den Indigenen als Minderheit) die nördlichen 'entwickelten' Staaten von Argentinien und Chile, die -nicht zuletzt von Währungsmanipulationen- vom Norden her ausgebeutet werden konnten, südliche EU-Staaten hätten ohne den € ähnliche Probleme.

  • PS Vom klimaschädlichen Verhalten der Globalisten hatte ich oben noch gar nichts geschrieben: Wer Kapitalisten zugesteht, Rohstoffe auf Teufel komm raus zu verfeuern, ohne die Nebenwirkungen verantworten zu müssen, handelt gegen jede menschliche Vernunft, die iegntlich die 'westliche Wertegemeinschaft' kennzeichnen sollte. Alles Lüge !?!

  • 'der Westen' ist derzeit doch eher eine Notgemeinschaft, die nur in Verbindung mit einer Art Wohlfahrtsstaat funktioniert hätte. Die Abgehängten, die Trump mit seinen Sprüchen vom großen Amerika (und damit die vermeintlich Schuldigen jenseits der Ozeane orten möchte) einsammelt, sind ja eine Entwicklung gegen die demokratische



    West-Ideologie. Und auch wenn wir hierzulande auf die Querdenker schimpfen, irgendetwas in unseren so überlegenen System nuss schon schiefgelaufen sein, wenn eine größer werdende MInderheit sich aus diesem Konsenz verabschiedet. Der Zusammenhat funktioniert nur über einen Wohlfahrtsstaat mit netsprechender Wirtschaftskraft und einigermassen nachvollziehbar 'gerechter' Verteilung. Ein notwendig werdendes 'bedingungsloses Grundeinkommen' hat da nur eine Alibifunktion dafür, dass es viele Mitmenschen gibt, denen man eine eigene Existenzsicherung genommen hat. Wer gibt und nimmt Arbeit hierzulande: Der 'Fortschritt' oder derjenige, der davon profitieren will?

  • Als schwuler Mann bin ich über die negative Sicht vieler Linker auf "den Westen" immer wieder verwundert. Es sind fast nur die westlichen Länder, in denen man weitgehend offen und unbehelligt schwul leben kann, in denen Schwule weitgehend die gleichen Rechte haben. Auch sind die westlichen Länder am wenigsten patriarchalisch geprägt und es gibt am meisten Meinungsfreiheit und die am besten funktionierenden Demokratien. Der Mensch wird nicht als Teil eines Kollektivs gesehen, dem er sich unterordnen muss, sondern hat individuelle Freiheiten. Schon allein daraus entsteht doch eine moralische Überlegenheit.



    Dazu kommt, dass in diesen Ländern Wohlstand und Lebensstandard am höchsten sind, wobei selbst die, die als arm gelten einen höheren Lebensstandard haben, als der Durchschnitt bin vielen anderen Ländern, zumal auch die besten Sozialsysteme in westlichen Ländern zu finden sind. Darüber hinaus hat der Westen die besten Gesundheitssysteme, den höchsten technologischen Standard, die besten wissenschaftlichen Einrichtungen.



    Dass es "innere Widersprüche" gibt, zeigt, wie pluralistisch der Westen ist, es ist eben keine geschlossene Ideologie, die keine Widersprüche zulässt. Das ist Teil des Erfolgsrezepts.

    • @Ruediger:

      Ich bin kein Verteidiger des sogenannten Westens, übe aber auch keine pauschale Kritik. Mir ist die Definition des sogenannten Westens schlichtweg zu ungenau und auf den aktuellen Zeitgeist bezogen. Denn es gab Zeiten als die muslimischen Mauren in Andalusien die Glaubenfreiheit einführten und die katholische Kirche die repressivste Religion der Welt war. Oder der aus christlicher Sicht frühere Sündenpfuhl Konstantinopel(heute Istanbul) wo sexuell deutlich mehr erlaubt war, als im prüden Europa zu dieser Zeit.

      Die islamistischen Bewegungen in vielen muslimischen Ländern hatten durchaus einen antiimperialistischen Charakter in ihrer Entstehung. Auch hier ist die Entwicklung nicht gänzlich von der europäischen Kolonialgeschichte zu trennen.

      Es war Russland was am meisten Opfer im Kampf gegen die Nazis zu beklagen hatte und genau dieses Russland steht heute definitiv auf der falschen Seite der Geschichte.

      Gesellschaftliche Prozesse sind immer einer gewissen Dynamik unterworfen und nichts Statisches auf dem man sich ausruhen kann.

      Einige westliche Länder leisten sich natürlich ein Sozialsystem, auch weil sie es sich leisten können. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion werden die westlichen Sozialsysteme aber immer mehr geschliffen, denn es gilt nicht mehr zu beweisen, das der Kapitalismus das gerechtere System ist. Die westlichen Sozialsysteme waren am besten aufgestellt als es die Sowjetunion noch gab, an der man sich messen musste

      • @Alfonso Albertus:

        Ihre historische Abhandlung geht völlig an meinem Kommentar vorbei, ich beziehe mich dabei nur auf die Gegenwart. Für die Zukunft ist zu wünschen, dass die westlichen Werte globale Werte sind.

    • @Ruediger:

      Nicht zu vergessen, dass auch Frauen, Menschen mit Behinderungen oder Menschen mit psychischen Krankheiten den Westen bevorzugen würden.

      • @resto:

        Sorry, aber so pauschalisiert ist das Blödsinn. Ich war in Gettos in Afrika in denen behinderte oder psychisch kranke Familienmitglieder liebevoll behandelt wurden. Frauen werden auch nicht überall schlecht behandelt. Glauben sie nur im Westen gibt es mitfühlende Menschen? Was für eine Überheblichkeit. Das grenzt schon an Rassismus!

        • @Andreas J:

          Zumindest gehören die westlichen Ländern zu denen mit der besten therapeutischen und medizinischen Versorgung für Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen und die technischen Möglichkeiten um am Alltag teilzunehmen dürften am Fortschrittlichsten sein. Außerdem gibt es ein relativ großes Bewusstsein für Integration und die Verhinderung von Ausgrenzung. Damit ist ja nicht gesagt, dass es nicht woanders auch einen liebevollen Umgang gibt, aber das reicht nicht.



          Wenn auch nicht pauschal alle, so sind doch viele nicht-westliche ziemlich patriarchalisch und von Gleichberechtigung und gleichen Chancen für Frauen sehr weit entfernt. Da geht es um mehr, als darum, nicht "schlecht behandelt" zu werden.

          • @Ruediger:

            Die therapeutische und medizinische Versorgung für Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen ist hier besser, weil das Geld da ist. Das macht uns aber nicht moralisch überlegen. Und die sogenannten westlichen Werte zählen nur für Weiße. Ich habe genug gesehen in Westafrika. Z.B. Kinder die Kakao ernten und nicht zur Schule gehen können, weil die Preise seit Jahren fallen, die Familien in bitterster Armut hält, während Konzerne riesige Profite im Westen machen und wir billig Schokolade kaufen können. Giftmüll aus Europa der auf illegale Deponien in Ghettos in Abidjan entsorgt wurde und Menschen krank machte die keine Krankenversicherung haben. Durch europäische Unternehmen mit Industrieabwässern vergiftete Lagunen, die ganzen Fischerdörfern die Existenz rauben. Die Liste ist endlos. Tolle Werte haben wir hier.

    • @Ruediger:

      +1

    • @Ruediger:

      Ich gebe Ihnen recht, nur sind solche liberalen westlichen Werte - die ich als Linker aus den von Ihnen angeführten Argumenten auch bereit bin zu verteidigen (besser den liberalen Spatz in der Hand als die sozialistische Taube auf dem Dach) - nicht nur extern durch homophobe Typen wie Putin, sondern auch durch den Vormarsch entsprechender autoritärer Gesellschaftsmodelle (die gesellschaftliche Diversitaet einfach nicht vorsehen) überall auf der Welt bedroht (siehe mein Vor-Post).

  • Die moralische Glaubwürdigkeit des „Wertewestens“ bleibt angeschlagen und liberal-demokratische Prinzipien sind global weiter im Rückzug begriffen … ja, auch in Europa, siehe die innenpolitischen Entwicklungen in ostmitteleuropäischen Gesellschaften wie Polen und Ungarn. Und selbst in Frankreich, dem Herzland Westeuropas, steht die liberale Demokratie zur Disposition, sollte Le Pen die Präsidentschaftswahl dort gewinnen … und spätestens dann - vergessen wir mal den lächerlichen Putin-Buddy Orban in Ungarn - wird die vermeintlich mangelnde Unterstützung Deutschlands gegenüber der Ukraine sowie die Rolle Steinmeiers oder des Kanzlers keine Rolle mehr spielen, weil es dann nämlich mit der Anti-Putin-Front der EU vorbei sein wird … das ist bestimmt kein Szenario, was ich mir herbeiwünsche.



    Der ukrainische „fog of war“ vernebelt auch hier manches Hirn, leider … die Vertreter der bellizistischen Logik sind offensichtlich nur noch in der Lage, eine eurozentrische Perspektive einzunehmen, nicht eine globale. Unsere Außenministerin hat es selbst gesagt, welche Konsequenzen die Fortsetzung dieses europäischen Krieges für die Länder der Sahel-Zone haben wird.



    Ja - verdammt noch mal -, vielleicht ist es jetzt geboten, dass unsere deutsche Regierung endlich Panzer und Kampfflugzeuge an die Ukraine liefert, „no pasaran“ für Putin und seine faschistischen Schergen, das wünsche ich auch. Aber dann bitte auch die Mitverantwortung übernehmen für die weitere Zerstörung der Ukraine und weitere tausende Tote unter der Zivilbevölkerung. Eine schwere Last, wenn auch notwendig (dafür müssen wir dann vor jenen moralischen Instanzen gerade stehen, die unserer jeweiligen Weltanschauung entsprechen)… und alle Verachtung den Kriegstreibern und Hurra-Patrioten auf dem warmen deutschen Sofa sowie jenen, dir mit dem Leid der Ukrainer ihr politisches Süppchen kochen.



    Ich jedenfalls kann zur Zeit nicht gut schlafen.

    • @Abdurchdiemitte:

      "... die Vertreter der bellizistischen Logik sind offensichtlich nur noch in der Lage, eine eurozentrische Perspektive einzunehmen, nicht eine globale."

      Ich bekenne mich der bellzistischen Logik für schuldig und sehe auch kein Problem in einer eurozentrischen Perspektive. Denn dieser Krieg findet nun mal in Europa statt, ebenso wie alle anderen von Ihnen beschrieben Entwicklungen. Was mir Alpträume bereitet, ist ein Sieg Putins und eine französische Präsidentin Le Pen, zugleich Leute wie Orban und und die PIS-Regierung in Polen. Wenn das alles zusammentrifft und wir dann in ein paar Jahren ein Revival von Trump erleben, dann werden wir Europa nicht wiedererkennen.

      Diese Befürchtungen teilen sie ja offensichtlich, wobei es noch schlimmer kommen könnte, sollte Putin das Baltikum angreifen - was man ja leider nicht ausschließen kann.

      Auf die Wähler in Frankreich, den USA, Polen und Ungarn haben wir keinen Einfluss. Wohl aber können wir die Ukrainer unterstützen, die sich dafür entschieden haben, ihr Land und ihre Freiheit gegen einen Aggressor zu verteidigen. Die "Mitverantortung" von der Sie schreiben, besteht nämlich auch im Nichtstun und Wegschauen. Als Christ, als der Sie sich in einem anderen Post bezeichnet haben, sollte Ihnen aber auch Pontius Pilatus ein Begriff sein.

      • @Schalamow:

        Ach, noch eine kleine Ergänzung von wegen dieser von-Pontius-zu-Pilatus-Geschichte: nachdem die Roemer den juedischen Aufstand brutal niedergeschlagen hatten, zerstreuten sie die Judäer in alle Windrichtungen der damals bekannten Welt ... aus römischer Perspektive absolute Staatsraeson, um den Widerstandswillen dieser immer schon aufmüpfigen Provinz ein für allemal zu brechen. An welchen Protagonisten unserer Gegenwart erinnert dieses Vorgehen schon wieder? Sie ahnen es wahrscheinlich.

        • @Abdurchdiemitte:

          Interessante Exegese ;-) Sie wissen aber auch, dass das nicht gerade die Kernaussage der Bibelstelle ist? P.P. steht hier sinnbildlich für jemanden, der die Wahl hat zwischen einer guten und einer schlechten Entscheidung und seine falsche Entscheidung - aus Angst und Opportunismus - mit vermeintlicher Neutralität begründet.

          • @Schalamow:

            Wer weiß denn, ob seine Entscheidung, die Hinrichtung Jesu anzuordnen, falsch war, selbst aus christlicher Perspektive ist das fraglich … denn: ohne Kreuzigung keine Auferstehung. Kein Ostern. Erfüllung des göttlichen Heilsplanes eben, in dem Pilatus nur ein Werkzeug “himmlischer Mächte” war? Musste Christus nicht sterben, um als “Lamm Gottes” die Schuld der Welt auf sich zu nehmen? Interessante Diskussion, kann man so oder so sehen … schweift halt nur weit ab vom hier diskutierten Thema. Deshalb höre ich damit jetzt besser auf.



            Frohe Ostern noch.

      • @Schalamow:

        Ja, aber Pilatus war kein Christ😉 ... sondern Statthalter des römischen Imperiums in Jerusalem. Er hatte gute Gründe, sich in dieser Funktion so zu verhalten, wie er es getan hat, sehr opportunistisch, aber auch pragmatisch und realistisch. An wen bloß erinnert uns das heute?



        Stellen Sie sich vor, den Römern wäre damals schon dieser religiös fanatisierte Landstrich um die Ohren geflogen ... was 70 n. Chr. dann ja auch geschehen ist. Das Feuer wieder auszutreten (Masada!) war wahrlich kein Sonntagsspaziergang für die damals führende Weltmacht.

    • @Abdurchdiemitte:

      Anschließe mich.

  • Die Westlichen Werte sind eine der größten Lügen des 21. Jahrhunderts. Dass hier Freiheit und Demokratie durch die Ukraine verteidigt werden, ist als Propaganda genauso zutreffend, wie die Erzählung der Entnazifizierung durch die russische Armee.



    Vor nichtmal 3 Monaten sind noch Geflüchtete an der EU Außengrenze erfroren, weil der moralisch überlegene Westen sie nicht herein ließ.



    Es sterben immernoch wöchendlich hunderte Menschen im Mittelmeer, weil der Westen sie gewaltsam dort aussetzt (Pushbacks) oder nicht aufnimmt.



    Die sogenannten westlichen Werte sind eine Farce. Die einzigen realen westlichen Werte sind die Vermögen der Milliardäre, die unsere Länder im Endeffekt beherrschen. Demokratie? Wir haben eine Grüne Partei, die nach der Wahl CDU Politik macht - Waffemexporte, Importe von Fracking Gas und Aufschieben des Kohleausstiegs.



    Was ist das für eine Demokratie, wenn man die Wahl zwischen 5mal der selben Politik hat?

    • @TeeTS:

      Sie lassen bei Ihrer Argumentation den aktuellen Angriffskrieg Putins unter den Tisch fallen - das ist unredlich.

      CDU-Politik bedeutet vor allem sich selbst und der eigenen Klientel die Taschen zu füllen, an dem Punkt sind die Grünen im Moment noch nicht angelangt und ich hoffe mal, dass das auch so bleiben wird...

      • @Grisch:

        Ach ja? Was ist denn beispielsweise an Flüchtlingen aus Syrien anders als welchen aus der Ukraine?

        Beides Länder im Krieg, wobei der syrische deutlich mehr Opfer sowohl in absoluten als auch relativen Zahlen gefordert hat. Die Flüchtlinge aus der Ukraine aber werden bevorzugt behandelt. Die Syrer will man nicht mehr wirklich haben. Und den Rest, wie beispielsweise aus Afghanistan, schon gar nicht.

        So viel dann zu westlichen Werten.

        • @Herbert Eisenbeiß:

          In dem Punkt sind die Grünen völlig auf Ihrer Seite... wenn Sie das nicht wissen sind Sie schlecht informiert...

    • @TeeTS:

      Sie machen sich doch hier etwas vor, indem sie "den Westen" als etwas Monolithisches darstellen wollen. Machen Sie doch bitte mal die Probe! Nehmen Sie irgendein Thema und schauen sich an, wie die "westlichen" Staaten damit umgehen. Ich sage nur Drogenpolitik, Sterbehilfe, Homosexualität, Recht auf Scheidung, Wehrpflicht...

      Der "Westen" ist per se widersprüchlich, unorthodox im ideologischen Sinne, vielstimmig und kaum auf einen Nenner zu bringen.

      Wir müssen endlich damit klarkommen, dass viele von uns vollkommen falsch damit lagen, was sie sich von Putin erhofft haben. Jetzt heißt es reflektieren und sich fragen, wie wir die gleichen Fehler nicht mit China wiederholen. Dessen Wirtschaftsexport ist schon wieder gestiegen und dass trotz Zwangslagern voller Uiguren, Dissident*innen und "Unerwünschten".

      Je mehr ich diesen Krieg mitverfolge, desto häufiger denke ich, linke Politik ist trotz aller Beschwörungen nie wirklich beim Individuum angekommen, ohne es im Zweifelsfall auf dem Verhandlungstisch entbehrlich zu machen. So ein Krieg zeigt unerbittlich auf, dass Wunden heilen und Beleidungen entschuldigt werden können, wer aber tot ist, hat ihr*sein Recht auf Leben verloren.

      Als Pazifistin, Idealistin, Kosmopolitin muss ich mich aktuell mehr denn je fragen, wie ich den Staat in Bausch und Bogen verdammen kann, aber in moralische Apathie verfalle angesichts des staatlichen Mordens durch Russland. Und mir wird klar, dass es einen Unterschied zwischen existentiellen und essentiellen Fragen gibt. Letztere lassen sich mit Gebeten, runden Tischen und Verhandlungen vielleicht in den Griff kriegen, aber wer bei existentiellen Bedrohungen ohne Armee, Polizei und Gesundheitssystem auskommen will, möge mehr als eine Wunderformel parat haben.

      Manchmal scheint der beste Schutz vor dem Tod eine gut gerüstete Armee zu sein. Schade, dass ausgerechnet unsere "Putinversteher" jetzt wieder am lautesten nach "Verhandlungen" rufen. Ihr Leben ist nicht bedroht, aber ihre reine Lehre.

      • @DieLottoFee:

        Ja, vergessen Sie dabei aber nicht, dass unser aller Leben nicht bedroht ist, auch das der Bellizisten nicht ... wäre das der Fall, wäre es mit deren Heldenmut gegenüber Faschisten und Autokraten auch schnell vorbei.



        Reine Lehren zu vertreten - egal welcher ideologischen Coleur - ist immer problematisch und scheitert meist an der Realität des Lebens.

    • @TeeTS:

      Zustimmung



      Wie hat hier vor ein paar Wochen mal jemand geschrieben:



      Die westlichen Werte haben sogar täglich eine eigene Fernsehsendung:



      Börse vor acht.

      Ich finde es gewagt, wenn nicht propagandistisch aus diesem Krieg die eigene moralische Überlegenheit hertzschreiben.

      • @Nansen:

        Richtig, der Gott des Westens ist Gewinn, Wachstum und Gewinnsteigerung!

  • Was den "Westen" als politisches Projekt ausmacht, hat der von Hillebrand zitierte Winkler ja definiert, und eben nicht nur normativ, sondern auch praktisch.



    "Seine inneren Widersprüche und seine wachsenden Probleme, die Errungenschaften einer säkular-demokratischen Gesellschaft gegen innere Erosionsprozesse zu verteidigen", mögen diesen "Westen" zwar gefährden, widerlegen aber allem gegenaufklärerischen Furor der Postmoderne zum Trotz nicht die zugrundeliegenden Ideen. Denn zu den unbestreitbaren Errungenschaften gehört, was weder Winkler noch Hillenbrand erwähnen, die Fähigkeit, seine inneren Widersprüche auch zu thematisieren und daraus ggf. Konsequenzen zu ziehen - etwas was in diesem Umfang m.W. keine andere Gesellschaftsordnung leistet oder geleistet hat. Diese Fähigkeit ist genau das, was Diktatoren wie Putin fürchten, für viele Menschen auch außerhalb des "Westens" aber nach wie vor attraktiv ist.



    Wie aber eine widerspruchsfreie Gesellschaft aussehen soll - und das scheint Hillebrand ja als Ideal vorzuschweben -, kann er uns gerne mal in einem weiteren Essay erläutern.

    • @Schalamow:

      Die inneren Widersprüche empfinde ich momentan am eigenen Leibe, auf ethischer wie ideologischer Ebene … als deutscher Pazifist und Christ für die Lieferung schweren Kriegsgerätes an die Ukrainer zu votieren, um sie zu befähigen, sich gegen den Vernichtungsfeldzug Putins zu stemmen. Gut fühle ich mich dabei trotzdem nicht.

  • "Der Westen wird den geopolitischen Gewaltakteur Russland erfolgreich einhegen können – seine eigenen Widersprüche, Probleme und Paradoxien werden aber bleiben."

    Genau.

    Aber über Widersprüche und Paradoxien offen zu diskutieren zu können nennt man auch Demokratie.

    Und es kommt noch besser: denn Widersprüche und Paradoxien a) zu erkennen und b) nach nach Auswegen oder Entwicklungsmöglichkeiten zu suchen stellt das eigrntliche Potenzial dar, aus dem heraus sich Gesellschaften weiter entwickeln. Es ist also genau dieser gesellschaftliche Prozesscharakter, der den Westen von Ländern mit autokratischen Machtapparaten unterscheidet...und das ist wohl auch der Grund warum Länder (wie die Ukraine) sich lieber dem Westen anschließen wollen, denn Sklaven autoritärer Herrscher zu werden..

    • @Wunderwelt:

      Wahr gesprochen, aber trotzdem kein Grund, in einen Kriegsrausch zu verfallen und noch jeden Abschuss eines russischen Panzers frenetisch zu bejubeln … Sie persönlich meine ich damit gar nicht, aber schauen Sie, was in den (a)sozialen Netzwerken gerade los ist, siehe Sun, Bild, Welt u.a. auf ihren YT-Kanälen. Widerlichste Kriegshetze.



      Ihre Unterscheidung von demokratischen und autokratischen Systemen trifft es übrigens auf den Punkt, volle Zustimmung.

      • @Abdurchdiemitte:

        Es sind nicht nur Sun, Bild, Welt. Schauen Sie einmal in ZON - von denen hatte ich das niemals erwartet.

        • @resto:

          Kriegshetze auf ZON? Habe ich nicht wahrgenommen. Eher Ohnmacht und Entsetzen über die Kriegsverbrechen Putlers.

  • Das sieht aber nur der Westen so, vom Rest der Welt wird der Westen kritischen den je gesehen.

    Das mag daran liegen, dass eine selbsternannte Wertegemeinschaft, die diese Werte selber, wenn es den eigenen Interessen dient, ohne mit der Wimper zu zucken mit den Füßen tritt, aber bei anderen dann gerne die ganz großte Moral/Werte Keule rausholt, im günstigsten Fall als heuchlerisch angesehen wird. Dazu kommt die naürliche moralische Überlegenheit in der sich der Westen gegenüber dem Rest der Welt sieht und das andere auch spüren lässt.

    Der Westen sollte aufpassen, denn der Rest der Welt kann ohnen diesen auskommen, anders herum aber nicht.

    • @Frank Fischer:

      der Rest der Welt hat dich genau dieselben Widersprüche auszuhalten. Nehmen Sie mal das Thema Korruption und Kampf dagegen in China. Oder das Thema Pazifismus im Damaligen Ostblock, wo dem NVA Soldaten, der für den Frieden gegen die imperialisteschen Mächte des Westblocjs kämpft ein ganzes Kapitel in der Erstklass-Fibel Klasse gewidmet war.

      Oder dem gerade eben wieder von Putin geäußerten Vorwurf, dass die USA auf die Vernichtung der Amerikanischen Ureinwohner gegründet wurden ohne eine Sekunde daran zu denken, was Russland mit den die sibirische Steppe bewohenenden Stämmen angestellt hat.

      Der einzige Unterschied ist, dass im "Westen" diese Widersprüchen aufgedeckt und diskutiert werden dürfen. Ja nach Thema und Land tun sich die einen schwerer als die anderen. Nur zeigen Sie mir mal ein Beispiel aus Ihrem Rest der Welt, wo so eine Auseinandersetzung mit den eigenen Widersprüchen stattgefunden hat.

      Kein Mensch ist frei von Widersprüchen. Wie soll es dann eine Organisation sein. Die einen meinen, solche inneren Widersprüche zuzugeben wäre eine Schwäche. Aber jeder Psychologe wird Ihnen sagen, dass es eine Stärke ist.

      • @kartoffelsack:

        Was hilft das, wenn solche Widersprüche im Nachhinein (Ihrer Meinung nach) "aufgedeckt würden" (wobei ich meine Zweifel habe). Wenn danach keine Konsequenzen gezogen werden?

        • @resto:

          "Wenn danach keine Konsequenzen gezogen werden?"

          Ist das immer so? Nie?

  • Das Problem vieler Linker ist das sie die Welt aus der eigenen Ideologie heraus analysieren. Der Westen und Kapitalismus sind keine zentral-gesteuerten Projekte. Deutschland und die USA haben Gemeinsamkeiten aber auch massive Unterschiede. Der Westen ist kein Systemblock wie der Sozialismus es war. Westliche Demokratien und Kapitalismus kann innere Widersprüche aushalten, sie machen sie sogar aus. Der Kapitalismus überlebt bspw. wegen der nicht-kapitalistischen Elemente (Familie, Sozialstaat, Staat, Wohltätige Organisationen etc.). Autoritäre Systeme müssen innere Widersprüche entweder auflösen oder untergehen.

    • @Machiavelli:

      Mal Tucho frei paraphrasiert:

      “Wenn Ideologen Ideologen Ideologen nennen.“ (Schnipsel;)

      kurz - Gott sieht alles - außer Dalles!



      Und das Auge - außer sich selbst! But.



      “Dem Reinen - ist alles rein!“ © Volkers 👄

      • @Lowandorder:

        Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - legt nach:

        “ Moin.







        "Das Problem vieler Linker ist das sie die Welt aus der eigenen Ideologie heraus analysieren. "



        Pruuuust. Welch "Glück", dass Rechte keine Ideologie haben. Die haben Weltanschauung.“

        - anschließe mich •

        • @Lowandorder:

          Rechte machen das genauso und unterstellen der anderen Seite immer finstere Verschwörungstheorien und Doppelzüngigkeit, weil sie das halte genauso selbst machen. Gleiches Problem mit Putin der sieht Die Welt aus KGB Sicht und glaubt alle anderen tun es genauso.

      • @Lowandorder:

        Keine Frage ich bin fanatischer Ideologie, ich sehe nur keine Ideologie bei 99% meiner Mit-Westler, sehr zu meiner Enttäuschung.

        • @Machiavelli:

          Schonn schön - dasse ehran Humor nicht verloren haben. - 🙀🥳 -

          • @Lowandorder:

            Man muss immer auch über sich selbst und was man glaubt lachen können. 😉

            • @Machiavelli:

              anschließe mich

  • ' Die Zeit zitiert einen polnischen, PiS-nahen Intellektuellen, der spottet: „Ich würde mal sagen, das mit „metrosexuell“ hat sich vorerst erledigt, wenn Männer an die Front ziehen und die Frauen bei den Kindern bleiben, oder?“ '

    Is das so ?



    Hier liest sich das doch anders.



    taz.de/Expertin-ue...schlecht/!5848696/

  • "Wir müssen den Ukrainern dankbar sein, dass sie ihren Kampf gegen eine autoritäre Kleptokratie kämpfen, für ihr Recht auf ein angstfreies Leben in einem Land ohne politische Gefangene und Giftanschläge. Wir sollten ihnen dafür tatsächlich den Weg nach „Westen“ – sprich in die EU – öffnen."

    Die Regierung in Kiew hat gestern noch mit viel Tamtam ihren obersten, politischen Gefangenen präsentiert, hat praktisch die gesamte politische Opposition verboten, und führt seit 8 Jahren Krieg gegen Ukrainer die sie nicht wählen mochten.



    Ja, die Ukraine hat selbstverständlich das Recht sich gegen den russischen Überfall zu verteidigen und um Hilfe zu bitten (die sie, im Gegensatz zu all den anderen, in den letzten Jahrzehnten überfallenen, Staaten, ja auch großzügig erhält), das macht sie aber keinen Deut "westlicher" oder dmokratischer. Sie ist eine ebenso korrupte, "autoritäre Kleptokratie" wie der große Nachbar.



    Dass sich Frau v.d. Leyen in dem Umfeld wohl fühlt, überrascht freilich nicht...

    • @darthkai:

      ja nur wenn man sich über den momentanen feind einig ist, ist man noch lange nicht freund....

    • @darthkai:

      Da müssen Sie aber viel weglassen um das so sehen zu können...

  • Wenn man versucht, eine individualistische Wertegemeinschaft durch die Brille eines kollektivistischen Weltbilds zu erklären, KANN das eigentlich nur in die Hose gehen...

    "Der Westen" ist kein handelndes Wesen. WENN er mit so großer Einigkeit handelt wie gerade, dann weil genug Individuen nach gleichen oder ähnlichen Motivationssträngen priorisieren. "Der Westen" lebt also nicht auf, weil er sich dabei so gut fühlt oder seine kollektive Zerissenheit übertünchen will, sondern einfach, weil gewisse Ereignisse - wie zum Beispiel ein Eroberungsfeldzug in schmerzhafter Nähe - an die Wurzel dessen gehen, was die einzelnen Menschen für richtig und gut bzw. unerträglich halten. DAS führt dann zu einheitlicher Positionierung und moralischem Schulterschluss.

    Und nein, weder "den Westen" insgesamt noch die ihn ausmachenden Individuen sollte man nach einer völlig stringenten moralischen Linie fragen. Es sind MENSCHEN, von denen wir hier reden, keine mathmatisch genauen Ideologiedatenträger.

    • @Normalo:

      Zustimmung!



      Ich finde es faszinierend, wie gerade der Dekonstruktivismus, das alles Infragestellen, das Post-XYZ auch darauf beruhen, das Gegenüber als das Gegen-/Andersmodell verstärkend darstellen zu müssen, um es hinterfragungs- und ablehnungswürdig zu machen. Dabei wird dann häufig auf die gleichen Kollektivierungstendenzen und Absolutismen zurückgegriffen, die kritisiert werden. Genau das macht Putin und seine ganze Bagage ja auch, wenn sie die Ukraine und die ukrainische Identität als zerstörungswürdig, weil eigentlich gar nicht existent, darstellen.



      Dieser Krieg führt uns deutlich vor Augen, wie abgekapselt teilweise schon "im Westen" diskutiert wurde und wie wenig es mit Realität zu tun hat, wenn sie passiert.



      Hier braucht es mehr Ehrlichkeit mit sich selbst.