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Essay über moralische BequemlichkeitAuf der richtigen Seite der Geschichte wird es voll

Matthias Kalle

Essay von

Matthias Kalle

Geschichte ist Chaos, das wir im Nachhinein versuchen, mit Sinn zu füllen. Über Fortschrittsglauben und die Angst vor Sinnlosigkeit.

Wer reitet so spät auf der richtigen Seite der Geschichte? Foto: Print Collector/Hulton Fine Art Collection/getty images

K ürzlich sprach ich mit einem Kollegen, den ich vor einigen Jahren in einem anderen beruflichen Zusammenhang kennengelernt hatte. Irgendwann sagte er zu mir, jetzt würde man ja endlich auf der richtigen Seite der Geschichte stehen. Dann sagte er etwas anderes, aber darum geht es jetzt nicht.

Die richtige Seite der Geschichte also. Wusste ich gar nicht, dass ich auf der gerade stehe. Ich wusste aber auch nicht, dass die Geschichte überhaupt eine richtige und eine falsche Seite hat. Und dann dachte ich, dass ich diesen Begriff von der „richtigen Seite der Geschichte“ in den vergangenen Monaten auch vielleicht drei-, viermal zu oft gehört hatte und es immer merkwürdig klang. Aber jetzt wurde ich da ja plötzlich selbst verortet, ohne meinen Willen, deshalb wollte ich herausfinden, was es eigentlich mit der richtigen Seite der Geschichte auf sich hat und ob ich da überhaupt stehen will.

In jedem Fall ist es auf der richtigen Seite seit einiger Zeit ziemlich voll: Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping erkannte im Frühjahr seine Verbündeten auf der richtigen Seite der Geschichte; Spaniens Premierminister Pedro Sánchez nannte den Wunsch nach diesem Ort als Grund dafür, dass er ein Waffenembargo gegen Israel forderte; der Philosoph Jan Skudlarek stellte 2023 fest: „Robert Habeck stand auf der richtigen Seite der Geschichte.“

Anfang 2025, es war Wahlkampf, rief Christian Lindner in Freiburg einigen Demonstranten, die seine Rede störten, zu: „Ihr steht auf der falschen Seite der Geschichte.“ Was ja im Umkehrschluss bedeutet, dass Lindner auf der richtigen Seite steht. 2023 erkannte die Zeit, dass Joe Biden auf der richtigen Seite der Geschichte stand, wo übrigens seit 2016 auch Angela Merkel steht, jedenfalls wenn es nach Barack Obama geht.

Alle wollen da hin

Zwei Jahre später gesellte sich auch Belgien dazu, ja, ganz Belgien, denn der damalige belgische Ministerpräsident Charles Michel stellte das für sein Land beim UN-Sondergipfel für den Migrationspakt fest. Ach, und natürlich steht auch die SPD auf der richtigen Seite der Geschichte, jedenfalls versicherte das 2021 Olaf Scholz dem verdutzten Armin Laschet. Und heute möchte ja auch gerne jeder Deutsche endlich mal auf der richtigen Seite der Geschichte stehen, deshalb ist man gegen Trump, trennt den Müll, kennt seine Privilegien, hört Podcasts über mentale Gesundheit, kauft Bücher in der kleinen, netten Buchhandlung ums Eck, hasst RB Leipzig, kennt den Unterschied zwischen „toxisch“ und „problematisch“ und findet das neue Taylor-Swift-Album unterkomplex.

Das Dumme ist nur, dass die Geschichte ja voll ist mit Menschen, die sich schon mal auf der richtigen Seite sahen und dann durch die Geschichte selbst eines Besseren belehrt wurden: Im 11. Jahrhundert zogen Kreuzritter los in der Annahme, sie kämpften im Auftrag Gottes und seien das Werkzeug der Geschichte; im 16. Jahrhundert hielten spanische Konquistadoren die Christianisierung Lateinamerikas für Zivilisation, nicht für Eroberung; im 19. Jahrhundert glaubten Kolonialmächte, sie trügen „Fortschritt und Licht“ in die Welt – und exportierten Gewalt, Rassismus und Ausbeutung; im 20. Jahrhundert waren Bolschewiki, Faschisten und Neoliberale auf ihre je eigene Weise überzeugt, Geschichte zu vollstrecken. Es scheint fast so, dass die richtige Seite der Geschichte fast immer die falsche ist – nur eben später.

Trotzdem wollen da alle hin – nur warum? Vielleicht weil sie glauben, dass „die Geschichte“ einem Zweck folgt, dass sie Sinn ergibt und dass am Ende der Geschichte die, die auf der guten Seite standen, belohnt werden und die, die auf der falschen Seite standen, bestraft. Ist allerdings im Prinzip ein alter Hut, mit dem schon Augustinus im 4. und 5. Jahrhundert hausieren ging.

Für ihn war Geschichte vor allem Heilsgeschichte, Ausdruck einer göttlichen Vorsehung. Hegel säkularisierte diesen Gedanken 1.400 Jahre später: Geschichte war für ihn nicht bloß eine Abfolge von Ereignissen, sondern ein prozesshafter Ausdruck des Weltgeistes, der sich in der Zeit entfaltet – jetzt mal vereinfacht ausgedrückt. Das würde bedeuten, dass Geschichte nach vorne geht, dass sie Vernunft besitzt, dass sie Sinn ergibt.

Marx, der Hegel unfallfrei lesen konnte, stellte diesen Gedanken vom Kopf auf die Füße. Anstelle des „Geistes“ setzte er den ökonomischen Unterbau: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.“ Für Marx ist der Lauf der Geschichte gesetzmäßig, das Ziel – die klassenlose Gesellschaft – vorgezeichnet. Aus Theologie wird Ökonomie, aus idealistischer Dialektik materialistische. Von dieser fixen Idee scheinen sich einige Linke bis heute nicht erholt zu haben, da kamen selbst Walter Benjamin und Michel Foucault nicht gegen an.

Benjamin wendet sich explizit gegen den Fortschrittsglauben von Hegel und Marx. In seiner berühmten „These IX“ über den Begriff der Geschichte beschreibt er den Engel der Geschichte, der rückwärts in die Zukunft stürzt: „Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft.“

Geschichte hat keinen Sinn und keinen Plan. Und Foucault zerschlägt die klassische Geschichtsvorstellung als kontinuierlichen Prozess oder Fortschritt. Geschichte ist für ihn kein Strom, sondern ein Netz aus Diskursen, Machtverhältnissen und Brüchen. Es gibt kein Ziel, keinen Fortschritt, keine Moral – nur Macht und Diskurs. Spätestens da hätte man sich darauf einigen können, dass Geschichte keinen Sinn hat. Blöd halt nur, dass der Mensch ohne Sinn nicht leben will.

Der Glauben an den Sinn der Geschichte hat den Glauben an Gott abgelöst. Daraus entsteht die Hoffnung, dass sich alles zum Guten wendet. Aber so funktioniert Geschichte nicht. Geschichte ist Chaos, das wir im Nachhinein versuchen, mit Sinn zu füllen. Und die „richtige Seite“ klingt zwar nach moralischer Gewissheit, ist aber philosophisch hohl, denn sie setzt ja voraus, dass die Geschichte nur zwei Seiten habe – und dass diese Seiten moralisch bestimmbar seien.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Aber Geschichte urteilt nicht – Menschen urteilen. Die Metapher von der „richtigen Seite“ ist also ein rhetorischer Trick, der Moral in Notwendigkeit verwandelt. Der Trick ersetzt Argument durch Heilsglaube. Wer sich auf die „richtige Seite“ stellt, beansprucht implizit die Zukunft für sich und seinesgleichen. Dadurch wird aber jede politische Auseinandersetzung in ein Geschichtsdogma verwandelt. Schon komisch, dass ausgerechnet Linke an dieser säkularisierten Form des Heilsplans festhalten. Aus dem „Reich Gottes“ wurde die „klassenlose Gesellschaft“, aus Erlösung Fortschritt. Geschichte, so der Irrglaube, sei immer Fortschritt, und im Moment besteht dieser Fortschritt unter anderem aus Diversität, Klimagerechtigkeit, Antifaschismus.

Dieses magische Denken bietet Orientierung, Sicherheit – und Kontrolle. Es gibt ja überall, links, rechts, mitten in der Mitte, diese autoritäre Sehnsucht, alles kontrollieren zu wollen: das ZDF, Instagram, Chefgehälter, Begehren, Pronomen, Kitaerzieher … Wer also glaubt, die Geschichte, auf deren richtiger Seite man ja bombenfest steht, würde einen Sinn ergeben, der will das Unkontrollierbare zähmen.

Aber Geschichte ist unübersichtlich und grausam. Das ist allerdings für viele nur schwer zu ertragen, deshalb sucht man nach Mustern, Zielen, Gesetzen, denn die Vorstellung eines Plans – völlig wurscht, ob göttlich, dialektisch oder moralisch – beruhigt ungemein, vor allem das eigene Gewissen.

Doch der Glaube an den Sinn der Geschichte ist nicht emanzipatorisch, sondern ein Versuch, Angst und Ohnmacht zu kontrollieren. Er produziert Gewissheit – und damit Autorität. Und hier verläuft die eigentliche Bruchlinie: Wer behauptet, den Sinn der Geschichte zu kennen, leitet daraus politische Notwendigkeit ab. Und dadurch entsteht die Legitimation, zu steuern, zu disziplinieren, zu sanktionieren. Dabei sollten man doch genau dieser Gewissheit misstrauen, denn die Berufung auf den Sinn der Geschichte ist selbst eine Form von Herrschaft. Emanzipation müsste aber eigentlich bedeuten, ohne eine solche Gewissheit zu handeln.

Vielleicht werde ich meinen Kollegen mal auf der richtigen Seite der Geschichte besuchen. Aber ich bleibe nicht lange. Es gibt dort ja nichts zu tun.

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Matthias Kalle
Ressortleiter wochentaz

42 Kommentare

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  • Das Richtige & das Falsche,

    findest du an der Walche.

    Jeder Zwerg braucht ein Kraftwerk.

    Ortsbestimmung ist immer auch der Versuch der Selbstbestimmung.

  • Die „richtige Seite der Geschichte“, -eine Geschichte zum Schmunzeln.



    Die Geschichte ist nichts Bleibendes. Sie wird immer erzählt von denen, die aktuell die Macht haben, sie zu erzählen und auch neu zu bewerten.



    Heute richtig, morgen falsch.



    Man muss nur mal ein Geschichtswerk z.B. aus der Kaiserzeit lesen und mit einem aktuellen Werk zum gleichen, geschichtlichen Zeitraum vergleichen, dann wird es klar.



    Was „richtig“ ist, legen die aktuell dominierenden Strömungen fest.



    Man stelle sich nur mal vor, wie Geschichtsunterricht an unseren Schulen aussähe, hätte die AgD die Macht, diesen zu beeinflussen. Geschichte würde sich im wahrsten Sinne verändern.



    Oder die Veränderungen in Wertung von Geschichte, die in nur wenigen Jahren der Wokismus brachte, -ohne heute beurteilen zu können, ob er nur eine ideologische Modeerscheinung bleiben wird, ein „Bewertungswimpernschlag“.



    Insofern ist die Diskussion doch eher müßig…

  • Noch was zu Geschichte:



    Always look at the b-right side of life



    youtu.be/X_-q9xeOg...i=B1yhUQi73dqNF4O4

  • Der Artikel ist superinteressant. Aber da ist ein Denkfehler: Denn der Geschichtspostivismus ist dem Menschen wohl zwecks Eigenmotivation genauso angeboren wie der stete Glaube, es würde in unserem Leben irgendwie alles "besser" - dabei altern wir nur. Da ist also irgendetwas in unseren Gehirnen so fest eingeschrieben wie die Angst vor Dinosauriern.



    Aber dann gibt es mit der biologischen Entwicklung des Menschen halt doch bei relativ stabilen Bedingungen durch Rekombination und Selektion eine Form von Entwicklung, hinter die man nicht so einfach zurückfallen kann - womöglich in Zyklen, wenn ein Krieg oder eine Katastrophe viele Varianten wieder auslöschen. Nur kann man nicht genau sagen, ob diese Entwicklung an sich nun "positiv" oder "negativ" ist: Weil wir uns nolens volens immer weiter von den Genen der Jäger und Sammler und ihrer starken Stammesstruktur mit ausgeprägtem Gemein- und Gerechtigkeitssinn entfernen, ist es eher unwahrscheinlich, dass der Mensch der Zukunft freundlicher und sozialer ist. Es ist nicht einmal klar, ob wir in diesem Prozess schlauer werden, das erschien nur bis vor 20 Jahren erwiesen. Anpassung kann je nach Umweltzustand auch in Trägheit münden.

    • @hedele:

      Wir müssen vielleicht einfach nicht mehr schlau sein. Das war hingegen der Neanderthaler vermutlich. Er musste es noch sein, Wind und Pflanzen lesen können. Wer kann das noch in den Zivilisationen? ChatGPT wird als Hirnersatz verwendet. Was bleibt (mit denen gesprochen, die Harari zitiert)?



      Freundlicher und sozialer wäre freilich denkbar, wenn wir unsere Krisen gut durchstehen. Da haben wir eigentlich bessere Methoden als früher.

    • @hedele:

      Eine Angst vor Dinosauriern sitzt aber logischerweise nicht in der Tiefe unseres Gehirns...

  • Ich möchte nicht auf der richtigen Seite der Geschichte stehen, ich möchte nur, dass es allen Menschen möglichst gut geht.



    Und ja, ich tue zu wenig dafür ...

  • Ach was! ©️ Loriot

    Auf der richtigen Seite der Geschichte



    &



    “Trotzdem wollen da alle hin – nur warum?“

    Hat Linus von den Peanuts 🥜 doch längst alles abschließend erklärt! Gelle



    Wenn er groß ist - wird er Landarzt - immer mit nem flotten Wagen und “…endlich immer auf der richtigen Seite der ollen 💉!“

    (ps anderseits -



    Hat Linus auch - stehend auffem Hocker -



    vorm - Küchenbuffet - mit nemGlas in der Hand:



    Verzweifelt - Gebr😭llt -



    “Man soll seinen Magen nicht auf -



    Himbeermarmelade einstellen!



    Wenn keine da ist!“

    Thema durch! Wollnich

  • Toller Artikel!

  • Das Blöde an der Schwarz-Weiß-Malerei ist: Sie wird schon so lange betrieben, dass sich niemand mehr an die Zeit davor erinnern kann. Und wenn doch, kommt diese Zeit dem Betrachter noch schlimmer vor als alles, was wir heute haben.

    Schon während meiner Schulzeit vor 50 Jahren hieß es, die Erfindung die Religionen mit Himmel/Göttern, Hölle/Unterwelt und menschlichen Mittlern in der Mitte sei zugleich die Geburtsstunde der Machtansprüche gewesen. Gerechtfertigt war sie damals allein dadurch, dass sein zu großes Gehirn den Menschen zum Feigling macht. Als einziges Lebewesen kennt und fürchtet er den Tod - den eigenen und den seiner Lieben. Deswegen ist er bedürftig nach Trost. Lieber wird er nach Strich und Faden belogen (und belügt sich selbst), als dass er ungetröstet bleibt.

    Ich fürchte, dieser Umstand erklärt, dass auch und gerade Linke der Illusion erliegen, die Zeit hätte so etwas wie eine richtige Seite, auf der sie stehen können. Was sollen sie auch anderes tun in einer repräsentativen Demokratie, als diese Illusion pflegen? Das Trösten den Rechten überlassen und anschließend die Scherben zusammenkehren? 🤔

  • Die Bemühung des Einzelnen, der Einzelnen um Überleben und Entfaltung der Person bleibt geschichtliche Konstante und hat ihren Sinn aus der inneren Möglichkeit das zu wünschen und immer wieder neu zu versuchen.

    • @aujau:

      Die "Entfaltung der Person" hat immer ihre physische Grenze. Gerade deshalb wohl der Wunsch, in einer Idee zu überdauern. Aber das ist schon eine privilegierte Sicht. Die meisten "Einzelnen" im Mahlwerk der Geschichte sind nie nach "inneren Möglichkeiten" befragt worden. Sie haben durch Zufall irgendwo gestanden und sind dort zermahlen worden.

  • Richtige, falsche Seite Geschichte musste ja erfunden werden. Das geschah nachdem Kolumbus 1492 in Karibik gelandet rief, wir haben Amerika entdeckt. Als Nachricht wie Lauffeuer Höfe Europas ereilte kam es angesichts lerer Münzregale in Not zu Dreiecks Deals mit Banken als Gläubiger, Fürsten, Königen, Kaiser, Papst als Schuldner in gegenseitiger Versicherung bei Eroberungen auf richtiger Seite der Geschichte zu stehen mit ?, wer dritte die falsche Seite sei, den durch Kredite vorfinanzierten Flurschaden in eroberten Gebieten Amerikas zu tragen, da nahm sich Kaiser Maximilian II ein Herz, nachdem er dem Kurzen Bericht Mönchs Las Casas 1542 gelauscht, über Schrecken der Karibik, die indigenen Völkern dort durch Konquistadoren an Leib, Seele und Vermögen widerfuhr, weiter auf richtiger Seite Kredits zu stehen, von Geschichte kein Wort mehr, indem er jene Indigenen, die er zuvor noch seine Untertanen wie andere pries, umcodierte zu fortan Freilaufenden, allen Sklavenarbeitausbeutungs Begehren Dritter ungeschützt ausgeliefert. Nazis codierten 1935 ausgebürferte Juden um in Beute von Kommunen, Kirchen, Wirtschaft für NS Endlösung Holocaust, fürwahr auf richtiger Seite Kredits zu stehen

  • Guter Text,



    das mit der Ambivalenz auszuhalten, dass wir alle die Potenziale zum Faschismus in uns tragen & daß Viele, die sich hassen u bekämpfen einander immer ähnlicher werden: Siehe die Judeosupremazisten Rechtsextremen der Netanyahu Regierung +ihre Gegner die Mullahs: Hat doch Smotrich bei der Wahl erklärt, er wolle einen theokratischen Gottesstaat, wie im Iran, nur auf Jüdisch. Die Geschichte wurde aber die längste Zeit zyklisch gesehen & das waren die vor Patriarchalen Kulturen, die sich in den Abläufen der zyklischen Natur wieder erkannten.Einige von deren Weisheiten u. Techniken werden Heute wieder entdeckt um die Zerstörung durch die Fortschrittsgläubigen Industriekulturen des patriarchal kapitalistischen Holozäns etwas wirksam nachhaltig-heilsames entgegen zu setzen. Dialektik is Binär u. damit nicht fähig divers zu denken, bzw ist es der Versuch hinkend in den Fluss zu kommen.Die Geschichte Quantenphysikalisch ist vorwärts& rückwärts gleichzeitig. So waren einfachere Gesellschaften teils egalitärer, was aber nicht meint, dass wir wieder Matriarchate werden müssen, vielleicht aber Erwachsen als Menschheit mehr mit der Natur wirtschaften lernen und miteinander!

    • @R.L.:

      "Dialektik is Binär u. damit nicht fähig divers zu denken,"

      Genau das Gegenteil ist der Fall. Moderne Dialektik setzt sich nicht aus der Trias Thesis, Antithesis und Synthesis zusammen, sondern ist der Freiheitsantinomie von Kant entsprungen.

      Das Prinzip ermöglicht Themen zu analysieren bei denen ein dualistischer, dichotomischer oder disjunktiver Stil der Darstellung nicht angebracht ist und ist somit das genaue Gegenteil von Binär, nämlich ein fortlaufender Prozess.

      Einmal bei Adornos Einführungen in die Dialektik vorbeischauen.

  • Guter bedenkenswerter Text.



    Vielleicht so: Sinn kann man nur für sich selbst (also eigenes Tun oder Lassen) suchen, finden, definieren (selbst dann, wenn man das kleinste, kleine und große Weltgeschehen als so sinnlos empfindet, wie es ist, der Name Camus fiel ja schon).



    In dieser Bedeutung, und nur in dieser, kann man sich dann auf der richtigen Seite wähnen. So weit, so gut.



    Kritisch wird es, wenn man den eigenen Sinn auf andere Personen oder Strukturen zu übertragen versucht.



    Kritisch wird es, wenn man einen Weltgeist vermutet, noch kritischer, wenn man denkt, man kenne dessen Ziel.



    Zukunft ist planbar oder vorhersehbar, auf die nächsten Stunden, Tage. Ab da wird der Spielraum schnell immer größer. Was uns dann letztlich als historischer Prozess erscheint, sind Abfolgen von Zufällen. Deswegen ist das Was-wäre-wenn-Spiel von Historikern so reizvoll, aber wirklich sinnlos.



    "Emanzipation müsste aber eigentlich bedeuten, ohne eine solche Gewissheit zu handeln." Wobei wir dann wieder beim Kategorischen Imperativ wären, der Überforderung und Versuchung zugleich ist.

    • @Vigoleis:

      "Kritisch wird es, wenn man einen Weltgeist vermutet, noch kritischer, wenn man denkt, man kenne dessen Ziel."

      Mit Weltgeist ist kein Gespenst gemeint sondern es ist ein metaphysischer Begriff, der das gesamte kollektive Bewusstsein umfasst, welches wiederum die historische Entwicklung prägt.

      Ich denke so gut wie jeder kann sich darauf verständigen, dass der Mensch über ein Bewusstsein verfügt und durch seine Existenz Teil der Geschichte ist.

      Auch ihre Äußerungen zu Camus und Kant haben nichts mit deren Philosophie zu tun. Camus Absurdismus geht von einer sinnentleerten Welt aus und bezieht sich auf das Leben. Nicht auf das Weltgeschehen, dem hat er sehr wohl Bedeutung beigemessen.

      Und zu Kant nur soviel. Wer den kategorischen Imperativ in der Form einer Unterscheidung wie hier zwischen Überforderung und Versuchung anführt, der hat ihn nicht verstanden. Das Gegenteil ist der Fall. Er fällt eben nicht unter die Kategorie des freien Willens, der uns die Entscheidung überlässt morgens aufzustehen oder im Bett zu bleiben. Den Rest am besten selbst nachlesen.

  • Ja meine Güte da war ja wirklich auf den Punkt.

    Interessant ist an der Stelle vielleicht noch das die italienischen Faschisten in ihrer frühen Phase explizit das Vorhaben geäußert haben einen Ersatz für den im Abgang begriffenen Gottlauben schaffen zu wollen. Marx nannte die Vorarbeiten zu den Grundsätzen des Kommunismus auch "Entwurf eines Kommunistischen Glaubensbekenntnis" und das sicher nicht ohne Grund.

    Zu der Erkenntnis gelangt ist auch Eric Voegelin in seinem "Die Politischen Religionen", dass sich in linken Kreisen aber natürlich großer Unbeliebtheit erfreut, da es andauernd auf die Parallelen und artverwandten Ursprünge von Faschismus und Kommunismus hinweist.

  • Auf der richtigen Seite der Geschichte steht jeder, so lange er glaubt auf der richtigen Seite zu stehen.



    Die richtige Seite der Geschichte ist so wie Ethik und Moral eine nicht zu fassende Linie.



    Bei Ethik und Moral geben Gesetze vor wo sie verlaufen - Gesetze die stetig sich wandeln. Bei der richtigen Seite der Geschichte läuft das nicht anders.



    Die Kreuzritter waren auf der richtigen Seite der Geschichte, die Konquistadoren waren auf der richtigen Seite und auch Osama bin Laden und Putin wähn(t)en sich auf der richtigen Seite.



    Alles immer eine Frage der eigenen Position und des eigenen Blickwinkels.

    • @Saskia Brehn:

      Linie oder Seite - das ist auch hier ne Frage

    • @Saskia Brehn:

      "Bei Ethik und Moral geben Gesetze vor wo sie verlaufen - Gesetze die stetig sich wandeln"

      Moral ist ein Normensystem, bei der Ethik handelt es sich um die Wissenschaft von Moral. Der Anspruch der Moral, Normen mit allgemeiner Verbindlichkeit zu schaffen, wirkt sich auf das Recht aus, indem es teilweise Einzug in die Gesetzgebung hält.

      Von einer nicht zufassenden Linie zu sprechen trifft es daher nicht ganz. Die meisten moralischen Grundsätze bestehen schon seit Jahrhunderten, wenn nicht gar Jahrtausenden.

      Moral im Wandel der Zeit ist zudem stets auf einen bestimmten Kulturkreis ausgerichtet und nur selten universell gültig.

  • Leider können viele Menschen den Gedanken nicht ertragen, dass es keinen übergeordneten Sinn geben soll.

    Finde ich gut dass die taz diesen Essay veröffentlicht, wo er doch vielen Grundüberzeugungen der taz entgegenläuft.

    • @Chris McZott:

      Geschichte ist das, was wir beim Geschehenen besonders betrachten. Da kommt ein "Sinn" hinein, durch unsere jeweiligen Fragen.

      Manche haben etwa vielleicht als Sinn, eine intellektuelle Dominanz gegenüber anderen zu fühlen, oder noch anderes. Ganz ohne auch nur versteckten Sinn (Liebe, Hass, Bildung, Spaß, Familie, Fußballclub, Heimat, Ankommen, Anregung, Ruhe, ...) wird wohl kaum jemand leben.



      Zum Nebenpunkt.

  • Danke für diesen Artikel.

  • Zu viele Menschen zweifeln zu wenig an dem, was sie zu wissen glauben. Das ist leider nichts neues.

    In einer liberalen Wettbewerbsgesellschaft sind Selbstfindung, -verwirklichung und -darstellung keine Optionen, sondern Notwendigkeit und alle Arten von Medien bieten dafür nicht nur eine Spielwiese, sie befördern den Wettbewerb um Aufmerksamkeit. Dem können sich nicht nur die, die Medien als öffentliche Bühne nutzen, nicht entziehen, auch die Medienmachenden können es nicht. Gerade für sie gilt: Gelesen-, Gehört- oder Gesehen-Werden sind unabdingbar für ihre professionelle Existenz.

    Es zahlt sich aus, öffentlich forsch zu behaupten, man wisse Bescheid und würde eigenes Wissen mit anderen teilen, jedenfalls mehr, als eigene Zweifel offenzulegen, denn die kennen Lesende, Zuhörende und Zusehende, wenn sie nicht völlig abgestumpft, zu Genüge selbst. Wer Zweifel hegt, such Antworten und die, die Medien machen oder als Plattform benutzen, behaupten, diese Antworten geben zu können.

  • Oh weh, die Sinnfrage. Wenn man wie der Autor jeden Sinn in der Geschichte - angesichts von Mord, Totschlag und Grausamkeit - verabschiedet, postuliert man doch zugleich einen Sinn derselben, nämlich die Sinnlosigkeit. Aus der Sinnlosigkeit kann er dann ja auch ableiten, dass alle, die einen Sinn in die Geschichte legen, falsch liegen - also doch auf der falschen Seite der Geschichte stehen. Deshalb braucht er ja auch nicht hinübergehen. Das Postulieren von Sinnlosigkeit führt unausweichlich in einen Selbstwiderspruch.



    Ich glaube zudem nicht, dass Benjamin mit seinem Engelchen der Geschichte für Sinnlosigkeit argumentierte.



    Mit dem Problem des Sinns von Geschichte haben sich im übrigen nicht nur Augustinus, Hegel, Marx und Benjamin beschäftigt, sondern allerhand Leute. Camus etwa kam dadurch zur Absurdität, die er deutlich von der Sinnlosigkeit unterschieden haben wollte.

    • @Mutashail:

      Der Autor bezieht seine Positionen in diesem Essay ausschließlich aus der Geschichtsphilosophie. Hätte er die Geschichtswissenschaften mit einbezogen, wäre er der Intention Benjamins sehr viel näher gekommen. Der ist nämlich im Geiste näher bei der Wissenschaft als bei der Philosophie.

      Benjamins Annahme beruht im wesentlichen auf der Lehre der jüdischen Kabbala. Der Bruch der Gefäße im Weltentstehungsprozess, der durch das Tikkun, der messianischen Wiederherstellung und Ausbesserung, wieder zusammengefügt wird.

      Dafür stellt Benjamin Chronos dem Kairos gegenüber. Der Messias wird von ihm durch den Historiker ersetzt, der in der Jetztzeit bei genauer Betrachtung in der Lage ist die Bruchstücke zu einem Ganzen zusammenzufügen.

      Das ist der genaue Gegenpart einer linearen und chronologischen Geschichte die vom Fortschritt angetrieben wird und wie sie seit Leibniz vertreten wurde und das Gegenteil von Sinnlosigkeit.

    • @Mutashail:

      Kreisschluss. Sinnlosigkeit ist kein Sinn, keine Mission und auch kein Endziel. Sie stellt auch keinen Anspruch, die Dinge so oder so zu sehen und nicht anders. Das ist Alles Privileg (und offenbar unwiderstehlicher Drang) der Sinnsehenden.

      Ergo: Menschen, die einen Sinn in der Geschichte sehen, liegen vielleicht falsch mit dieser Vorstellung. Aber das ist nicht so relevant. Historisch bedeutsamer ist, was sie auf Basis ihrer Sinnseherei sagen, tun und lassen, womit sie dann nämlich auch wieder TEIL der Geschichte werden (ohne dass das wirklich sinnstiftend wäre... ;-)).

      • @Normalo:

        Dafür, dass mit der Behauptung der Sinnlosigkeit keine Mission, kein Endziel und kein Anspruch verbunden sein soll, wird hier aber schon ganz hartnäckig dafür eingetreten und behauptet, dass man mit der Sinnlosigkeit zu einer Art höheren Einsicht gelangt, die den kleinkariert Sinnsehenden mit ihrem vergeblichen Tun und Lassen für immer verborgen bleiben muss. Doch auch wer auf der Wolke der Sinnlosigkeit dahinschwebt, wird in historischer Zeit, also der Gegenwart, das eine tun und das andere lassen müssen, auch wenn er/sie in Geschichte keinen Sinn sieht. Die behauptete historische Sinnlosigkeit kann dann genauso legitimatorische Funktion für oder gegen eine Entscheidung haben wie die Sinnseherei eines historischen Materialisten. Nicht-Sinn gibt es nicht, weil mit der Behauptung von Nicht-Sinn ja argumentativ ins Gespräch mit Sinnseher:innen gegangen und deren Anspruch in Abrede gestellt wird, während der eigene untermauert werden soll. Auch die Behauptung der Sinnlosigkeit (von Geschichte, menschlichen Handelns) produziert also Sinn. Etwa den, dass es nicht drauf ankommt, ob man an Sinn in der Geschichte glaubt, weil sowieso ständig was passiert, was man eh nicht ändern kann.

      • @Normalo:

        Darum empfiehlt es sich ja auch durchaus ab- & an einmal die Perspektive auf die Dinge zu wechseln. Es erleichtert den Umgang mit den Mitmenschen ungemein.

      • @Normalo:

        "Sinnlosigkeit ist kein Sinn, keine Mission und auch kein Endziel. Sie stellt auch keinen Anspruch, die Dinge so oder so zu sehen und nicht anders."

        Sehr schön definiert. Sehen Nihilisten aber garantiert anders.

        Sinnlosigkeit ist der Gegenpart von Sinn.

        Genauso wie der Sinn einen "Anspruch" stellt verhält es sich auch mit der Sinnlosigkeit.

        Camus hat das in seinem Essay "Der Mythos von Sisyphos" sehr gut veranschaulicht und es mit "dem Absurden" umschrieben.

  • Hat mir sehr gefallen, dieses Essay. Ganz besonders hier: "...Spätestens da hätte man sich darauf einigen können, dass Geschichte keinen Sinn hat. Blöd halt nur, dass der Mensch ohne Sinn nicht leben will..."

  • Die richtige Seite der Geschichte ist die der Gewinner, nicht mehr und nicht weniger.



    Ob der Gewinner besonders durch moralische Tugend auffällt, ist dabei eher dem Zufall geschuldet bzw. kann sich im Rückblick sogar ändern oder auch geändert werden.



    Das liegt an dem simplen Umstand, daß Ethik nunmal nicht zu den Voraussetzungen gehrt, die man benötigt, um Kriege zu gewinnen, umgekehrt aber das Gewinnen sehr gut dazu dient, die Geschichtsschreibung zu prägen.



    Kann man sich drüber ärgern, aber das nutzt soviel, wie wenn der Hund den Mond anbellt.

  • Bravo!!

    "Er produziert Gewissheit – und damit Autorität. Und hier verläuft die eigentliche Bruchlinie: Wer behauptet, den Sinn der Geschichte zu kennen, leitet daraus politische Notwendigkeit ab. Und dadurch entsteht die Legitimation, zu steuern, zu disziplinieren, zu sanktionieren. "

    Rahmt den Artikel ein, liebe taz! Und gebt ihn allen Lagerkämpfern zu lesen. Solange bis sie ihn verstehen! Er beschreibt genau _das_ Problem, welches in den letzten Jahren durch cancel culture befördert wird!



    Er beschreibt die Legitimation einen Großteil der Bevölkerung zu brandmarken, nur weil sie eine andere Meinung hat.



    Er beschreibt die Deligimation der Demokratie durch eine alternativlose Sichtweise.

    Er beschreibt die Sicht der Vertreter der "unsere Demokratie", welche für jedes Wort was ihnen nicht gefällt Pappschilder zücken, auf die Strasse gehen und erstmal brüllen, bevor sie den Diskurs suchen.



    Demokratie, Fortschritt und Entwicklung kann nur stattfinden, wenn man auch andere Meinungen hört, ihnen zuhört, und dann ernsthaft versucht Verständnis und Kompromisse zu entwickeln und sie nicht pauschal auf "die falsche Seite" der Geschichte schiebt sie von der "richtigen Seite" belehrt.

  • Danke für diesen tollen Artikel. Ich habe mich auch schon auf der "richtigen Seite" stehen sehen. Aber ohne mich auf die Geschichte zu berufen. Geschichte ist Chaos. So ist es wohl.

  • "Geschichte hat keinen Sinn und keinen Plan. Und Foucault zerschlägt die klassische Geschichtsvorstellung als kontinuierlichen Prozess oder Fortschritt. Geschichte ist für ihn kein Strom, sondern ein Netz aus Diskursen, Machtverhältnissen und Brüchen. Es gibt kein Ziel, keinen Fortschritt, keine Moral – nur Macht und Diskurs."



    Das ist aber offensichtlich allenfalls Wissen in der Oberstufe im Fach Philosophie, nicht im Fach Geschichte. Hier gibt es Schemata, Zeitstrahl, Bewertungen mit erreichten oder nicht erreichbaren Zielen und die Definition v. Sinnhaftigkeit für Handlungen u. gesellschaftliche Entwicklungen.



    Dem kann man mit vielen Argumenten widersprechen.



    Wer sich selbst auf der richtigen Seite der Geschichte in seiner unterkomplexen Zweidimensionalität verortet, handelt auch anmaßend und abwertend.



    Beides widerspricht menschlichen Erfahrungen, die zeigen, wie Macht u. Einfluss generiert werden, zementiert werden u. verteidigt werden.



    Dabei wird die Geschichte häufig von Siegern (um)geschrieben, regelrecht instrumentalisiert und Legenden werden geboren.



    Bei mann-schreibt-geschichte.de



    "Die zehn(?) Frauen Karls des Großen



    Karl der Große liebte die Frauen. Mochte die Kirche..."

  • Ein außerordentlich guter Essay, Chapeau! - Lange habe ich an der Idee des Fortschritts festgehalten. Inzwischen würde ich es in Anlehnung an Richard Rorty so sehen, dass es nur darum gehen kann, Leiden zu verringern. Alles was aktuell Leiden verringert, ist gut. Was heutige Entscheidungen für die Welt in 50 Jahren bedeuten, können wir nicht wissen.

    Dennoch hat die hegelianisch-marxsche Linie m.E. das Verdienst, den Besitzlosen eine Stimme und eine Perspektive gegeben zu haben, die Verhältnisse weltweit zum Tanzen gebracht zu haben. Für eine historisch kurze Weile war diese Geschichtsphilosophie in Gestalt des Ostblocks ein machtpolitisches Faktum. Für dessen Bewohner war es in mancher Hinsicht bedrückend, aber für die sozial Unterprivilegierten im reicheren Teil Europas war diese Systemkonkurrenz zweifellos von Vorteil. Nachdem sie wegfiel, wurde auch im Westen wieder stärker nach unten getreten.

  • "Und die „richtige Seite“ klingt zwar nach moralischer Gewissheit, ist aber philosophisch hohl, denn sie setzt ja voraus, dass die Geschichte nur zwei Seiten habe – und dass diese Seiten moralisch bestimmbar seien."



    Neulich war in der taz ein interessanter Artikel über Pronatalismus, d. Diskussion im Forum drehte sich auch um Eugenik u. einen "Protagonisten" namens Peter Thiel sowie einen "Nestor" der Eugenik, d. Naturforscher Ernst Haeckel. Die Wissenschaftsgeschichte hat ihre eig. Dichotomien, auch die Dialektik sieht gewissermaßen eine unterdimensionierte Zahl an möglichen Ausgängen vor.



    Ein anderer Fall war die Geschichte Robert Oppenheimers, auch hier die Ambivalenz d. Deutung "richtige Seite der Geschichte" erkennbar.



    "Als in den 1930-er Jahren in Deutschland die Faschisten an die Macht kamen, mussten viele von Oppenheimers Göttinger Kollegen ins Ausland fliehen. Diese Entwicklung veranlasste ihn dazu, sich dem politischen Zeitgeschehen zu widmen. Er fand Gleichgesinnte in einem Kreis junger Intellektueller, die sich gegen die deutschen Nationalsozialisten positionierten und mit kommunistischen Ideen sympathisierten. Diese Phase sollte ihm später..."



    Polit. Verhängnis



    swr.de

    • @Martin Rees:

      Oppenheimer ist in der Tat ein schönes Beispiel für die völlige Ambivalenz, die eine historische Figur in Bezug auf "richtige" und "falsche" Seite der Geschichte haben kann - und wie komplett diese Einschätzung vom Zeitgeist des jeweiligen Zurückblickenden abhängt.

  • Geschichte ist nicht das Geschehene. Es ist das, was für uns relevant daraus ist, das, was wir untersuchen, möglichst wissenschaftlich mit offener Quellenkritik, Selbst-Hinsehen & Co.



    Daher gibt es nicht "die" Geschichte, daher ändert sich evtl. auch mal die Seite, weil sich unsere Fragen an sie ändern und vermutlich stets ändern werden.



    Die Geschichte als Weltgericht, früher hätten Journalisten natürlich noch Schiller hierzu gelesen und eingewoben.

  • Wenn es um den Begriff geht, so hat Foucault dazu bereits alles gesagt.

    Kurz: Eine normative Reaktion auf die Art und Weise wie Macht gegen Menschen ausgeübt wird. Basierend auf den Vorgaben einer Episteme durch den Prozess der Governmentalität.

    Die Frage nach dem Sinn der Geschichte ist seit Hegel eigentlich erledigt.

    Kurz: Die Entfaltung der Geschichte hin zur Freiheit. Fukujama hat dieses mit dem Ende der Geschichte in die Moderne übertragen.

    Freiheit = Demokratie und bürgerlicher Rechtsstaat. Bedeutet Selbstbestimmung und freie Lebensführung für Bürger einer Demokratie.

    Plus Kapitalismus als Wirtschaftsform.

    Der letzte Absatz über den Glauben vom Sinn der Geschichte ist vor diesem Hintergrund ziemlich sinnfrei. Ob emanzipatorisch oder herrschaftlich ist ziemlich unerheblich im aktuellen Kontext, denn der bürgerliche Rechtshorizont ist bereits im Begriff hinter dem bereits erreichten Zustand zurückzufallen und das in einem rasanten Tempo.

    Für die Gegenwart mag sich der Autor die richtige Seite der Geschichte aussuchen. Die Wahl besteht zur Zeit zwischen einer naturalistischen Weltauslegung und der allgemeinen Kulturtheorie.

    Dennoch, netter Essay.

  • Schöner Beitrag! Danke sehr!