piwik no script img

Erhöhung des Mindestlohns um 41 CentWo bleibt die Aufregung?

Die Mindestlohnerhöhung ist so minimal, dass sie einen Reallohnverlust bedeutet. Wer das berechnet hat und was Gewerkschaften sagen.

Lebensmittel werden immer teurer. 41 Cent mehr die Stunde helfen da kaum weiter Foto: Michael Gstettenbauer/imago

1 Der Mindestlohn steigt 2024 auf 12,41 Euro, 2025 dann auf 12,82 Euro. Warum?

Das hat die Mindestlohnkommission so festgelegt, die aus Unternehmerverbänden, Gewerkschaftsvertretern und einem neutralen Dritten besteht. Sie argumentieren, dass die Wirtschaft nach Corona und Energiepreisschock nur wenig wächst. Deshalb fällt die Erhöhung gering aus.

Berechnet wird der Mindestlohn nach einer Formel. Seine Höhe „orientiert sich nachlaufend an der Tarifentwicklung“. Das heißt: Wenn die Löhne im letzten Jahr um 10 Prozent gestiegen sind, steigt der Mindestlohn demnächst auch um 10 Prozent. Das soll dafür sorgen, dass Mindestlohn und Löhne sich in die gleiche Richtung bewegen. Allerdings steigt der Mindestlohn somit immer später als die Tariflöhne. Weil die Löhne in den letzten beiden Jahren nur um 3 Prozent gestiegen sind, wird der Mindestlohn zweimal nur um 41 Cent angehoben – 3 Prozent pro Jahr.

Aber wenn es nur dieses mechanische Verfahren gäbe, dann könnte man die Mindestlohnkommission auflösen. Da würde ein Beamter im Arbeitsministerium mit einem Taschenrechner reichen. Es ist komplexer. Die Kommission soll beim Taxieren des Mindestlohns mehrere Motive beachten, die sich widersprechen können. Er soll nämlich ein „angemessener Mindestschutz“ für Beschäftige sein – also hoch genug. Andererseits soll er keine Jobs gefährden – also nicht zu hoch sein. Der Mindestlohn ist daher keine Rechenaufgabe, sondern das Ergebnis politischer Kämpfe.

2 Warum gibt es einen Mindestlohn?

Als Gerhard Schröder 2003 die Hartz-Gesetze einführte, hätte es fast einen Mindestlohn gegeben. Die SPD wollte, die Gewerkschaften wollten nicht – Lohnpolitik sei ihre Sache. Sie fürchteten, entmachtet zu werden. Das war eine katastrophale Fehleinschätzung. Hartz IV ohne Lohnregulierung führte zu einem extrem großen Niedriglohnsektor und einer dramatischen Entwertung von Arbeit. Das sei eben Marktwirtschaft, befand die FDP. Doch wenn viele (vor allem Frauen, vor allem im Osten) weniger als 4 oder 5 Euro in der Stunde verdienen, während in der Finanzkrise Steuerzahler Banken mit Hunderten Milliarden stützen müssen, ist Marktwirtschaft vielleicht doch keine so gute Idee.

Je destruktiver die neoliberale Marktgläubigkeit wirkte, umso attraktiver wurde der Mindestlohn. 2015 führte die Große Koalition endlich und sehr spät den allgemeinen Mindestlohn von 8,50 Euro ein – auf Drängen von Linkspartei, SPD und DGB und gegen den Widerstand von Union, FDP und Unternehmern.

3 Wieso legt eine Kommission die Höhe fest – und nicht der Arbeitsminister?

Für die weiteren Erhöhungen ist seit 2015, nach dem Vorbild Großbritanniens, die unabhängige Kommission zuständig. Die Idee: Tarifpolitik ist Sache von Unternehmern und Gewerkschaften. Deshalb sollen sie staatsfern mit einem neutralen Vermittler den Mindestlohn anpassen. Denn dessen Höhe beeinflusst ja auch die Löhne oberhalb des Mindestniveaus. Konservative und Liberale argwöhnen zudem, dass (linke) Politiker aus wahltaktischen Gründen den Mindestlohn zu oft erhöhen würden. Außerdem passt so eine Kommission prima zum beteiligungsorientierten, sozialpartnerschaftlichen deutschen Modell.

4 War der Mindestlohn seit 2015 ein Erfolg?

Der Mindestlohn hatte höchst erfreuliche Auswirkungen. Die von neoliberalen Ökonomen an die Wand gemalten Schreckensszenarien – massive Jobverluste und Firmenpleiten – blieben aus. Dafür stieg die Kaufkraft – das half der schwachen Binnennachfrage. Die mit der „Agenda 2010“ drastisch gestiegene Ungleichheit der Einkommen ging wieder etwas zurück. Dabei war die Kommission mehr als vorsichtig, sie hob den Mindestlohn von 2015 bis 2021 gerade mal um 1 Euro an – auf 9,50 Euro. So recht verständlich war diese Zurückhaltung nicht. Olaf Scholz hatte 2017 daher die richtige Idee (das Copyright hat die Linkspartei): Wenn die Kommission es nicht hinbekommt, muss – Staatsferne hin, Tarifautonomie her – die Regierung eben 12 Euro Mindestlohn durchsetzen. Der gilt seit dem 1. Oktober 2022. Das war ein politischer Erfolg der SPD, die „Respekt“ auch für einfache Arbeit einforderte.

5 Warum sind angemessene Löhne wichtig?

Der US-Philosoph Michael Sandel hat die politische Notwendigkeit angemessener Löhne so beschrieben: „Im Vergleich zu den riesigen Finanzgewinnen scheint ganz normale Arbeit wenig wert. Und die Menschen, die sie verrichten, werden gering geschätzt. Das muss sich ändern.“ Beim Mindestlohn geht es also um die ganz großen politischen Themen: Gerechtigkeit, Gemeinsinn und den gesellschaftlichen Zusammenhalt, ohne den die Demokratie zerfällt. Wenn Menschen in einem reichen Land Vollzeit arbeiten und davon nicht anständig leben können, verdampft ihr Vertrauen in die Gesellschaft. Zu viel Ungleichheit ruiniert die Demokratie. Und macht nachweisbar empfänglich für rechtspopulistische Botschaften.

6 Interessieren sich Medien für den Mindestlohn?

Medial ist das Thema unterbelichtet. Kein Aufreger, nichts für Seite 1, höchstens Seite 10! Schwierige Materie, viele Zahlen. Und es geht um die Unterschicht, also Leute, die unterdurchschnittlich oft wählen gehen und nur bedingt teure Qualitätsmedien konsumieren. Alles unsexy. Dabei könnte man diese 41 Cent Erhöhung durchaus ein kleines bisschen wichtiger finden, als, sagen wir mal, die Krönung von Prinz Charles. Der Mindestlohn betrifft schließlich gut sechs Millionen Menschen. Plus deren Familien.

7 Warum sind die Gewerkschaften jetzt empört? Sind 41 Cent wirklich zu wenig?

41 Cent wären ein akzeptabler Kompromiss – wenn Putin die Ukraine nicht überfallen hätte, die Gaspreise nicht explodiert wären und Lebensmittel nicht drastisch teurer geworden wären. Angesichts der Inflation von knapp 7 Prozent 2022 bedeuten die 41 Cent einen Reallohnverlust für Ärmere. Die Gewerkschaften tragen den Entschluss der Kommission zum ersten Mal nicht mit. Und haben dafür gute Gründe. Marcel Fratzscher, Chef des DIW, weist zu Recht darauf hin, dass Ärmere von der Inflation heftiger betroffen sind als die Mittelschicht – denn sie müssen einen größeren Teil ihres Geldes für Lebensmittel ausgeben. Die sind aber um fast 20 Prozent teurer geworden. Die Kommission hätte also – ihren eigenen Kriterien folgend – auch 13 Euro aufwärts festlegen können, eben um einen „angemessenen Mindestschutz“ für Beschäftigte zu schaffen. Hat sie aber nicht. Weil die Unternehmervertreter blockierten.

8 Wie geht es jetzt weiter?

Die Gewerkschaften ­hoffen auf die EU-Richtlinie, die Deutschland spätestens im Herbst 2024 umsetzen muss. Dann muss der Mindestlohn 60 Prozent dessen betragen, was ein Durchschnitts­beschäftigter bekommt. Technisch ausgedrückt: 60 Prozent des Medianlohns. Das wären laut Gewerkschaften derzeit 13,50 Euro pro Stunde. Unternehmernahe Ökonomen und Medien deuten die EU-Richtlinie aber nicht als exakte Vorgabe, sondern als lose Orientierung, von der man auch abweichen kann. Und bei 60 Prozent vom Medianlohn kommen manche Rechenkünstler nicht auf 13,50 Euro, sondern auf 12,40.

9 Und nun?

Die Fixierung auf die vergangene Lohnentwicklung kann zu krassen Unwuchten führen. Die Kommissionskriterien müssten daher so verändert werden, dass der Mindestlohn nicht mehr zu niedrig angesetzt werden kann. Dafür müssten neben dem Medianlohn auch die Preisentwicklung oder aktuelle Tarifabschlüsse einkalkuliert werden. Aber ist das realistisch? Die Unternehmerverbände verfügen über eine schlagkräftige Lobby. Der Reform-Elan der SPD scheint mit 12 Euro Mindestlohn und Bürgergeld schon wieder gänzlich erschöpft zu sein. Die Linkspartei möchte in ihrer Selbstbeschäftigung nicht gestört werden.

Also alles verloren? Nicht ganz. Es gibt einen Faktor, der allen nutzt, die im Supermarkt und auf Baustellen, in Callcentern, Blumenläden und Schlachthöfen arbeiten: der Arbeitskräftemangel. Weil nicht nur gut ausgebildete Fachkräfte rar werden, sind Dumpinglöhne schwerer durchsetzbar. Und vielleicht könnten neue Bündnisse entstehen.

Karl-Josef Laumann, Chef des Arbeitnehmerflügels der CDU, hat die 41 Cent in Grund und Boden kritisiert. Die Erhöhung sei zu gering und weltfremd, die Kommission mache sich damit überflüssig. Der ­Mindestlohn bleibt ein politisches Kampffeld. Medial randständig, aber für Millionen von zentraler Bedeutung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

42 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Sehr gut zusammengefasst. Klar und und übersichtlich auf den Punkt gebracht. Seit über 40 Jahren sinkt die Lohnquote und ausgerechnet jetzt mit all den Teuerungen kommt nur so ein Tropfen. Es ist zu befürchten, dass es immer schlimmer wird.

  • Sehr gute Darstellung des Themas. Besonders der Aspekt der Kaufkraft zur Stärkung des Binnenmarktes wird oft unterschlagen. In den unteren Einkommensklassen inkl. der staatlich Unterstützten wird nahezu 100 % des Geldes ausgegeben, allein um die Daseinsvorsorge zu sichern.

  • Deutschland und die Löhne .. ein Trauerspiel. Seit den 79ern sinkt die Lohnquote. .. Aus der Nazi-Vergangenheit und der Vorhistorie nichts gelernt, Gas-Gerd, Joschka, Stein(m)Eier, "Hartz-Peter", SPDCDUCSUFDP ..

  • Sorry, das war natürlich Unsinn. Man muss schon Jahre und Stunden auseinander halten. Damit bekommen die PilotInnen nur >21€/h mehr im Vergleich zu 0,41€/h. Also >51mal mehr.

    • @Jalella:

      Wo ist das Problem? Pilot ist eben ein schwer zu ergreifender, anstrengender Beruf. Aber wer auch so viel verdienen will, kann es ja trotzdem versuchen...

    • @Jalella:

      ...na ja, Piloten müssen ja auch eher in den Ruhestand gehen...

    • @Jalella:

      Wenn sie jetzt ihre Rechnung noch dahingehend berichtigen, dass diese 18 % natürlich nicht für ein Jahr Laufzeit gelten sondern für den Tarifzeitraum 2022 bis 2025, würde das der Wahrheit auch helfen.

  • Einfach mal auf der Zunge zergehen lassen:

    Die Vereinigung Cockpit (Gewerkschaft der PilotInnen der Lufthansa) hat gerade ein Angebot von 18,5% Gehaltssteigerung ausgeschlagen; war ihnen also zu niedrig. Ein Pilot bekommt (verdient?) mittel 200.000€ im jahr (Spitze bis 275.000€). 18,5% davon sind 37.000€. Das ist also 37.000/0,41 = 90.244 mal mehr. Aber das war ihnen ja nicht genug.

    Sieht jemand die soziale Schere noch, oder sind die zwei Schneiden inzwischen nicht mehr in Sichtweite voneinander?

    • @Jalella:

      Ein künftiger Pilot muß erstmal die Ausbildung bezahlen (mindestens 100000€), bevor er nur einen Cent verdient. Bei 8% Zinsen sind das ca. 8000€ im Jahr plus Tilgung. Kündigungsschutz hat er auch nicht, sich in ein anderes Land absetzen geht nicht, da ihm das Flugzeug nicht gehört. ;)

      • @Harald Schreiber:

        ...wenn Sie als Eltern ihrem Nachwuchs, der in einer Universitätsstadt 8 Semester studiert, bei 1.500 Euro Unterhalt auch fix bei 70.000 - 80.000 Euro...

        • @Alex_der_Wunderer:

          ...allerdings im Zweifel auch nicht, um dann Mindestlohn zu kassieren, oder? Davon abgesehen gibt es reichlich einträgliche Berufe, die weit weniger Vorleistung in die Ausbildung verlangen.

          Ansonsten ja, Piloten - bei den großen Fluggesellschaften zumindest - verdienen sehr gut. Jeden, den das stört, kann man nur fragen, warum er keiner ist. Gründe dafür gibt es genug, schätze ich (Leistungsdruck, Risiko-Investment "Ausbildung", unsoziale Arbeitszeiten, früher Ruhestand...). Sonst gäbe es auch mehr qualifizierte Piloten, und die, die es gibt, hätten nicht so eine hervorragende Verhandlungsposition.

          • @Normalo:

            👍✈️

  • Aufregen kammer sich, allerdings bin ich mittlerweile zu müde, mich über vorhersehbare Sachen im Nachhinein aufzuregen *lol*.



    Der Staat ist übrigens ganz vorn mit dabei wenns drum geht, die Bedingungen der von ihm indirekt entlohnten Werktätigen NICHT zu verbessern.



    Bei ner Auftragsvergabe fürs Neustreichen der Schule wird der Billigste genommen, ned der, wo diverse Kriterien (die gröstenteils lustigerweise erfolgreich seit Jahrzehnten verhindert werden) erfüllt, bei Subsub...-Unternehmern guckt der Staat nimmer hin, bis Kohle kommt für den Auftragnehmer wird verzögert indem noch ein sinnloses ned gesetztes Kreuzchen bemängelt wird, usw. usf. .

    • @Hugo:

      Wenn sowas auf kommunaler Ebene bekannt wird einfach mal bei der Fachaufsicht der Vergabe (im Zweifel Vergabe- bzw. Rechnungsprüfstellen von Kreis, Bezirk oder Bundesland) nachfragen, wie das sein kann, denn oftmals haben kommunale Auftraggeber keine Ahnung, an was für Regeln die sich halten müssen.



      In meinem Bundesland werden die Regelungen auf Landesebene sehr streng gehandhabt, da fliegt auch raus, wer meint er müsste die Beiträge der SOKA nicht immer zahlen. Ansonsten habe ich in den Urkalkulationen die letzten Jahre nichts gesehen, was so niedrig wie der Mindestlohn war, denn dafür findet man keine Fachkräfte am Bau mehr.

    • @Hugo:

      Für öffentliche Aufträge gilt in den meisten Bundesländern ein Vergabemindestlohn dessen Höhe über dem allgmeinen Mindestlohn liegt, in Berlin und Brandenburg etwa aktuell bei 13 €.

      • @Ingo Bernable:

        Mein Beispiel ist jetzt tatsächlich ein Reales und des in Thüringen ;) .



        Um den Vergabemindestlohn zu unterlaufen, gibts garantiert auch Möglichkeiten, wenn es sein muss, und wemmer nur den Leuten keine Minute Fahrzeit zur Baustelle bezahlt, paar Leute mit "richtigem" Lohnzettel hat, die aber was anderes zu tun haben etc. pp. .



        Auf die Vergaben von staatseigenen und staatsnahen Betrieben wie Bahn, Post, Telekom, Autobahn GmbH, Müll,... will ich eigentlich ned eingehen, des is ned in 5min gelesen.

        • @Hugo:

          Die Bahn hat gerade einem Tarifabschluss mit 12% Lohnzuwachs zugestimmt, die Post 15%, der Öffentliche Dienst je nach Entgeltgruppe 8-17%. Die Lohndrückerei öffentlicher und staatsnaher Arbeitgeber scheint ganz so groß dann doch nicht zu sein.

          • @Ingo Bernable:

            Sie verstehen den Unterschied zwischen direkt und indirekt?



            Sei's drum - ich kann Hugo ganz gut verstehen. Und vermeide es nach Möglichkeit, für den Staat und seine zahllosen Heinzelmännchen zu arbeiten.

          • @Ingo Bernable:

            Ich schrob "Vergaben" ned eigene Beschäftigte. "Facility management", kleine und große Bauaufträge bis zum letzten Pflasterstein, Security etc. pp.

            • @Hugo:

              Ok, als die Sub- und Sub-Sub-Unternehmen von staatsnahen Unternehmen unterlaufen angeblich - was zu beweisen wäre - den Mindestlohn und deshalb ist der Staat wie sie schreiben ganz vorne dabei Mindestlohn und Tariftreue zu unterlaufen?

              • @Ingo Bernable:

                Tatsächlich werde ich keine Beweise liefern, ich arbeite ned beim Zoll (der vermutlich immernoch desöfteren wegguckt).

  • Wichtig wäre aus meiner Sicht erstmal, dass der Mindestlohn wirklich vetbindlich wird, so lange er noch mit irgendwelchen dubiosen "Tarifverträgen" und Sonderegelungen unterlaufen werden kann ist das schon mal nutzlos. Weiterhin müssen dann auch die Steuerfreibeträge automatisch angepasst werden und als das ganze EU-weit angepasst werden, damit Arbeitskräfte auch wenn sie nur vorübergehend hier arbeiten benachteiligt werden.

    • @Axel Schäfer:

      ...richtig cool sind doch die Subunternehmen & Scheinselbstständigen Verträge...

  • Also ich komme bei 60% des Medians auf 12,66€ die Stunde.



    Mediangehalt in D sind 44.074€. 60% davon sind 26.444,40€. Pro Monat sind das 2.203,70€. Bei einer 40h Woche hat man 174 Arbeitsstunde im Monat, was 12,66€ pro Stunde entspricht.

    Keine Ahnung wie man da auf 13,5€ kommt.

    • @Wombat:

      60% des Medianeinkommens definieren die Grenze zur relativen Armut. Darüber ob man es für gerecht und gerechtfertigt hält Menschen die - oft harte - Vollzeitarbeit leisten dafür mit einem Armutslohn nach Hause zu schicken kann man schon unterschiedlicher Meinung sein.



      Das MiLoG bezieht sich hingegen keineswegs auf 60% des Medianeinkommens, sondern definiert einen fixen Betrag und legt regelmäßige Erhöhungen in die Hände der Komission die mit Vertreten von Arbeitgebern, der Wissenschaft und Arbeitnehmern besetzt ist und die unter der Maßgabe einer Gesamtabwägung Fairness und Wettbewerbsfähigkeit bei nachlaufender Orientierung an der Tarifentwicklung entscheiden soll. Zulezt gab es übrigens etliche Tarifabschlüsse mit zweistelligen Lohnzuwächsen (Post 15%, Groß-/Außenhandel 13%, Bahn 12%, ...). Für eine Entscheidung der Komission genügt ihr eine einfache Mehrheit.

  • Danke für diese sehr interessante und informative Darstellung der Sachlage und deren Entwicklung.



    Schön, statt nur Meinung, an dieser Stelle klare Fakten zum Thema erläutert zu bekommen.



    Dass Klingbeil sich nun zu Wort gemeldet hat und die Anpassung an die EU Mindestlohnrichtlinie im kommenden Jahr plant, läßt hoffen, dass sich die SPD, im kommenden Jahr, für 14 Euro Mindestlohn stark macht.

  • Mindestlohnerhöhung



    Superartikel! Fühle mich umfassend informiert über ein sehr wichtiges Thema das ich wohl aus Überflutung mit Krisen-unddargebotenen Lifestylethemen bei fehlender medialer Präsenz des Themas nicht auf dem Schirm hatte.



    Sehe hier an mir wie die Information durch die Medien Aufmerksamkeit und Anteilnahme schaffen und lenken kann, insbesondere durch umfassende Darstellung über die kurze Mitteilung hinaus.



    Danke für den Artikel!

  • Was in diesem Artikel nicht beleuchtet wird sind die negativen Auswirkungen des steigenden Mindestlohns. Und die dürften auch die Gründe sein, warum die Kommission so zurückhaltend war.

    Ein steigender Mindestlohn heizt die Inflation übermässig an. Denn in welchen Branchen wird den der Mindestlohn eingesetzt; Landwirtschaft, Pflege, Gastronomie und Bau.

    In der Landwirtschaft führt der Mindestlohn sofort zu einer Verteuerung der Lebensmittel was die Inflations noch mehr anheizt. Gleichzeitig verpufft der positive Lohneffekt, da ein grosser Teil der Beschäftigten die den Mindestlohn bekommen, Leiharbeiter aus dem europäischen Ausland sind, die das Geld nicht in Deutschland ausgeben.

    Ähnlich ist in der Pflege, schon die erste Lohnerhöhung hatte enorme Preissteigerungen bei den Pflegesätze in den Altenheimen zur folge, so dass sich immer wenige Menschen einen Pflegeplatz im Altenheim leisten. Auf der anderen Seite ist die Erhöhung des Mindestlohnes zwingend notwendig um genügend Pflegekräfte anzuziehen. Kritischer ist die Mindestlohnerhöhung für die Baubranche, sie bewirkt eine weitere Verteuerung der Bauvorhaben und die 400000 neue Wohnungen werden so in weite Ferne rücken. Am leichtesten dürfte die Mehrkosten in der Gastronomie zu verkraften sein, den hier wirkt noch der letzte Effekt der Energiepreiserhöhung positiv nach, denn mit der Energiepreiseerhöhung würden die Lebensmittelpreise erhöht, aber die Rückgang der Preise für Strom und Gas haben die Lebensmittel nicht vergünstigt.

    Es ist gut das die Kommission etwas zurückhaltend mit dem Mindestlohn war und die Inflation nicht noch weiter anheizt

    • @Thomas Zwarkat:

      Seit Schröder sind viele Produkte aus Deutschland so billig, dass wir in andere Länder derart exportieren können, dass der dortige Markt unter Druck gerät, siehe auch unsere Verletzung des EU-Stabilitätspaktes.



      Beispiel: Feta-Käse aus Aurich wird zu Dumpingpreisen in Griechenland verkauft, deutsches Schweinefleisch geht nach China, Geflügel nach Afrika ..., selbst unser Maschinenbau ist für die Qualität zu billig. Es gibt Schätzungen, dass unsere Lohnzurückhaltung mittlerweile bei 30 % liegt.

    • @Thomas Zwarkat:

      Meinen Sie echt die Wirtschaft interessiert das überhaupt, die jammern immer, seit über 30 Jahren wird ständig von Lohnzurückhaltung gefaselt und dann irgendwas wie stabile Preise und Investitionen in Zukunft und Wettbewerbsfähigkeit versprochen.



      Die ganze Zeit Reallohnverluste, bei immer höheren Gewinnen. Die Gelder wurden dann auch hübsch am Staat vorbei irgendwo Offshore verbracht, oder in Steuersparmodellen verpackt gesichert und am besten über cum ex dann auch noch der Staat weiter geschröpft.



      Ich glaube dem Gejammer auch heute noch nicht, und kann es auch kaum glauben, dass immer noch so viele Leute drauf reinfallen.

    • @Thomas Zwarkat:

      Die gefürchtete Lohn-Preis-Spirale könnte man ja auch mal mit Lohnzurückhaltung bei den Spitzengehältern bremsen. Warum ausgerechnet diejenigen die ohnehin für ganz kleines Geld ranklotzen nun die Volkswirtschaft mit Reallohnverlusten retten sollen während die Gewerkschaften reihenweise zweistellige Lohnerhöhungen aushandeln, von Topverdienern gar nicht erst zu reden, ist kaum einsichtig.

      • @Ingo Bernable:

        ... oder einfach mal den in aller Regel üppigen Gewinnaufschlag reduzieren, den Unternehmer und Unternehmen für Waren und Dienstleistungen einkalkulieren.

  • Naja, den Effekt des Mindestlohns sehen die meisten (die ihn nicht bekommen) derzeit beim Einkaufen... Und "nur" 3 Prozent Erhöhung? Mal Hand hoch wer mehr bekommen hat.

  • Vielen Dank für diesen übersichtlichen und wichtigen Artikel!



    Es ist schwer zu ertragen, wie die Armen in unserer Gesellschaft systematisch vernachlässigt werden. Bei der Anpassung des Bürgergeldes ist das Problem übrigens ganz ähnlich.



    Neben der im Artikel beschriebenen und verlinkten Gefahr für unsere Demokratie, lässt sich an solchen Entscheidungen der Umgang mit den (vor allem ökonomisch) Schwächsten in unserer Gesellschaft und damit letztlich auch der Wert unserer Gesellschaft insgesamt messen.

  • So so, beim Mindestlohn geht es um "Gerechtigkeit, Gemeinsinn und den gesellschaftlichen Zusammenhalt".



    Was sind das wieder für Begriffe von Gerechtigkeit, Gemeinwesen und Gesellschaft? Der Mindestlohn hilft naturgemäß immer nur Lohnabhängigen. Selbstständige und Menschen, die unbezahlte Arbeit machen (hauptsächlich Frauen), fallen von vornherein hinten runter. Nach der letzten Zeitverwendungsstudie (von 2013) werden in Deutschland mehr Arbeitsstunden unbezahlt geleistet als bezahlt. Die unbezahlte Arbeit ist essentiell für das Gemeinwesen und auch für "die Wirtschaft": Ohne die ganze Sorgearbeit können Menschen einfach nicht existieren (mithin auch keine Erwerbsarbeit ausüben), ohne die Demokratie- und die schöpferisch-kreative Arbeit gäbe es kein Gemeinwesen.

    Es ist dabei völlig unmöglich, diese unbezahlte Arbeit etwa auch vollständig in die Erwerbsform zu zwingen. Dazu bräuchte es eine allwissende Behörde, die jede Arbeit bezüglich ihres Beitrages zum Gemeinwohl taxieren könnte und dann die entsprechende Bezahlung durchsetzen würde. Das ist offensichtlich unmöglich.



    Daraus und aus dem Grundrecht auf Leben in Würde folgt, dass ALLE MENSCHEN unabhängig davon, was und wieviel sie arbeiten, erst einmal finanziell abgesichert werden müssen. Und da hilft der Mindestlohn einfach gar nicht.



    Stefan Reinecke hat immer nur die Erwerbsarbeit (ausgenommen die Selbstständigen) im Blick, alle anderen Gruppen (Arbeitssuchende, Erwerbsunfähige, Rentner) zählen für ihn irgendwie gar nicht. (Die durch den Mindestlohn anfallenden Kosten zahlen sie allerdings trotzdem mit.)

    Der ganze Text strotzt von der Erwerbsarbeitsideologie. Es geht um Umgleichheit, "die Ärmeren", "anständig leben können" und solche Sachen. Aber immer nur um die (abhängig) Erwerbstätigen.



    Der Autor bedauert, der Mindestlohn sei medial randständig. Dabei ist für ihn alles jenseits der Erwerbsarbeit (und jene, die die andere Arbeit machen) einfach gar nicht existent. Ignoranz oder schon Klassismus?

  • Der Mindestlohn war vor der Erhöhung auf 12€ bei 10,45€. Wer nur diesen Artikel liest könnte meinen, es seien 9,50€ gewesen

  • "Die Mindestlohnerhöhung ist so minimal, dass sie einen Reallohnverlust bedeutet."



    Das gilt für fast alle Löhne und die Renten auch. Fast alle haben einen Reallohnverlust.



    Nur die mit dem Mindestlohn trifft es härter, da es vielen so schon nicht reicht.

  • Die Erhöhung des Mindestlohns durch Olaf Scholz auf €12 war keinesfalls eine brillante Idee, sondern ein einfach zu durchschauendes Wahlkampfversprechen, dass er zufällig mal eingehalten hat. Darauf hätte die Taz durchaus hinweisen können.

  • Ich sag mal in FDP-Sprech; Arbeiten lohnt sich nicht.

  • Median und Durchschnitt ist nicht das gleiche.



    Der Median kann sowohl größer als auch kleine X Quer, also statistischer Durchschnitt, sein.

  • Ein interessanter Artikel.

    Die angeführten €13,50 erscheinen mir tatsächlich angemessen. Tatsächlich hat die u.a. durch den Krieg angetriebene Inflation die im letzten Jahr politisch realisierten € 12,00 längstens überholt.

    Zwar ist mir die aktuelle demographische Entwicklung nicht transparent. Es lässt sich aber erkennen, das Servicekräfte, die in der Vergangenheit mit variablen Lohnanteilen, wie z.B. Trinkgeld, kalkulieren konnten, seit der Pandemie übermäßig verloren gegangen sind. Es steht zu vermuten, das die Menschen in stabilere Lohnverhältnisse gewechselt haben. Die Arbeitsqualität muss sich dabei keineswegs verbessert haben. Mit einem angemessenen Mindestlohn hätte z.B. auch die Gastronomie wieder eine Chance Arbeitskräfte zurück zu gewinnen. Trinkgelder könnten dann z.B. das Zünglein an der Waage zur Jobfindung sein.