Energieexperte über geplantes Öl-Embargo der EU: „Russland trägt keinen Schaden“
Energieexperte Jörg Schindler sieht einen Importstopp für russisches Öl in der EU kritisch. Brüssel wisse nicht, wie das Öl ersetzt werden solle.
taz: Die EU will, mit sechs Monaten Übergangsfrist, ein Ölembargo gegen Russland durchsetzen, um „den Druck auf Russland zu maximieren“. Was halten Sie davon?
Jörg Schindler: Eher wenig. Das Ölembargo in dieser Form ist ein Kompromiss, denn selbst innerhalb der EU gibt es keine Einigkeit, weshalb Ausnahmen für Ungarn und die Slowakei zugelassen werden. Auch der Zeithorizont ist schwierig. Was nach sechs Monaten auf dieser Welt los sein wird, kann niemand absehen. Ob man den erhofften Druck auf Putin wirklich erzeugt, ist zweifelhaft. Egal ob man das Embargo für richtig oder falsch hält – es wird nicht funktionieren.
Warum?
Der Weltölmarkt ist ein System kommunizierender Röhren und deshalb kann Putin sich sicher sein, das Öl an andere Länder zu verkaufen. An den Sanktionen beteiligen sich längst nicht alle Länder, denken Sie nur an Indien, China oder die Türkei. Ich glaube nicht, dass Russland großen Schaden davonträgt, weil es nicht auf seinem Öl sitzen bleiben wird. Den maximalen Druck wird es nicht geben.
der Energiexperte war Geschäftsführer der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik und ist Autor zahlreicher Bücher zu Mobilitäts- und Ressourcenpolitik.
Wirtschaftsminister Robert Habeck befürchtet als worst case, dass wegen des Embargos der Ölpreis weiter steigt und ärmere Länder die Ölrechnung nicht mehr bezahlen können. Dann kommt Putin als Retter um die Ecke und bietet großzügige Rabatte.
Schwer einzuschätzen, ob das ein realistisches Szenario ist. Die Entwicklung des immer von Spekulationen getriebenen Ölpreises lässt sich ohnehin schwer vorhersagen. Wir sollten uns daran erinnern, dass der Ölpreis schon vor dem Ukrainekrieg stark angestiegen war. Die USA mussten große Teile ihrer strategischen Reserve freigeben, das war in diesem Ausmaß historisch und das spricht Bände. Der gesamte Weltölmarkt ist äußerst eng, er ist an einer Grenze angekommen. Die konventionelle Ölförderung stagniert schon seit 2005. Die steigende Nachfrage konnte seitdem nur durch die Frackingindustrie in den USA bedient werden.
Woher wird die EU ihr Öl beziehen, wenn es nicht mehr aus Russland kommen soll?
Das ist völlig unklar. Hinter dem Embargo steht nicht viel mehr als die diffuse Hoffnung, das Öl schon irgendwoher zu bekommen. Viele Förderländer wie etwa Saudi-Arabien haben langfristige Verträge mit ihren Abnehmern. Die Saudis müssten andere Länder aus den Verträgen rauswerfen, um mehr Öl nach Europa liefern zu können. Hier zeigt sich die westliche Hybris. Man glaubt ernsthaft, die Macht zu besitzen, diesen komplexen Weltölmarkt auf den Kopf zu stellen, ohne sich dabei selbst zu schaden. Das wird nicht gehen.
Nancy Pelosi, die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, hat beim Besuch in Kiew vor einem Ölembargo der EU gewarnt, was befürchtet sie?
Pelosi befürchtet weitere Preissteigerungen beim Öl und damit auch an den US-Tankstellen. Der Benzinpreis, das Recht auf jederzeit billigen Sprit, ist für die US-Wähler ein Essential. Das kann die Biden-Administration jetzt überhaupt nicht gebrauchen.
Wie könnte man den Ölpreis auf ein anderes Niveau bringen? Es ist noch nicht so lange her, als wir zu Beginn der Coronapandemie negative Ölpreise hatten und danach eine lange Phase unter 50 Dollar.
Eine globale Ausweitung des Ölangebots kann es nicht geben. Der hohe Ölpreis ist zunehmend strukturell bedingt. Nur eine zurückgehende Nachfrage kann niedrigere Ölpreise bringen. Das erfordert aber politisches Handeln. So erklärt sich auch die jüngste Initiative der Internationalen Energieagentur, die die Industrieländer auffordert, dringend den Verbrauch einzuschränken, insbesondere im Verkehr durch strenge Tempolimits, Fahrverbote und ein Ende der Kurzstreckenflüge. Bemerkenswert, dass ausgerechnet das kein Thema in der politischen Diskussion ist.
Das Embargo soll mit sechs Monaten Übergangsfrist durchgeführt werden. Dann ist dieser bestialische Krieg hoffentlich zu Ende. Was dann? Kann man den Ressourcenstaat Russland auf ewig ächten?
Das ist keinesfalls realistisch. Die Verflechtungen Europas mit Russland sind zu stark. Der einäugige Blick auf Russland, das abhängig ist von uns, ist falsch, weil wir und Europa und die ganze Welt genauso abhängig sind von Russland. Es exportiert nicht nur fossile Energien, sondern auch Weizen, aber auch viele Metalle und die Grundstoffe für Dünger. Es sind vollkommen naive Vorstellungen, wenn man glaubt, Russland dauerhaft durch das Drehen einiger Schrauben aus der Weltwirtschaft ausschalten zu können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe