Ein-Euro-Jobs als Druckmittel: Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Eine neue Weisung der Arbeitsagentur droht Bürgergeldempfängern mit Ein-Euro-Jobs. Hamburgs Jobcenter will das gleich probieren.
Heyden spielt auf eine neue Weisung der Arbeitsagentur von Ende Oktober an, nach der Bürgergeldempfänger, die wiederholt nicht zu Terminen kommen oder Maßnahmen verweigern, „durch Zuweisung in eine AGH verpflichtet“ werden können. Als Sanktion droht die Kürzung des Bürgergelds. Heyden nannte dies eine „politisch motivierte Debatte“, die aus „operativer Sicht“ eine „absolut untergeordnete Bedeutung“ habe.
Doch dann fuhr er fort, man werde die Zielgruppe für AGH „um die kleine Gruppe von Menschen erweitern, die eben nicht mitarbeiten“. Dafür werde man „mal anfangen, für die ersten AGH-Maßnahmen einzelne Kunden auszuwählen. Wir wollen uns konzentrieren auf die Kunden, die wir dreimal eingeladen haben und die dreimal nicht zum Beratungsgespräch gekommen sind. Das ist tatsächlich ein Problemfeld für uns.“
Auch in einer Mail seines Jobcenters an Vertreter der Landesarbeitsgemeinschaft der Beschäftigungsträger (LAG Arbeit), die zur Fachtagung eingeladen hatten, ist die Rede davon, dass man an die Weisung gebunden sei und in den kommenden Monaten „erste Erfahrungen gesammelt“ werden sollen.
Olga Fritzsche, Bürgerschaftsfraktion Die Linke
„Das hört sich an, als würde das Jobcenter die Weisung umsetzen, und das finde ich falsch“, sagt Petra Lafferentz vom Vorstand der LAG Arbeit. „Meines Wissens hat das Jobcenter Spielräume und ist autonom.“ Mit der Zwangsandrohung werde die Arbeitsgelegenheit als Angebot diskreditiert. „Die suchen nicht Personen, für die Arbeitsgelegenheiten ein guter Schritt wären, sondern die, für die das eh nicht taugt“, so Lafferentz.
„Integration in den Arbeitsmarkt funktioniert nie über Zwang“, sagt die Sozialpolitikerin Olga Fritzsche von den Linken. „Auch wenn die Gruppe der potenziell von der Zwangsarbeit Betroffenen voraussichtlich klein ist, werden damit die von Presse und Politik seit Langem befeuerten Ressentiments gegenüber Erwerbslosen weiter gespeist.“ Fritzsche geht davon aus, dass das Jobcenter die Weisung umsetzten muss, aber dabei Ermessensspielraum hat. „Sie müssen die Betroffenen nicht zu einer AGH verpflichten.“
Arbeitsgelegenheiten sind auch bekannt als Ein-Euro-Jobs, weil es zusätzlich zur Hilfe zum Lebensunterhalt einen bis zwei Euro Lohn pro Stunde Arbeit gibt. Sie waren seit ihrer Einführung im Zuge der Hartz-Reform 2005 sehr umstritten, eben weil sie Zwangscharakter hatten. Mit Einführung des Bürgergelds zum 1. Januar 2023 sollte das vorbei sein, der entsprechende Passus wurde aus dem Gesetz gestrichen.
Doch die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP legte im Sommer im Rahmen einer „Wachstumsinitiative“ fest, dass für Bürgergeldempfänger „Konsequenzen bei fehlender Mitwirkung verschärft“ und Sanktionen „kalibriert“ werden sollen. Zudem wird im Bundeshaushalt der Bürgergeldetat für 2025 drastisch gekürzt, weshalb solche Maßnahmen „den Leistungsbezug restriktiver gestalten sollen“, wie der Paritätische Wohlfahrtsverband in einer Analyse schreibt.
Mit diesem Etat, und das war das eigentliche Thema der Tagung „Langzeitarbeitslose ohne Perspektive?“, wird das Budget für die Verwaltung der Jobcenter ebenso gekürzt wie die sogenannten Eingliederungstitel, aus denen Integrations-Angebote für Langzeitarbeitslose bezahlt werden.
In Hamburg steht die Bürgerschaftswahl vor der Tür und die Bilanz der sozialen Arbeitsmarktpolitik ist nicht gut, weil die reiche Stadt kein Geld dazugibt, obwohl „die Zahl der Arbeitslosen wieder steigt“, wie Klaus Wicher vom Sozialverband SoVD sagte.
Erst vor einem Jahr, das machte der Geschäftsführer der LAG Arbeit, Bernd Schröder, deutlich, waren rund 520 AGH-Jobs in Stadtteilprojekten gestrichen worden. Bei Protesten dagegen wurde deutlich, dass die Betroffenen diese auf freiwilliger Basis als hilfreich betrachten, weil ihr Alltag dadurch Struktur bekommt. Rund 30 Projekte mussten in der Folge schließen oder ihre Angebote deutlich reduzieren, berichtet Schröder. Er warf eine Grafikkurve an die Wand, die bei Hamburgs Beschäftigungsmaßnahmen einen nun schon 14 Jahre dauernden Abwärtstrend zeigt. Es fehlten Sozialkaufhäuser, Seniorencafés und Fahrradprojekte, besonders in ärmeren Vierteln.
Als SPD und Grüne vor vier Jahren ihre Koalition in Hamburg schlossen, versprachen sie, alternativ zu AGH mehr richtige, sozialversicherungspflichtige Jobs über das Teilhabechancengesetz zu schaffen und das mit städtischen Mitteln zu ko-finanzieren. „Das hat nicht geklappt“, sagt Schröder. Versprochenen war, die damaligen 275 Quartiersarbeitsplätze um 550 zu verdreifachen. Es sind aber nur 120 dazugekommen.
Auf der Tagung hatte zuvor die Nürnberger Forscherin Claudia Globisch, die das Teilhabechancengesetz evaluiert, vorgetragen, wie effektiv die Teilhabe-Jobs sind. Allerdings bekommt sie nur, wer schon mehrere Jahre ohne Arbeit ist.
Dem sozialen Arbeitsmarkt droht ein Kahlschlag
Hamburg hat seit Jahren kein eignes Budget für soziale Arbeitsmarktpolitik mehr. Zudem droht nun wegen der von der zerbrochenen Ampelkoalition geplanten Kürzungen im kommenden Jahr eine Unterdeckung im Etat des Jobcenters. Heyden räumte ein, dass er sehr wahrscheinlich wieder „Geld aus der Arbeitsmarkpolitik nehmen muss“, um die Jobcenter-Verwaltung zu finanzieren. Das sei im ganzen Land so.
Gleichwohl gebe es auch eine Entlastung, weil Maßnahmen wie die Rehabilitation künftig direkt von der Arbeitsagentur bezahlt würden. Werde der Bundeshaushalt wie geplant verabschiedet, würde Hamburg im sozialen Arbeitsmarkt im ersten Jahr „keine gravierenden Einschnitte“ planen.
Schröder beruhigt das nicht. „Wenn die Wahl vorbei ist und der Wirtschaftsplan vorliegt, werden wir im Eingliederungstitel nicht mehr viel Geld zur Verfügung haben“, sagt er. „Wir befürchten, dass der soziale Arbeitsmarkt vollständig zum Erliegen kommt.“ Zumal gerade nicht mal die Verabschiedung des Bundeshaushalts sicher scheint.
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