EU-Einigung auf Asylreform: Die grüne Flucht nach rechts
Die Neuordnung des EU-Asylsystems bedeutet für Flüchtlinge Inhaftierung und mögliche Abschiebung in Kriegsgebiete. Es zwingt die Grünen zu Verrenkungen.
B is vor Kurzem hatte die Webseite der Grünen eine Themenrubrik namens „Flüchtlinge“. Darin stand ein klarer Satz: „Vorgezogene Asylverfahrensprüfungen an den Außengrenzen lehnen wir ab.“ Diese Seite ist nicht mehr erreichbar. Stattdessen gibt es eine Weiterleitung, dort ist von „Humanität, Ordnung und Solidarität an der Grenze“ die Rede. Der semantische Abstand zur CDU ist da nur noch haarscharf: Bei der ist der Passus zum selben Thema überschrieben mit „Unser Weg für Humanität und Ordnung“.
Beschrieben werden bei Grünen und Union die Vorzüge der Neuordnung des EU-Asylsystems GEAS, das am Mittwoch vom EU-Parlament beschlossen wurde.
Es sieht – und das ist eine Idee des alten deutschen CSU-Innenministers Horst Seehofer – vor, dass Ankommende an den Außengrenzen künftig in großer Zahl inhaftiert werden und Schnellverfahren durchlaufen müssen. Offiziell gelten sie in dieser Zeit als „nicht eingereist“. Wer vorher in einem „sicheren Drittstaat“ war, soll sehr leicht dorthin zurückgeschoben werden können – auch, wenn diese „sicheren Drittstaaten“, wie etwa die Türkei, ihrerseits in Kriegsgebiete oder unsichere Staaten wie Afghanistan abschieben.
Die EU entledigt sich so der Menschen, der moralischen Verantwortung aber entkommt sie nicht. Das neue GEAS ist ein System der Entrechtung und der Abschottung. Es wurde auf EU-Ebene nur möglich, weil Deutschland im vergangenen Sommer eine Einigung forcierte. Die Grünen-Parteispitze warb damit, so einen „verbindlichen Verteilmechanismus“ innerhalb der EU durchsetzen zu können. Das GEAS widersprach dabei der Beschlusslage der Partei völlig eindeutig.
Der Verteilmechanismus, dessen Existenz bis heute heraufbeschworen wird, war in Wahrheit nie vorgesehen. Es wird ihn auch jetzt nicht geben, sondern nur eine Zahlungsverpflichtung für Länder, die anteilig zu wenige Flüchtlinge nehmen. Sehr wohl aber gibt es Haft für die Schwächsten, auch für Kinder – das, was die Grüne Parteispitze zu verhindern versprach.
Annalena Baerbock warb am Mittwoch vor der Abstimmung für das GEAS, nannte es einen „Meilenstein“ für „Humanität und Ordnung“. Doch damit vermochte sie nicht mal ihre eigene Fraktion im Brüsseler Parlament zu täuschen. Die sah klar – und lehnte den Kompromiss ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“