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Reform des EU-AsylsystemsDrittstaaten-Deals und Abschreckung

Gegen Migration setzt die EU auf Lager an den Außengrenzen und Kooperationen mit Transitländern. Manchen geht das nicht weit genug.

Syrische Migranten, die vor dem Krieg nach Europa fliehen, kommen auf der griechischen Insel Lesbos an Foto: Ashley Cooper/imago

Brüssel/Berlin taz | Gegen die Stimmen von Linken, Grünen, einigen Sozialdemokraten und der extremen Rechten hat das EU-Parlament am Mittwoch für die Reform des EU-Asylsystems Geas gestimmt. 2026 soll es in Kraft treten, mittelfristig sollen an den EU-Außengrenzen dafür Internierungslager mit bis zu 120.000 Plätzen entstehen. In diesen soll der Schutzanspruch vieler Ankommender in Schnellverfahren geklärt werden. Die Abschiebungen in Drittstaaten soll das Geas stark erleichtern.

Die Verhandlungsführer des Europaparlaments warnen mit Blick auf diese Drittstaaten bereits vor Missbrauch. Ein Dorn im Auge sind den führenden EU-Parlamentariern vor allem die Abkommen, die die EU-Kommission und Italien am Parlament vorbei ausgehandelt haben. Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) hatte erst Deals mit Tunesien, im März dann auch mit Ägypten und Mauretanien ausgehandelt, die auch eine enge Zusammenarbeit bei der Abwehr „irregulärer“ Migration vorsehen.

Von der Leyen arbeitete dabei eng mit der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni zusammen, die die post-faschistische Partei Fratelli d’Italia führt und die Migration radikal einschränken will. Meloni wiederum hat im nationalen Alleingang ein Abkommen mit Albanien abgeschlossen, wo künftig ein Teil der Asylverfahren durchgeführt werden soll. Brüssel hat den umstrittenen Deal für rechtmäßig erklärt.

„Diese Abkommen beunruhigen uns, sie gehen nicht konform mit dem Pakt“, kritisierte der konservative spanische EU-Abgeordnete Jorge Buxadé. Die geplanten Abschiebungen von nicht asylberechtigten Migranten aus den neuen Grenzlagern dürften nur in sichere Drittländer erfolgen und müssten genau kontrolliert werden. Doch das sei bei den neuen Drittstaaten-Deals nicht der Fall.

Flüchtlingsdeal mit der Türkei gilt als Muster für Abkommen

So gebe es keine Garantien dafür, dass Asylbewerber in Albanien bleiben und nicht über den Balkan in die EU weiterziehen. Ägypten und Tunesien seien nicht sicher; zudem werden sie von Autokraten geführt. Ähnlich hatte das Europaparlament bereits den Flüchtlingsdeal mit der Türkei kritisiert, der bereits 2016 geschlossen worden war – und nun als Muster für die neuen Abkommen gilt.

Auch die EU-Bürgerbeauftragte, Emily O’Reilly, hat große Bedenken. Die neuen Abkommen mit Tunesien und Ägypten enthielten keine Klauseln zu Menschenrechtsverletzungen und möglichen EU-Sanktionen – etwa einer Aussetzung der Zusammenarbeit. Doch die EU-Kommission stellt sich taub. Sie hat weitere, milliardenschwere Deals mit Drittstaaten angekündigt, um die „irreguläre“ Migration zu stoppen.

Auch die Staats- und Regierungschefs der EU wollen den eingeschlagenen Weg weitergehen. Bei einem Sondergipfel in der kommenden Woche wollen sie die ausgesetzte Zusammenarbeit mit der Türkei wiederbeleben. Die Kooperation in der Asyl- und Migrationspolitik steht dabei ganz weit oben; die Türkei soll als restriktiver „Türsteher“ für Europa dienen.

Die Union indes denkt schon weiter. Sie will im Mai ihr neues Grundsatzprogramm verabschieden – und was darin vorgesehen ist, lässt das Geas auf ganzer Linie hinter sich: „Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen“, heißt es im Programmentwurf. Bei Anerkennung werde „der sichere Drittstaat dem Antragsteller vor Ort Schutz gewähren“.

Das UK-Ruanda-Modell für Deutschland

Es ist das Ruanda-Modell Großbritanniens, weshalb der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt im März in das ostafrikanische Land reiste. Der Migrationsminister dort habe „hohe Bereitschaft“ gezeigt, entsprechende Verträge mit Deutschland zu treffen. Rechtliche Probleme sieht Dobrindt nicht, wenn die Asylverfahren nach europäischen Standards und unter Aufsicht der EU durchgeführt würden.

In Großbritannien hatten Gerichte die Abschiebung Asylsuchender nach Ruanda mehrfach untersagt. In einer Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik vom März ist von „rechtlichen, praktischen und politischen Einwänden“ die Rede, die in der Debatte um ein deutsches Ruanda-Modell „ausgeblendet“ würden.

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10 Kommentare

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  • He καταστροφή - katastrophé - und noch lange kein Ende in Sicht!

    Bin auf Karlsruhe gespannt.



    Insbesondere seine Rechtsprechung zu Abschiebungen in menschenwürdige Behandlung nicht gewährleistende Staaten - zB Bulgerien aber schon mal - Italien!



    Da könnte die EU bzgl der Lager in Drittstaaten - die Rechnung ohne “es gibt noch Richter in Karlsruhe“ gemacht haben.



    & wo gerade Italien zitiert - newahr —



    Sei für eine ganz wichtigrelevante Wurzel dieses ubiquitäre Übel -



    (“Eine Katastrophe (altgriechisch καταστροφή katastrophé „Umwendung“, aus κατά katá „herab-“, „nieder-“ und στρέφειν stréphein „wenden“) ist ein folgenschweres Unglücksereignis. Oft wird der veraltende Begriff Verheerung als synonym angesehen.“)



    Sei Friedrich Küppersbusch erneut zitiert (gern auch den tazis für ehran buddy Mielke auf Rädern reingerieben)



    "Das Verhalten der Südschiene in Flüchtlingsfragen ist auch dem Grexit und dem Verhalten der Nordschiene - Deutschland insbesondere Wolfgang Schäuble vorweg (“wer anderes von mir verlangt - dann tret ich zurück vs Richtlinienkompetenz Angie Arr 65 GG)



    Ab da wusste die Südschiene - wenn uns das Wasser bis zum Hals steht - läßt uns die NORDSCHIENE im Regen stehn!“



    Schland - ohne Außengrenzen mittendrin - macht auf dicke Hose -



    “Auch Deutschland war zunächst dagegen. Doch im vergangenen Jahr lenkten Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ein. „Es ist an Europa, jetzt Handlungsfähigkeit zu beweisen“, forderte Baerbock kurz vor dem Votum.“



    taz.de/Abstimmung-in-Bruessel/!6003964/



    &



    Lovando



    “Ja! “Ich Völkerrecht - du Schweinepriester!“ & N.F. vande Görg Ffm



    Da haben sich zwei gefunden - denen -

    Öffentliches Recht - insbesondere Verfassungs&Völkerrecht et al.

    Ein Buch mit 7 Siegeln - Bömische Dörfer sind!



    Gelle: Bitter - aber wahr • “



    ebenda

    • @Lowandorder:

      Sorry Verb fehlt -

      “…dem Verhalten der Nordschiene - Deutschland insbesondere Wolfgang Schäuble vorweg (“wer anderes von mir verlangt - dann tret ich zurück vs Richtlinienkompetenz Angie Arr 65 GG)



      geschuldet …“

      So geht das ©️ Kurt Vonnegut



      „Wir können wirklich etwas lernen, nur wenn wir uns wirklich nichts mehr vormachen.“ But



      “Politiker sind keine Juristen! Auch wenn sie zwei Staatsexamen haben!“



      ©️ Bernhard Schlink

  • Weder ein Großteil der Flüchtlinge noch die anderen EU-Staaten haben meiner Einschätzung nach Einwände, wenn Deutschland diese Menschen aufnimmt. Deshalb verstehe ich das Problem nicht so ganz. Diese Menschen können doch in Deutschland aufgenommen werden und hier Ausbildungen etc. machen.

    Wenn ich mich richtig erinnere, müssen EU-Länder die keine Flüchtlinge aufnehmen (können/wollen), finanzielle Ausgleichszahlungen leisten. Mir erscheint das fair für alle Beteiligten.

    • @*Sabine*:

      Sehe ich ganz auch so. Wie schon 1945 sollte jeder Haushalt eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen. Somit könnten wir locker 30 Millionen Menschen aufnehmen.

      Die Deutschen müssen endlich einsehen, dass die Zeit des dekadenten Luxus (riesige Wohnungen, Urlaubsreisen, Autos) vorbei sind...

  • Ja, es reicht eben nicht, die Zufluchtsuchenden auf EU-Boden zu verprügeln und de facto einzuknasten (Polen), sie illegal zurückzuschieben (Bulgarien, Griechenland...), sie im Meer ertrinken zu lassen (alle), sie kommen, weil es zu Hause schlicht zu schrecklich ist, um zu bleiben, und/oder, weil die Staaten, in denen sie bislang untergekommen sind, ihnen keinerlei Perspektive bieten, von Regen in die Traufe... (z.B. Libanon).

    So eine Auslagerung in vermeintlich semidemokratische Drittstaaten bietet natürlich eine tolle Lösung! Hey, wer von den dort internierten Geflüchteten wird sich dann auf den Rechtsweg berufen? Ach, den gibt es nicht? Ach, wie fein! Dann kann ja keiner klagen und Rechte einfordern - immer gut, wenn man den Leuten nicht zu viel sagt, sonst kommen sie noch auf die Idee, dass sie Rechte hätten!



    Über Moral und Ethik haben wir da noch gar nicht gesprochen.



    (Sarkasmus sollte erkennbar sein.)

  • In Tunesien kam es letztes Jahr zu gewaltsamen Übergriffen auf Flüchtlinge, angeheizt durch die Regierung und Ruanda zündelt im Kongo. Ganz tolle Partner. Schäbig.

  • Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass 75% aller Migranten Zuflucht in ärmeren Ländern suchen und nicht in den Industrienationen. Vielleicht sollte die EU solche Länder stärker unterstützen, anstatt mit den Milliardenzahlungen an Tunesien, Türkei oder Ägypten nur deren klamme Staatskasse zu füllen.

    Und statt Migranten nach Ruanda abzuschieben, sollten lieber die Teile der Union abgeschoben werden, die sich solchen unbeschreiblichen Mist ausdenken. Solche Personen braucht kein Mensch, schon gar nicht in der Politik.

    Betreffend der EU Standards in Ruanda: wenn die EU so weiter macht, liegen die Standards in Ruanda demnächst über denen der EU.

  • Und die AFD lacht sich kaputt das Regierungsvertreter ihre "Deportations"-Fantasien selber weiter treiben. Weswegen sind Anfang des Jahres noch mal Millionen Menschen auf die Straße gegangen?

  • Internierungslager! Abkommen die keine Klauseln zu Menschenrechtsverletzungen und möglichen EU-Sanktionen – etwa einer Aussetzung der Zusammenarbeit enthalten! Abkommen die am Parlament vorbei ausgehandelt werden. Milliarden an Steuergeldern für Abkommen mit Autokraten, die was mit dem Geld machen? Tunesien, Libyen und die Türkei haben doch gezeigt, das nichts davon den Flüchtlingen zugute kommt oder der Bevölkerung in den Ländern. Eine deutsche die mit der Regierungschefin einer post-faschistischen Partei eng zusammenarbeitet! Die Brandmauer zwischen CDU und den Rechten scheint wohl gefallen zu sein- nicht das dies nicht auch schon vorher immer wieder ersichtlich wurde, zumindest was die Rhetorik anging.



    „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“- das wurde in unser Grundgesetz 1949 verankert, wegen der Verbrechen der Nationalsozialisten, ein einklagbares Grundrecht auf Asyl. Als es 1992 zur vermehrten Einwanderung und in der Folge zu mehreren Brandanschägen und Gewalttaten durch Rassisten und Rechtsradikale auf Flüchtlingsunterkünfte kam, wurde schnell ein Schuldiger gefunden. Flüchtlinge! "Asylkompromiss" wurde die prompte Änderung des Grundgesetzes genannt oder auch so viele Zusätze zu Artikel 16, das sich heute kaum noch einer darauf berufen kann. Ein Grundrecht das wegen Nazis geschaffen wurde, wurde dank ihnen quasi abgeschafft. Und damals wie heute findet eine Schuldumkehr statt. An den Brandanschlägen waren ja die Flüchtlinge Schuld weil so viele von ihnen kamen. Das keine Strukturen, Wohnungen vorhanden sind, Verfahren so lang brauchen ist auch nicht die Schuld der Politik, sondern derjenigen die Schutz suchen.



    Erschreckend ist hier nur noch wie wenig mittlerweile auf Menschenrechte gegeben wird. Oder mit den Worten der schwedischen EU Abgeordneten Abir al Sahlani: "Human rights have a skin colour, the darker you are the less human rights you have!"

    • @Momo Bar:

      Das Asylrecht als individuell einklagbares Recht auszugestalten, war von Anfang an Hybris. Wir können nicht alle Frauen Indiens aufnehmen. Das Argument, es würden sich ja nicht alle auf den Weg machen, ist in unserer globalisierten Welt jedes Jahr weniger stichhaltig. Und die politisch Verfolgten sind ein sehr kleiner Teil derer, die kommen, da sind die Zahlen des BAMF eindeutig. Weil es keine Kontingente gibt, wird das Ganze nicht planbar und es kommt zu dem Chaos, das die Leute verängstigt. So tun wir am Ende weniger, als wir tun könnten.



      Es kann niemals einen Rechtsanspruch auf endliche Güter geben, weil von Juristen bedrucktes Papier noch keine Ressourcen schafft, das gilt für Nahrung und Trinkwasser ebenso wie für Asylplätze. Juristen können bestenfalls die Verteilung regeln.