EU-Beitritt von Ukraine und Moldau: Scholz muss liefern
Europas Staats- und Regierungschefs müssen zur EU-Erweiterung viele offenen Fragen beantworten. Es geht nicht nur um die Zukunft der Ukraine.
V iktor Orbán hat sich verzockt. Auf dem EU-Gipfel in Brüssel hatte der ungarische Regierungschef damit gedroht, die europäische Ukraine-Politik mit einem Veto zu blockieren. Die geplanten EU-Beitrittsverhandlungen wollte der notorische Neinsager ebenso stoppen wie eine 50 Milliarden Euro schwere Finanzspritze, die Kyjiw vor dem drohenden Staatsbankrott retten soll.
Doch nach achtstündigen fruchtlosen Verhandlungen musste Orbán einsehen, dass er sein Blatt überreizt hat. Von Kanzler Olaf Scholz ließ er sich zu einer Kaffeepause überreden. Kaum hatte er den Saal im Brüsseler Ratsgebäude verlassen, einigten sich die verbliebenen 26 Staats- und Regierungschefs auf grünes Licht für Beitrittsgespräche. Orbán war weg, der Konsens war da.
Der Trick ist legal, denn Abwesenheit gilt nach den EU-Regeln als Enthaltung und nicht als Nein. Er hat den Weg für Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau frei gemacht. Georgien wird zum EU-Kandidaten, auch Bosnien und Herzegowina bekommt eine Chance. Das ist mehr, als selbst Optimisten erwartet hatten. Die EU steuert eine große Erweiterung auf über 30 Mitglieder an.
Bereit für einen Big Bang?
Doch in die Freude über die „historische“ Entscheidung mischt sich auch Sorge über die Zukunft der Union. Denn die große Erweiterungsrunde ist nicht gut vorbereitet. Umfragen zeigen, dass die Bürger der „alten“ EU dem Beitritt der Ukraine skeptisch gegenüber stehen; auch Kanzler Olaf Scholz wird noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen.
Nicht einmal die EU selbst ist bereit, für einen neuen „Big Bang“, wie die erste große Osterweiterung 2004 getauft wurde. Die nötigen Reformen wurden verschlafen, sie müssen nun in aller Eile nachgeholt werden. Bisher gibt es dafür aber nicht einmal einen Plan. Er soll erst 2024 nachgereicht werden. Die EU lässt sich auf ein Abenteuer ein, für das sie selbst nicht gerüstet ist.
Die größte Sorge gilt aber dem Krieg. Wie kann man mit einem Land über den Beitritt verhandeln, das um sein Überleben kämpfen muss? Kann die Ukraine der EU beitreten, wenn große Teile des Landes besetzt sind? Schon jetzt hat die EU größte Mühe, Geld für neue Finanzspritzen für die Ukraine aufzutreiben. Der Wiederaufbau wird noch teurer.
Orbán hatte vor dem EU-Gipfel eine Strategiedebatte angemahnt. Sein Ziel war es, Entscheidungen zu verhindern. Damit ist er krachend gescheitert. Das entbindet Scholz und die anderen Staats- und Regierungschefs aber nicht von der Pflicht, ihre Pläne zu erläutern und die vielen offenen Fragen zu beantworten. Es geht nicht nur um die Zukunft der Ukraine, sondern um ganz Europa.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung