EU-Gipfel in Brüssel: Mut dringend gesucht
Milliarden für Kyjiw, EU-Erweiterung, Migration. Ab Donnerstag sind die EU-Staats- und Regierungschefs gut beschäftigt. Orbán hält am Doppel-Veto fest.
„Pivotal“, also „zentral“ oder gar „lebenswichtig“ werde das Treffen der 27 Staats- und Regierungschefs, schreibt EU-Ratspräsident Charles Michel in seiner Einladung. Jetzt gelte es, die Versprechen gegenüber der Ukraine einzulösen und den „Mut zu den richtigen Entscheidungen“ zu beweisen. Es klingt nach Blut, Schweiß und Tränen.
Michel fordert, der Ukraine grünes Licht für den Start von EU-Beitrittsgesprächen zu geben. Dies sei ein „notwendiges Signal“, um Kyjiw „näher an unsere europäische Familie“ zu bringen. Außerdem sollen die EU-Chefs eine Finanzspritze in Höhe von 50 Milliarden Euro bewilligen – nur so lasse sich die Ukraine vor der Pleite bewahren.
Beides sind pikante Forderungen in einem schwierigen internationalen Umfeld. Die EU soll etwas beschließen, das in den USA und der Nato nicht möglich war. In Washington scheitern geplante Finanzhilfen für die Ukraine bisher am Widerstand der Republikaner. Und beim Nato-Gipfel in Vilnius wurde der Beitritts-Wunsch abgewiesen.
Wegen Orbán könnte der Gipfel scheitern
Die EU soll nun einspringen, fordert der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski. Unterstützung erhält er aus Berlin: Obwohl im deutschen Staatshaushalt der Notstand ausgebrochen ist, soll es frisches Geld für Kyjiw geben, wie Scholz in seiner Regierungserklärung am Mittwoch in Berlin bekräftigte. Und obwohl Kyjiw noch nicht alle EU-Kriterien erfüllt, sollen die Beitrittsgespräche beginnen.
Doch Selenski und Scholz haben die Rechnung ohne Viktor Orbán gemacht. Der rechtslastige Regierungschef aus Ungarn hat mit einem doppelten Veto gedroht – gegen die EU-Gespräche und gegen die geplante Finanzspritze. Er fordert eine Strategiedebatte über die Ukraine und die Freigabe von eingefrorenen EU-Mitteln für sein Land.
Damit könnte Orbán den Gipfel zum Scheitern bringen – oder in die Verlängerung zwingen. Doch es geht nicht nur um den chronischen Neinsager aus Budapest. Gegen den Start von Beitrittsverhandlungen hat sich auch Österreich ausgesprochen. Die Regierung in Wien fordert, auch Bosnien-Herzegowina das begehrte EU-Ticket zu geben.
Beim Geld stehen noch mehr Länder wie Italien oder Griechenland auf der Bremse. Sie sehen nicht ein, dass das EU-Budget für Kyjiw aufgestockt werden soll, nicht aber für die gemeinsame Migrationspolitik und andere Aufgaben. Insgesamt geht es um 66 Milliarden Euro, die die EU für Migration und andere Themen angefordert hat.
Milliarden-Poker oder Erpressung der EU
Und dann wären da noch die rund 30 Milliarden Euro, die die EU-Kommission wegen Rechtsstaats-Problemen in Ungarn auf Eis gelegt hat. Die Europäische Kommission hat am Mittwoch zehn Milliarden Euro davon für Ungarn freigegeben. Damit ließe sich Orbán, so die Hoffnung, vielleicht doch noch in letzter Minute umstimmen.
Der Milliarden-Poker verfehlte zunächst jedoch seine Wirkung. Man brauche nicht nur zehn, sondern die ganzen 30 Milliarden Euro, hieß es in Budapest. Protest kam auch aus dem Europaparlament. Die EU dürfe sich nicht erpressen lassen, forderten die Abgeordneten. Wenn man Orbán den kleinen Finger reiche, wolle er die ganze Hand.
„Orbán wird diesen Weg immer wieder einschlagen, wenn er jetzt Erfolg hat“, warnte die Vizepräsidentin des Parlaments, Katarina Barley (SPD). „Es ist fast zu einem Ritual geworden, dass Orbán mit seinem Veto droht und die EU-Kommission Gelder für Ungarn freigibt“, sagte der europapolitische Sprecher der Grünen, Rasmus Andresen.
Die EU-Kommission wies den Vorwurf zurück. Man halte sich strikt an die Regeln, so der Sprecher von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sobald Ungarn die geforderten Rechtsstaats-Reformen im Amtsblatt veröffentlicht habe, könne das Geld fließen.
Dennoch bleibt ein fader Beigeschmack. Denn von der Leyen war es auch, die den Start von Beitrittsgesprächen und die Aufstockung des EU-Budgets gefordert hat. Nun versucht sie, ihren Plan in letzter Minute zu retten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Obergrenze für Imbissbuden
Kein Döner ist illegal
Wahl in den USA
Sie wussten, was sie tun
SPD nach Ampel-Aus
Alles auf Olaf
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!
Kritik an der taz
Wer ist mal links gestartet und heute bürgerlich?
CO₂-Fußabdruck von Superreichen
Immer mehr Privatjets unterwegs