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EU-Abgeordneter Nico Semsrott„Ich hab's versucht“

Satiriker Nico Semsrott hat nach fünf Jahren genug vom EU-Parlament. Ein Gespräch über institutionelles Chaos, nötige Deals und animalische Leistung.

Hasst es als Teilnehmer, akzeptiert es als Beobachter: Semsrott im Europäischen Parlament in Brüssel Foto: Marvin Ruppert
Volkan Ağar
Interview von Volkan Ağar

taz: Nico, vor knapp fünf Jahren habe ich dich zu Beginn deines Mandats in Brüssel besucht. Ich habe zur Vorbereitung meinen Text von damals noch mal gelesen. Es ist witzig, alte Sachen zu lesen, weil die zeigen, in welchem Film man mal gesteckt hat. Du warst damals relativ motiviert und hast gesagt, du willst der John Oliver von Europa werden. Jetzt hast du ein Buch veröffentlicht mit dem Untertitel „Wie ich im Europaparlament meinen Glauben an (fast) alles verloren habe“.

Nico Semsrott: Ich war auch in einem größenwahnsinnigen Film unterwegs.

Du wolltest Menschen für die EU-Politik interessieren. Hast du das erreicht?

Ich habe immerhin ein paar Videos aus dem EU-Parlament veröffentlicht. Aber diesen Versuch habe ich dann abgebrochen. Weil ich depressiv war und einfach nicht mehr konnte. Auch weil ich das als sinnlos und aussichtslos empfunden habe. Das war ein großer Kontrast zu meinem Leben als Satiriker, als ich immer etwas bewirken konnte und immer eine Reaktion bekommen habe. In so einem riesigen Apparat wie dem EU-Parlament, das ja nur ein Teil einer noch größeren Kompromissmaschine ist, kann ich irgendwas reinsenden und bekomme entweder keine Reaktion oder eine negative. Ich habe mich verloren gefühlt und nicht den Eindruck gehabt, dass ich eine Übersetzungsleistung hinbekomme.

Woran bist du gescheitert?

Das große Problem ist, dass Leute, die drin sind, und Leute, die draußen sind, einander nicht verstehen. Dann fühlen sich Menschen nicht vertreten, und zwar in allen politischen Spektren. Die Gesellschaft ist viel, viel weiter als dieses politische System. Es wollen Leute mitmachen, aber es gibt extrem wenig Möglichkeiten, sich außerhalb von Parteien und Wahlen einzubringen. Das macht Leute zu Recht wütend. Auf Ebene der Bundespolitik mag Robert Habeck als Vizekanzler auf die Nachvollziehbarkeit von Themen setzen und mit seinen Videos Dinge minutenlang schön erklären. Im EU-Parlament sind Prozesse aber so kompliziert und die Wege von Gesetzen so unvorhersehbar, dass nichts kampagnenfähig ist. Das ist eine Frustration, die ich niemandem antun will. Und ich konnte die Rolle des Abgeordneten schlecht ausführen mit meiner Psyche.

Es liegt also auch an dir, dass du aufhörst?

Ja, ich habe persönliche Probleme und die wurden durch diesen Apparat verstärkt, weil er darauf aus ist, neue Ideen und Engagement abzuwehren.

Aber gibst du nicht zu früh auf?

Ich sehe andere Abgeordnete, die härter im Nehmen sind, wieder antreten und für die gleichen Themen kämpfen wollen. Da sehe ich, dass es möglich ist, dass man kämpft, verliert, aber nicht so enttäuscht ist. Aber ich kann meine kleine Antikorruptionskampagne gerade nur machen, weil ich weiß, ich muss hier nicht noch mal fünf Jahre rein. Wenn ich anders gestrickt wäre, könnte ich vielleicht weitermachen, aber es ist total okay zu sagen: Hey, ich hab’s versucht, fünf Jahre sind eine lange Zeit und ich habe viel gelitten. Dieser Job ist einerseits so privilegiert und andererseits wirklich scheiße. Weil man total viel Geld, ein bisschen Macht, Kontakte und Mitarbeitende hat. Aber man ist nie frei und man hat auch nie frei. Man ist ständig unterwegs und sehr viel alleine. Das ist total belastend. Und mit meiner politischen Position verliert man auch noch extrem viel. Wie oft ich in der vorletzten Reihe gesessen habe und überlegt habe, doch mit den Konservativen zu stimmen, damit ich auch mal gewinne.

Du schreibst, dass du am Anfang total naiv gewesen bist, dass diese Naivität aber trotzdem richtig war.

Naivität ist die Voraussetzung dafür, dass man überhaupt irgendetwas versucht. Menschen versuchen Dinge, weil sie sich des Umfangs einer Aufgabe nicht bewusst sind. Genauso funktioniert auch Politik. Selbst Profipolitiker, die vorher im Bundestag oder im Landtag saßen, sind überrascht, wie kompliziert EU-Politik funktioniert. Ein Beispiel: Wenn über ein Verbot des Verbrennermotors abgestimmt wird, dann entscheiden nicht die EU-Institutionen alleine, sondern es gibt eine Querverbindung von deutschen Automobilherstellern zur FDP. Dann blockiert die FDP das in der Bundesregierung und somit im Europäischen Rat gemeinsam mit anderen Staaten. Die Anzahl der Spieler ist einfach extrem hoch, es gibt Chaos­elemente, und ich behaupte, niemand versteht das Ganze vollständig.

Ist von deiner Naivität etwas übrig geblieben?

Ich schwanke immer zwischen den Polen Resignation und Wut. Wenn ich in einer wütenden Phase bin, kann ich wieder was machen. Wenn ich in der resignativen Phase bin, dann nicht. Ein Weg, mir meinen Idealismus zu bewahren, war ganz viel Abstand: keine Lobbyveranstaltungen, keine Legislativverfahren und so weiter. Das ist für den Idealisten richtig, für den Parlamentarier aber falsch. Die Funktion eines Parlamentariers ist es, an Kompromissen mitzuarbeiten und möglichst viel von seiner eigenen Idee in diese Kompromisse reinzubringen. Das ist ein Spiel, für das ich überhaupt nicht gemacht bin.

Sind manche Menschen also nicht für Politik gemacht?

Ich glaube, als Linker ist es grundsätzlich viel anstrengender, Politik zu machen, weil man völlig zu Recht an der Analyse der Welt verzweifeln kann.

Aber sind manche Menschen psychisch nicht geeignet oder zu sensibel dafür?

Wir Menschen sind als Wesen zu komplex, als dass ich eine einfache Antwort darauf geben könnte. Ich kenne Menschen in mächtigeren Positionen, die ich als total sensibel wahrnehme. Es gibt auch high-functioning depressives. Die Umgebung in Brüssel ist hart. Da ist sehr viel Druck von vielen Seiten. Man muss irgendwie weitermachen, auch wenn man verletzt ist. Ich glaube, das gelingt auch Leuten, die sensibel sind. Das ist die Voraussetzung dafür, dass man überhaupt reinkommt. Man muss auf so einer ursprünglichen, animalischen Ebene mehr leisten und stärker sein als die anderen. Man muss länger reisen können, öfter erreichbar sein, länger verhandeln können und so weiter, dann kriegt man den aussichtsreichen Listenplatz. Wer ist um fünf Uhr morgens noch wach und wer hat die Schnauze voll und will einfach nur noch ins Bett? Es gewinnt der, der als Letzter zurückzieht. Ich bewundere alle, die das können. Gerade die, mit denen ich Werte teile. Ich will auch nicht etwas bekommen, weil ich loyal zu jemandem bin. Ich will etwas bekommen, weil ich recht habe oder das bessere Argument. Es geht aber immer um Netzwerke und Absprachen: Ich gebe dir was, dafür bekomme ich etwas. Das ist der Kern von allem. Als Teilnehmer hasse ich diese Deals und gleichzeitig akzeptiere ich als Beobachter, dass es nicht anders geht. Ich will da nur selbst nicht mehr mitspielen müssen.

Warum akzeptierst du es?

Wie soll es sonst gehen? Es gibt keinen anderen Weg. Das ist die friedlichste Art, Konflikte zu lösen. Ich habe riesigen Respekt vor dieser großen Kompromissmaschine. Das ist nun mal Demokratie: Wenn am Ende niemand zufrieden ist, weil keiner das bekommt, was er wollte. Das ist lustig, aber auch traurig. Aber so muss es sein. Alles andere bedeutet explizite Gewalt. Und da bin ich total dagegen.

Hast du Leidensgenossen im EU-Parlament gefunden, mit denen du dich darüber unterhalten konntest?

Einer, der ziemlich viel Macht hat, hat mal gesagt: Ich kann dem Beamten, mit dem ich zusammenarbeite, das Leben zur Hölle machen, und er kann das umgekehrt auch. Deshalb haben wir unausgesprochen einen Nichtangriffspakt. Das finde ich schon krass, dass da eine Drohung im Raum steht und nur deswegen funktioniert alles.

Du sagst, das politische System schließe viele Menschen aus, die sich unbedingt beteiligen wollen, aber eben nicht in Parteien. Eine Umfrage in Österreich hat vor Kurzem gezeigt, dass viele Menschen finden, Politik könne auch ohne Parteien funktionieren. Ist das eine Perspektive?

Macht muss organisiert werden, dafür sind Parteien der richtige Rahmen. Gleichzeitig bin ich dafür, ganz viel auszuprobieren. Ich bin für Mischformen. Ich möchte gar nicht dieses repräsentative parlamentarische System abschaffen, aber es auf jeden Fall ergänzen. Es soll direktdemokratische Elemente geben. Und europäische Bürgerinitiativen, die zwischen den Wahlen etwas ändern oder korrigieren können. Ich finde die Idee gut, sich mehr auf Einzelpersonen zu fokussieren, aber nicht, um Parteien ganz abzuschaffen.

Sind solche Experimente in absehbarer Zeit realistisch?

Das ist in der aktuellen Situation, in der alle unter Druck stehen, schwer. Weil alle Angst haben. Aber die einzige Möglichkeit, auf diese Angst zu reagieren, ist Mut. Es gibt schon ganz viele Bürgerparlamente und so weiter. Experimente finden überall statt. Ich meine, die gesamte EU ist ein seit 70 Jahren währendes Experiment, das weltweit seinesgleichen sucht.

Was war das Schlimmste, was du als EU-Parlamentarier erlebt hast?

Entscheidungen im Parlament mitzutragen, zum Beispiel klimapolitische, bei denen mir klar war, sie reichen überhaupt nicht aus.

Und das Schönste?

Das Buch

Nico Semsrott

„Brüssel sehen und sterben. Wie ich im Europaparlament meinen Glauben an (fast) alles verloren habe“

Rowohlt, 352 Seiten, 18 Euro

Der Kontakt zu Besuchsgruppen, weil wir gemeinsam verwirrt waren. Da hatte ich das Gefühl, das ich auch als Künstler kenne: Damit habe ich irgendetwas in Gang gesetzt.

Und was machst du jetzt? Eine eigene Sendung wie John Oliver?

Ich konzentriere mich erst mal auf die Lesereise und meine Mini-Europawahlkampagne gegen Korruption und für viel Transparenz. Was danach kommt, sehe ich dann. Anders funktioniert es für mich nicht. Ich habe gerade keinen Plan. Aber wahrscheinlich probiere ich bald einfach wieder was anderes aus.

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33 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Irgendwie müsste man einen Weg weg von diesen Berufspolitikern finden, aber Satiriker als Ersatz sind natürlich auch keine Lösung.

    Eine Amtszeitbegrenzung auf eine Wahlperiode kombiniert mit einer verpflichtenden Qualifikation außerhalb der Politik und Parteien waere meine Lösung.

    Die Partei Karrieren die es insbesondere in der SPD aber natürlich auch bei grünen und cdu gibt führen zu einer Politik bei der es nur um Gewinn der nächsten Wahl geht.

  • Schade eigentlich, dass ausgerechnet ein sonst recht satirisch gesonnener Mensch da überhaupt nicht mehr lachen kann … - oder ist das dann am Ende „g‘rad de‘ Witz“? Vielleicht war es halt auch ein Fehler von Herrn Semsrott, den Herrn Sonneborn im Stich zu lassen und sich dann (wurks) ausgerechnet der Greens Fraction anzuschließen … Frau Reintke schaut ja schon wieder ungemein kompetent, ernsthaft und entschlossen von den Wahlplakaten. Doch DIE PARTEI hat ja bekanntlich immer recht und wird wohl auch wieder ins EP einziehen, zum dann schon dritten Mal. Gleichwohl nicht uninteressant die Erfahrungen von Nico S., allerdings etwas zu dickes Europa-Pathos (ja, wow, was für ein gewagtes Experiment, so viele verschiedene Kulturen … schnarch…)

  • Danke @Nico Semsrott! Aus meiner Sicht ist er sich selbst treu geblieben. Das mag nicht die beste Voraussetzung für einen Berufspolitiker sein, aber man kann sagen, er hat zumindest versucht, etwas zu bewegen. Das ist mehr, als die meisten von sich behaupten können (ich schließe mich ausdrücklich ein).



    Sehr verdienstvoll finde ich zudem die von ihm verantwortete Webseite zu seiner Arbeit:



    nicosemsrott.eu/de/transparency

  • Vorneweg: Ich gönne niemanden eine Depression und Idealismus ist eine grundsätzlich gute Sache.

    Trotzdem sollte man sich fragen, mit welcher Arroganz man geglaubt hat, ohne Kontakte und Expertise das "System" aufmischen zu können.

    Ehrlich gemeinte Frage: Haben Sie das Leben ihrer Mitmenschen durch ihr Wirken besser gemacht?

    Was mir wirklich übel aufstößt ist, wie Herrn Sonneborn (den ich jetzt mal als identisch mit Die Partei betrachte) sich positioniert hat, wenn es ihm wirklich ernst war. Stichwort: "Friedenspolitik".

    Braucht man solche "Satiriker"?

  • "Einer, der ziemlich viel Macht hat, hat mal gesagt: Ich kann dem Beamten, mit dem ich zusammenarbeite, das Leben zur Hölle machen, und er kann das umgekehrt auch. Deshalb haben wir unausgesprochen einen Nichtangriffspakt."

    Ist das denn irgendwo, wo Menschen zusammenarbeiten, anders? ;)



    Ok, die Einsätze sind andernorts nicht so hoch vielleicht...

  • ***Kontinuierliche Einblicke in die un-glaubliche Brüsselei. Wir brauchen weiterhin Martin Sonneborn***



    Nico Semsrotts andere-Wege-gegangen-seiender Parteifreund und Prlamentskollege Martin Sonneborn ist unbedingt wiederzuwählen. Trotz (oder wegen ? Satirepartei bleibt Satirepartei) des nicht eingehaltenen Versprechens der ganzen Wahlliste, alle paar Wochen als Abgeordnete jeweils zurückzutreten und Nachrücker nachrücken zu lassen. Wer hinter die Bezahlschranke kucken kann (die's anfangs für diesen Artikel noch nicht gab) sollte unbedingt lesen: 'Martin Sonneborn: Zornige Abrechnung mit der "Kriegswirtschaft" der EU.' www.berliner-zeitu...-der-eu-li.2195467 Wie Nico Semsrott in einem Interview, ebenfalls mit der Berliner, veröffentlicht 21.4. 24, richtig bemerkte: Martin Sonneborn ist im Parlament Jounalist geblieben, Beobachter und Berichterstatter. Den brauchen wir wieder drin. Da ist die Satirepartei überhaupt nicht Satire. real-politischer geht's garnicht. Selbst wer, anders als Sonneborn, der EU das pragmatsiche Überschreiten eigener Zuständigkeiten verzeihen oder gar, angesichts des Krieges in Europa, zugutehalten möchte: Sonneborn trotzdem wählen !!! Seine Berichte braucht's. Und in der Rolle hat auch ein Einzel-Abgeordneter Sinn und bewirkt so manches.

  • Ja nun, was hat er denn gedacht?

    Dass dort ein Ringelpiez mit anfassen ist?

    Und dann noch als Einzelkämpfer. Die Politik besteht offensichtlich zu einem Gutteil aus Schlangengruben. Das muss man mögen, oder zumindest damit umgehen können.

    • @Jim Hawkins:

      Politik ist die Kunst des Kompromisses. Und dazu gehört in aller Regel dazu, dass alle gleich (un-)zufrieden nach Hause gehen. Jedenfalls, wenn es ein "guter" Kompromiss ist.

      Leider ist auf europäischer Ebene so viel Proporz, Geld und Einfluss unterwegs, noch dazu in seit Jahrzehnten verkrusteten Strukturen, dass man da vermutlich mit Idealismus und Kompromisslosigkeit zwangsläufig scheitert, wenn nicht gerade die wirklich Mächtigen aufgrund des Zeitgeists am selben Strang ziehen.

      Allerdings: parlamentarische Demokratie und auf zwischenstaatlicher Ebene die europäischen Institutionen sind bei allen Nachteilen immer noch das Beste, was seit Menschengedenken halbwegs funktioniert hat. Was besseres haben wir leider bisher nicht.

      Schade für Herrn Semsrott, aber ich hatte befürchtet, dass ihn der Spagat aufreiben würde.

  • Ganz lieben Dank für diese Einblicke.

    Gleichzeitig bin ich ein wenig überrascht über diesen Fatalismus. Auf der einen Seite lebt Nico gleichsam für Transparenz, auf der anderen Seite nimmt er die Undurchsichtigkeit dieses europäischen Legislative wie gottgegeben hin.

    Wieso sollten die aktuellen Strukturen in Stein gemeißelt sein? Wenn es wirklich nicht anders gehen sollte, d.h., niemand wirklich ganz durchblickt, müsste man aufgrund der verborgenen Machtfülle des Parlamentes sofort reagieren und sagen: mehr Macht zurück an die europäischen Staaten!

    Geht es aber nicht besser und direkter? "Die Gesellschaft ist viel, viel weiter als dieses politische System. Es wollen Leute mitmachen, aber es gibt extrem wenig Möglichkeiten, sich außerhalb von Parteien und Wahlen einzubringen"



    Wenn andere Parteien so etwas verlangen, werden sie als "populistisch" abgewatscht. Tatsächlich funktioniert direkte Demokratie aber sehr gut, wie z.B. in der Schweiz. Wieso sollte man als EU Bürger zu Fragen, die einen direkt betreffen, nicht auch direkt abstimmen können?

    • @Werner2:

      Direkte Demokratie funktioniert immer dann, wenn man es mit halbwegs gebildeten und demokratisch interessierten Stimmberechtigten zu tun hat.

      Eine tiefere Befassung mit politischen Themen - auch solchen, die Menschen direkt betreffen - kann man in Europa überwiegend leider mitunter nicht mehr unbedingt voraussetzen.

      Das soll nicht heißen, dass diese Menschen maliziöse, dumm oder desinteressiert seien - obwohl es diese sicherlich auch gibt. Aber viele haben einfach mit ihrem Alltag schon genug auf dem Tisch, um sich noch um die großen Weichenstellungen in Europa zu kümmern.

      Es wäre schön, wenn die EU sich generell auf die Regulierung ihrer Mitgliedstaaten beschränkte, statt auf die Detailregelung immer weiterer Aspekte des Lebens der Bevölkerung. Aber diese Hoffnung ist wohl vergebens. Wir haben längst einen function-creep der Institutionen, die immer mehr Kompetenzen für sich in Anspruch nehmen.

      Eine demokratische Wahl(bestätigung) bei der Besetzung europäischer Spitzenämter wäre immerhin schon einmal der Weg zu mehr demokratischer Legitimation.

  • Es ist schade und erschreckend, dass so viele Menschen (nicht nur Semsrott) in der Politik, egal auf welcher Ebene nach relativ kurzer Zeit das Handtuch werfen, weil ihnen der persönliche Umgang, die Machtspielchen oder der Lobbyismus zuwider sind.



    Denn das bedeutet im Umkehrschluss, dass überproportional diejenigen, denen das alles nicht gegen den Strich geht, zu den Entscheidern unserer Geschicke werden.



    Vielleicht sollte es eine Begrenzung geben, wie lange man im Parlament bleiben darf, damit häufiger Plätze frei werden für Menschen, die noch an ihren Idealen hängen.

  • Cooler Typ!



    Ich erinnere mich noch an den Satz "Freude ist nur ein Mangel an Information." So sprach der Demotivationstrainer Semsrott beim 35C3.

    • @Aurego:

      Semsrott sagte auch mal: "Die Hoffnung stirbt zuletzt, (Pause) aber sie stirbt."

  • Wunderbarer Autor dieses Artikels. Und dieser interviewt einen aus meiner Sicht tollen Menschen, der leider ausgebrannt wurde.

  • Für mich war immer klar, die Partei war ein Spassprodukt. Vermutlich entstanden nach etlichen Litern Alkoholika und einer Schnapsidee. Das Duo Sonneborn und Semsrott versprach nichts und genau das hielten sie auch ein.



    Insofern ist diese Enttäuschung eigentlich auch keine. Es war und ist weiterhin eine Luftnummer.



    Der kleine, zu Beginn der Legislaturperiode vorhandene Hoffnungsschimmer auf egal auch wie geartete subversive Aktionen verblich schnell. Die Nummerierung von Krähenfüßen war öffentlichkeitswirksamer. Sonneborn und seine personifizierte depressive Verstimmung verschwanden im Off.



    Ja, ich glaube das das Tagesgeschäft in Brüssel hartes Brot ist. Aber die europäischen Entschädigungsleistungen finanzieren zumindest den Lebensunterhalt knapp über dem Mindestlohn.



    Ja. Wir brauchen eine andere Möglichkeit Politik zu gestalten. Bürgerentscheide mit bindender Wirkung wären ein Anfang. Der Verquickung von Politischen Entscheidern, externen Beratern, Lobbyisten und Mehrfachvorständen ist eine ungute Kombination. Zumindest für die die das finanzieren müssen. Also uns Bürger.



    Auch dazu wäre es lobenswert gewesen etwas mehr Rückmeldung von „Der Partei“ zu bekommen. Eine Infiltration des Systems mit Offenlegung intransparenter Vorgänge wäre z.B. schön gewesen.



    Seisdrum. Semsrott und Sonneborn werden bald Geschichte sein. Zumindest im EU Parlament. Dazu braucht es kein Bekenntnis „Aufzuhören“. Es reicht auch den Wählern.



    Allein die Wahrnehmung zur eigenen Gesundheitserhaltung etwas anderes tun zu wollen ist ein Gewinn. Das ist dann wohl die richtige und wichtigste Erkenntnis.

    • @Tom Lehner:

      Guter Kommentar!



      Allerdings in einem Punkt hat mich das Leben etwas anderes gelehrt:



      "Bürgerentscheide mit bindender Wirkung... "



      Ich weiß nach dem Volksentscheid für Stuttgart 21 (heute 2/3 der Wähler dagegen) nicht, ob wir dafür schon reif genug sind. Noch lassen sich die Wähler zu leicht durch Medien in ihrer Entscheidung manipulieren. Die Schweizer haben da schon seit Jahrhunderten Erfahrung, die wissen was ein Ja bedeutet.

  • Kluge Sätze.



    Semroths innerer "Rebell" will Kontakt und Wirkung - dort erhielt er sie nicht. Schade eigentlich. Und etwas Wirkung hatte er schon auch, und sei es in der Öffentlichkeit.

  • Respekt!

  • Naja - der gut Mann macht es sich etwas zu einfach.



    Laut Abgeordnetenwatch hat er von 101 Abstimmungen bei 16 nicht teilgenommen.



    Eine 16% ige Abwesenheitsquote entspricht zumindest nicht dem Maßstab den ich an mich selbst anlege!



    Für Herrn Semsrott scheint das in Ordnung zu sein.

    • @Andere Meinung:

      Punkt1: Die Arbeit eines Abgeordneten erschöpft sich nicht in der Teilnahme an Abstimmungen.



      Punkt2: Nicht jede Abstimmung ist gleich wichtig oder gleich komplex. Wodurch die Zahlen nicht so einfach umzurechnen sind.



      Punkt3: Eine Nicht-Teilnahme an einer Abstimmung kann einer bewussten Enthaltung entsprechen, wäre damit demokratisch durchaus legitim auch als Abgeordneter. Nicht jede Frage lässt sich in ein Ja/nein aufdröseln.

      • @Herma Huhn:

        Nicht zu vergessen, dass man auch kompetent bezüglich des abzustimmenden Themas sein sollte und nicht jede Abstimmung unbedingt wichtiger ist, als alles andere das evtl. zum gleichen Zeitpunkt stattfindet.

      • @Herma Huhn:

        Punkt 1: Stimmt - Das durchaus üppig bezahlte Abgeordnetenmandat fordert aber auch mehr als 20 Stunden Einsatz pro Woche!

        Punkt 2: Wow!



        D.h. die Abstimmungn "Net Zero Industry Act (finale Abstimmung)", "Einrichtung eines unabhängigen EU-Ethikgremiums", "EU-Lieferkettengesetz (finale Abstimmung)", "Anpassungen der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP)", "Verbesserung der Bedingungen für Plattformarbeiter:innen", ... sind weniger wichtig?



        Wenn ich mir die Abstimmungen anschaue bei denen er sich nicht beteiligt hat zeichnet sich eher das gegenteilige Bild ab. Bei den wirklich wichtigen Abstimmungen war er abwesend!

        Punkt 3: Nein - in dem Fall soll er bitteschön mit einer Enthaltung stimmen. So wie er dies bspw. am 16.4.2020 bei der Abstimmung "Europaweite Maßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie" getan hat.

        • @Andere Meinung:

          Die Wichtigkeit der Abstimmung ergibt sich doch nicht aus der Wichtigkeit des Themas, sondern daraus, wie erfolgreich die Vorarbeit zur Formulierung des Gesetzesentwurfs verlaufen ist.



          Wenn das "ja" auf dass ich hingearbeitet habe durch die notwendigen Kompromisse so weit ausgehöhlt wurde, dass ein "nein" auch keinen Unterschied mehr macht, ist es egal, ob ich bei der Abstimmung bin.



          Oder positiv: Wenn genug Abgeordnete vom "ja" überzeugt sind, kann (mit Absprachen) auch der eine oder andere sich anderen wichtigen Aufgaben widmen, ohne das Ergebnis der Abstimmung zu gefährden.



          Da geht es auch um Vertrauen, genau wie bei der Arbeitszeit. (Wie kommen Sie übrigens auf die 20 Stunden, hat der Satiriker das gesagt?)

        • @Andere Meinung:

          Für Europa reicht's!



          Du meine Güte, ob Semsrott nun an einer Abstimmung teilnimmt oder nicht, ist doch so ziemlich egal. Die PARTEI ist eigentlich /ursprünglich ein (Real) Satireprojekt.Und mein Grund war/ist überhaupt noch zu wählen. Wenn speziell Semsrott das Ganze mit mehr Ernst angeht, ist das für mich persönlich auch nicht weiter schlimm. Allerdings führt der fehlende Satirepuffer eben auch dazu, das man sich selber schneller verschleißt, wenn man nicht ausreichend dickhäutig ist.

        • @Andere Meinung:

          Haben Sie allen Ernstes von Sonneborn und Co eine "Seriöse" Politik erwartet?



          Und damit meine ich gar nicht inhaltlich, sondern rein formal.

          Wenn dem so ist war das ähnlich naiv wie die Herangehensweise des Interviewten.

  • "Das ist nun mal Demokratie: Wenn am Ende niemand zufrieden ist, weil keiner das bekommt, was er wollte. Das ist lustig, aber auch traurig. Aber so muss es sein. "

    Muss das wirklich so ein? EIn System in dem im Endeffekt nach dieser Aussage ALLE unzufrieden sind? Das kann und sollte nicht richtig sein.

    • @PartyChampignons:

      Es gibt auch Systeme, die komplett konsensbasiert funktionieren. Es wird also so lange beraten, bis alle der gefundenen Lösung zustimmen können. Das ist noch mühsamer und funktioniert, vermute ich, nur in kleineren Einheiten - Dörfern, Kommunen.



      Allerdings wäre es ein interessantes Gedankenexperiment, sich zu überlegen, wie eine flächendeckende Organisation im Kleinen, die auf diese Weise funktioniert, sich auf das Geschehen im Großen auswirken würde.



      Wenn also alle es gewohnt wären, dass man sich im Gemeindehaus nicht niederbrüllt und auch nicht irgendwann "einen Cut macht", und dann sind eben ein paar beleidigt, sondern dass man so lange über die Einwände und Bedenken spricht, bis jeder mit der Lösung leben kann - wenn alle so etwas kennen und selbstverständlich finden, wie würde Politik auf Bundes- und EU-Ebene laufen? Ich vermute, dass man sich solche Spektakel und Machtgerangel nicht würde leisten können.



      So gesehen MÜSSTE es nicht sein. Ist aber unendlich schwer zu ändern.

      • @Annette Thomas:

        Auch bzw. gerade beim Konsensprinzip müssen die Beteiligten zurückstecken und Kompromisse machen. Und eine einzige Gegenstimme kann die Entscheidungsfindung blockieren. Das ist doch ein großes Problem der EU. Welches mit jedem Neumitglied größer wird.

      • 9G
        95820 (Profil gelöscht)
        @Annette Thomas:

        „funktioniert, vermute ich, nur in kleineren Einheiten - Dörfern, Kommunen." - Oder in der Schweiz...



        de.wikipedia.org/w...nkordanzdemokratie

        • @95820 (Profil gelöscht):

          Auch in der Schweizer Komkordanzdemokratie gibt es Minderheiten, die überstimmt werden. Angefangen bei denen, deren Stimmen nicht für gewählte Repräsentanten reichen. Bis hin zu denen, die eben trotz Stimmenmehr und Ständemehr überstimmt werden (falls die sich nicht gegenseitig blockieren. Und auch das Bundesratskollegium entscheidet per Mehrheit und nicht immer einstimmig - was sogar schon bei Personal- und nicht nur bei Sachentscheidungen vorgekommen ist.

          Dass die Schweiz alles andere als homogen ist, sieht man an der inländischen Berichterstattung über Referenden. Da ist immer der "Röstigraben" (das ist sowas ähnliches wie der Schweizer Weißwurstäquator😎) Thema - entweder, weil er sich gezeigt hat oder weil er sich nicht gezeigt hat...

    • @PartyChampignons:

      Das ist glaub ich etwas falsch (von Semsrott) wiedergegeben. Das ist etwas, was einen guten Kompromiß ausmacht, nicht die Demokratie. Wenn jede Seite nicht ihre Maximalposition durchbekommt. Dann sind alle nicht hundertprozentig zufrieden, aber keiner ist dafür komplett an die Wand gedrückt. Gerade bei polarisierten Themen geht das eigentlich nicht anders.

    • @PartyChampignons:

      Doch, das werden Sie nicht ändern können, weil Sie bei kaum einem Thema zu 100% auf einen Nenner kommen. Also muss von allen zurückgesteckt werden, was das eigene Wunschkonzert angeht.

      Das Ergebnis ist einerseits eines, an dem jeder etwas herumzumäkeln hat. Andererseits ist es ein Erfolg, dass es zu einem Ergebnis gekommen ist, ohne dass man sich die Köpfe eingeschlagen hat.

      Sie erinnern sich an die Kriege zwischen Staaten und innerhalb der Staaten in Europa? Zumindest im Binnenbereich hat die EU damit Schluss gemacht. Damit ist die EU nicht nur "ein seit 70 Jahren währendes Experiment, das weltweit seinesgleichen sucht.", sondern auch ein äußerst erfolgreiches.

  • Hm. Nico Semsroth hats also versucht, ist aber depressiv geworden, findet den Job sinn- und aussichtslos und hat am Ende resigniert. Bei der FDP würde man sagen: "Wir haben das Profil geschärft."