Die Union und das Einbürgerungsrecht: Gefühlte Fakten
Einbürgerung beschleunigt Integration. Doch wissenschaftliche Erkenntnisse interessieren CDU und CSU nicht. Sie schaden damit auch sich selbst.
E s ist mal wieder so weit: Alle Jahre wieder läuten bei der Union die Glöckchen. Leider nicht die Weihnachtsglöckchen, sondern die Anti-Ausländer-Glöckchen. Mal sind es die Geflüchteten, die dem Staat auf der Tasche liegen, mal sind es „die Migranten“, die einfach nicht verstehen wollen, dass man sich gegen Covid impfen lassen muss, ein anderes Mal sind es die „die Clans“, die Deutschland unsicher machen.
Jetzt sind es die Eingewanderten, die die Naivität der Ampel-Parteien ausnutzen, um sich die deutsche Staatsbürgerschaft zu erschleichen. Und das, bevor sie richtig integriert sind!
Ein Best-Off der vergangenen Woche: Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion Thorsten Frei warnte, dass man „flächendeckend mit dem deutschen Pass um sich wirft“. Aus der CDU-Landtagsfraktion Sachsen hieß es, die Staatsbürgerschaft dürfe nicht „verramscht“ werden, man sei schließlich nicht am „Wühltisch!“ Der Deutsche Pass dürfe nicht „entwertet“ werden, hieß es von CDU-Generalsekretär Mario Czaja.
Alexander Dobrindt fasste es gegenüber der BILD-Zeitung so zusammen: „Die deutsche Staatsbürgerschaft zu verramschen fördert nicht die Integration, sondern bezweckt geradezu das Gegenteil und wird zusätzliche Pulleffekte bei der illegalen Migration auslösen.“
Der Pull-Effekt existiert nicht
Da möchte man eigentlich lachen, wenn es nicht so verstörend wäre. Unionspolitiker glauben also, Menschen sitzen irgendwo im Nahen Osten und denken: Hey, eigentlich wollte ich gar nicht in die Fremde ziehen, aber ich habe gehört, in Deutschland kriegt man die Staatsbürgerschaft statt nach acht Jahren jetzt nach fünf Jahren, also los, packt eure Rucksäcke, Kinder!
Nun könnte man sich zur Frage der Migrationspolitik wissenschaftliche Erkenntnisse anschauen. Man könnte feststellen, dass der sogenannte „Pull-Effekt“, den CDU und CSU so gerne bemühen, nicht existiert, das haben Studien wiederholt belegt. Eine weitere Lektüre wäre die Studie des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem Jahr 2020, wo der Zusammenhang zwischen Einbürgerung und Integration umfassend untersucht wird.
Dort kommen die Wissenschaftler*innen zu der Erkenntnis, dass Einbürgerung Integration beschleunigt. Weiter: „Je schneller Immigranten nach Ankunft im Zielland die Staatsbürgerschaft erhalten haben, desto stärker ist der Effekt der Einbürgerung auf die Integration.“
Ein Ergebnis der Studie ist sogar, dass die „Legalisierung des Aufenthaltsstatus zu geringerer Kriminalität führt.“ Ein weiterer Schluss, der in dem Papier gezogen wird: „Politische Debatten zum Thema Einbürgerung und Integration basieren häufig auf politischen Überzeugungen anstelle von Fakten“.
Einwanderung in die Sozialsysteme. Fakten dazu? Keine
Die Unionsparteien führen dabei geradezu ein Lehrstück auf. Das lässt sich auch gut an der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft beobachten. CDU- und Fraktionschef Friedrich Merz erklärte in der ARD, dass er gegen die doppelte Staatsbürgerschaft sei: Diese solle „nicht der Regelfall, sondern eher der Ausnahmefall“ sein. Und, natürlich, der Klassiker: Was man verhindern müsse, sei Einwanderung in die Sozialsysteme.
Zwischen den Zeilen heißt das: Menschen, die sich einbürgern lassen, wollen eigentlich nur vom großzügigen deutschen Sozialstaat profitieren. Evidenz? Keine! Macht nichts. Derweil ist die doppelte Staatsbürgerschaft für EU-Bürger*innen völlig legal. Die Union ist also eigentlich nur dagegen, wenn es um Menschen aus Staaten wie der Türkei geht, und für Menschen aus all den Staaten, die in der Vorstellung von CDU und CSU in die Sozialsysteme einwandern.
Das Sterotyp vom faulen und kriminellen Ausländer
Kurz gesagt: Union, CDU und CSU, fahren mal wieder eine Image-Kampagne, mit der sie ihren rechten Glanz aufpolieren wollen. Zugang zu Studien zu Einbürgerung und Integration haben diese Politiker*innen schließlich auch. Dass sie ihre Kampagne auf Kosten rassistischer Stereotype – des faulen, kriminellen Ausländers – fahren, macht ihnen nichts aus. Es ist schließlich nichts Neues für die Union: Man erinnere sich an die „Unterschriften-Aktion“ von Roland Koch im Jahr 1999, wo er Menschen dazu aufrief, gegen die doppelte Staatsbürgerschaft zu unterschreiben. Der Satz „Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben?“ wurde berühmt-berüchtigt.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Parteipolitisch ergibt es für CDU und CSU nur auf den ersten Blick Sinn. Und zwar dann, wenn man davon ausgeht, dass eingebürgerte Migrant*innen ohnehin nicht konservativ wählen. Dabei existiert das Potenzial für die Union, auch von Migrant*innen gewählt zu werden, durchaus: Eingebürgerte Menschen wählen in geringer, aber steigender Zahl auch konservative Parteien. Nur: Eine Politik, die auf Ressentiments basiert, hat keine Zukunft und ist in der Breite für Eingewanderte nicht wählbar.
Schon lange herrscht international ein Wettbewerb beim Thema Einwanderung. Menschen werden davon überzeugt werden müssen, in ein Land einzuwandern, in dem es rassistische Mordserien und rassistische Terroranschläge gibt – und an der Spitze Parteien, die glauben, Stimmungsmache wäre Politik. CDU und CSU machen derweil munter weiter: Alle Jahre wieder.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag