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taz FUTURZWEI

Der taz FUTURZWEI-Wahl-Kommentar Deutschland hat verstanden

Selbst wenn die AfD bei der Bundestagswahl noch stärker werden sollte, hat die autoritäre Versuchung in der Bundesrepublik keine Zukunft.

Kein Platz für Autoritarismus: Eine Demonstration für Menschlichkeit Foto: picture alliance/dpa | Mia Bucher

Wir haben in der aktuellen Wachstumskrise das Phänomen, dass sich die große Mehrheit davon nicht betroffen fühlt. Die Ängste um den eigenen Arbeitsplatz sind gering, die Bilanz der eigenen wirtschaftlichen Lage fällt heute besser aus als 2019 vor der Aneinanderreihung der Krisen, die wir in den letzten Jahren hatten.“ , sagt Renate Köcher, Geschäftsführerin des Institutes für Demoskopie Allensbach.

Im Wahlkampfgetöse aller Parteien und der medialen Hysterie wird die stabile Grundhaltung einer Mehrheit der Bevölkerung übersehen. Für sie gibt es zur gelebten Demokratie in der Republik keine überzeugende Alternative.

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Dennoch gibt es gute Gründe für nachvollziehbare Ängste in denen dieses demokratische Selbstbewusstsein auch verloren gehen könnte.

Nachvollziehbare Ängste

Mit Trump an der Seite wird Putin den Ukrainekrieg gewinnen. Die Zeit der europäischen und besonders der deutschen Trittbrettfahrerei in Sicherheitsfragen bei den USA und in der Nato ist vorbei.

Ob Europa sich als Weltanker für Demokratie und Freiheit, eingezwängt zwischen den imperialistischen Aggressionen Russlands, Amerikas Machtspruch und Chinas Weltmachtambitionen, mit eigener militärischer Kraft bewähren kann und will, ist nicht sicher.

Die über das Internet und KI unkontrolliert verfügenden US-Großkapitalisten versuchen alles, was der Vertiefung ihrer Macht über die Märkte und die Weltgesellschaft im Weg steht, mit ihrer bisher unbeschränkten Kommunikationskraft brutal aus dem Weg zu räumen. Es gibt bisher kein demokratisch legitimiertes, politisches Subjekt im Westen, das ihnen systemische, rechtsstaatlich befestigte Grenzen setzen und damit Freiheit sichern würde.

Die über Jahre ignorierten, strukturellen Probleme im sozialen und gesellschaftlichen Lebensalltag lösen nachvollziehbar Ängste aus. Dazu gehören ungebremst steigende Mieten und kostensteigernde Wirkungen des Schrumpfens aller europäischen Kernbevölkerungen auf Renten, Pflege und das Gesundheitssystem - und zunehmend Fachkräftemangel.

Ein Wahlkampf zum Verzweifeln

Genug Themen für große gesellschaftliche Debatten, sollte man meinen. Aber diese sind in der Gesellschaft weder gefragt, noch gibt es politische Kräfte, die sie wirkungsvoll auslösen und zielorientiert vorantreiben könnten. Im Wahlkampf wurden sie jedenfalls nicht geführt.

Die CDU bejammert die Wirtschaftskrise und 3 Millionen Arbeitslose. Die SPD kämpft für jeden Arbeitsplatz der alten Industrien und 15 Euro Mindestlohn. Die Grünen zeigen vor allem Realo-Demut. Die AfD setzt auf Hass, zelebriert ihre Nähe zu Trump, Vance und Putin. Die FDP droht mit der Kettensäge. VOLT kopiert die Grünen. Die Linken reden wieder vom Sozialismus. Das BSW, die linkspopulistische Kadertruppe, pflegt ihre Putin-Nähe.

Bild: privat
Udo Knapp

Udo Knapp ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für unser Magazin taz FUTURZWEI.

So wie es heute aussieht, wird sich mit dem Wahlergebnis am kommenden Sonntag am Alltag der Politik in der Republik nichts ändern. Die autoritäre Versuchung ist da, es trotz aller Bekenntnisse eben doch mal mit der AfD zu versuchen.

Die autoritäre Versuchung

Es ist CDU-Chef Merz durchaus zuzutrauen, dass er das macht, wenn er um seine Kanzlerschaft fürchten müsste.

Aber rücksichtslose Machtausübung, eine autoritäre Demontage des Rechtsstaates und aller seiner Institutionen, ein völliges Ignorieren aller sozialen technischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Tatsachen, Kriegstreiberei und prinzipiell menschenfeindliche Politik wird es aber selbst dann nicht geben.

Ähnliche Augenblicke und autoritäre Versuche hat es in der Zivilisationsgeschichte schon öfter gegeben. Aber es gilt auch: Eine solche autoritäre Versuchung kann keine Menschheitsprobleme lösen, sie kann und wird sie nur verschärfen.

Für die großen Zukunftsfragen, an denen alle politischen Lager arbeiten müssen, gibt es grundsätzlich keine einfachen Erfolgsrezepte. Aus diesem Dilemma hilft auch machiavellistische Machttechnik nicht heraus. Autoritären Versuchungen sind daher am Ende noch immer gescheitert, allerdings war der Blutzoll oft hoch, der dafür gezahlt werden musste.

Aber bitteschön, von so einer autoritären Versuchung sind die Bundesrepublik und Europa, trotz Orban, Weidel, Meloni, Le Pen heute weit entfernt. In einen solchen Horizont eingeordnet, sind die Wahlen am Sonntag sogar eher unbedeutend.

Gute Gründe für Optimismus?

Die Bundesrepublik ist heute noch in jeder Hinsicht stark, sie ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt und zusammen mit der EU noch stärker. Sie ist ein herausragender, zukunftsoffener Wissenschaftsstandort. Hier gibt es einen „Grundoptimismus, trotz aller Skepsis, ob das Land seinen Zenit überschritten hat“, wie Allensbach-Chefin Renate Köcher in einer ihrer letzten Umfragen festgestellt hat.

An diesem Selbstbewusstsein werden bis auf weiteres weder eine Union/SPD-Regierung mit oder ohne die Grünen, noch eine noch stärker gewordenen AfD im Bund und an der Seite einiger CDU-Länderfürsten viel ändern. Mit Trump und ohne die USA kann das immer noch starke Deutschland jetzt in Europa und weltpolitisch Verantwortung für alle Demokratien des Westens übernehmen.

Die autoritäre Versuchung hat in der Bundesrepublik keine Zukunft. Zumindest das haben die Deutschen aus ihren Verbrechen in der jüngeren Geschichte und aus achtzig Jahren demokratischer Selbsterziehung gelernt.

Es gibt auch keinen Grund, sich heute schon vor einem Sieg der AfD bei den Bundestagswahlen 2029 zu fürchten. Die werden verlieren oder auch verboten werden, wenn es mit ihnen so weitergeht. Es kann allenfalls ungemütlich werden. Oder auch ekelhaft.

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