Der Polizeieinsatz in Lützerath: Nicht mehr normal
Warum gilt es als angemessen, dass die Polizei Klimaaktivist:innen räumt? Nicht aber, dass sie Braunkohlebagger stoppt? Ein Gedankenspiel.
D as ist ja wieder mal alles ganz normal. Hunderte, vielleicht Tausende Polizist:innen sind seit Mittwoch in Lützerath im Einsatz. Sie räumen das von Aktivist:innen besetzte Dorf an der Abbruchkante zum Braunkohletagebau. Sie kesseln Menschen ein, tragen sie durch die Gegend, schubsen mal hier, drängeln mal dort. Sie holen Aktivist:innen von den Bäumen, schmeißen Holzhütten um, fahren mit Blaulicht durch die Gegend.
Das ist normal. Oder besser gesagt, es gilt als normal, weil es der Rechtslage entspricht. Weil Gerichte den Einsatz bestätigt haben. Weil es um ein von Parlamenten und Regierungen beschlossenes Vorgehen geht. Aber dafür kann die Polizei ja nichts. Sie setzt um, was andere beschlossen haben. So weit, so gut?
Auf Facebook schrieb jemand am ersten Tag der Räumung: „Der Tag ist nicht mehr fern, da wird der Bau von Windrädern wie der Abbau von Kohle in Lützerath durchgesetzt werden.“
Klar, das klingt irgendwie gaga. Aber ist es das auch?
Führen wir den Gedanken doch mal zu Ende: Warum eigentlich gibt es keine Einsatzhundertschaften, die in windradresistenten Gegenden die Blockierer:innen vertreiben, damit dort ein paar Anlagen in den Boden gebracht werden können?
Und wieso holt die Polizei landauf, landab die Menschen von der Straße, die sich für den Klimaschutz auf den Asphalt kleben, nur um für freie Fahrt für klimaschädliche Autos zu sorgen, anstatt genau diese von den Straßen zu verbannen?
Oder wieso räumt die Polizei eigentlich die paar Hundert Aktivist:innen aus dem kleinen Lützerath, anstatt selbst in die daneben liegende Grube zu springen und die dort nach Kohle grabenden Bagger stillzulegen? Die machen schließlich nicht nur die Gegend zwischen Köln und Aachen kaputt, sondern in logischer Konsequenz gleich noch das Weltklima.
Schon klar, auf solch utopische Weltverdrehungen kann nur ein ökoverliebter Schreiberling von der taz kommen. Für alle anderen klingt das – ja was? Lustig?
Ist es aber nicht. Im Gegenteil. Der Klimawandel ist real. Und ein drängendes Problem. Ein sehr drängendes. Und die Aktivist:innen, die gerade in erster Linie der aus allen Ecken der Republik zusammengetrommelten Polizei, tatsächlich aber vor allem den sich hinter ihr versteckenden Braunkohleverheizer:innen im Wege stehen, fordern ja auch nicht irgendeinen weltfremden Quatsch, sondern genau das, worauf sich die Weltgemeinschaft in einem einmaligen Schritt bei der Klimakonferenz 2015 in Paris geeinigt hat: die Einhaltung des 1,5-Grad-Zieles.
Und dieses Ziel ist auch nicht irgendeine nice-to-have-schön-dass-wir-mal-drüber-geredet-haben-aber-ansonsten-völlig-egale Absichtserklärung. Nein, es wurde 2021 durch einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts faktisch in den Verfassungsrang gehoben. Je weiter der Klimawandel voranschreitet, umso mehr Gewicht habe dieses Klimaschutzgebot, argumentierte Deutschland höchstes Gericht.
Dass es dennoch keine Polizeieinsätze zugunsten des Klimaschutzes gibt, hat mehrere Gründe. Da ist als Erstes die aktuelle Bundesregierung. Die behandelt wie ihre Vorgängerin das Paris-Abkommen eben doch wie eine nice-to-have-schön-dass-wir-mal-drüber-geredet-haben-aber-ansonsten-völlig-egale Absichtserklärung. Bei der Umsetzung in Recht und Gesetz hapert es an allen Ecken und Enden.
Damit hat die Polizei natürlich auch keine Handhabe, keinen Auftrag, an irgendeiner Stelle in dieser Richtung tätig zu werden.
Noch wichtiger aber: Klimaschutz, der nur mit einem Großaufgebot der Polizei durchgesetzt werden kann, das erscheint so antiutopisch, so obrigkeitsstaatlich, dass man es sich selbst in der buntesten Ökofantasie nicht vorstellen mag. Weil es tatsächlich absurd ist.
Eine Frage aber bleibt: Wenn massive Polizeieinsätze im Auftrag des höchstrangigen Klimaschutzes aus guten Gründen immer noch absurd erscheinen, warum zum Kohlebagger sollen sie dann gerade zur Durchsetzung von klimaschädlichem Handeln normal sein?
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