Demonstrationen gegen Israel: Antisemiten sind immer die anderen
Die öffentliche Empörung richtet sich vor allem gegen arabische und türkische Communitys. Judenhass sollte aber überall bekämpft werden.
G eschichte wiederholt sich nicht. Und doch ähneln die israelfeindlichen Proteste in vielen deutschen Städten zum Verwechseln den Demonstrationen vergangener Jahre. Wieder wird Israel eines „Genozids“ beschuldigt und erneut ein Palästina „from the river to the sea“ beschworen, also eines, dass den jüdischen Staat von der Landkarte ausradiert. Vielleicht zieht man auch zur nächsten Synagoge, um dort zu protestieren. Das aber ist purer Antisemitismus, nur mühsam versteckt unter der Maske des Antizionismus.
Und wieder reagieren Politiker und Kirchenvertreter auf diesen Straßenmob überrascht, so als hätten sie vergessen, was vor einigen Jahren los war. Die einzigen, die sich nicht wundern, sind die Juden. Sie wissen aus eigener Anschauung, wie tief der Hass auf sie in der Gesellschaft verankert ist. Und sie haben recht mit ihrer Befürchtung, dass die allgemeine Empörung eine vorübergehende Erscheinung bleiben könnte.
Wobei diese Empörung in diesem Fall eine besonders leichte Übung ist. Denn auf die Straße gehen vor allem Migranten und deren Kinder, insbesondere aus arabischen Ländern und der Türkei stammend. Weil kaum jemand jemals etwas unternommen hat, um in diesen Communitys den Judenhass zu bekämpfen, ist es besonders wohlfeil, ihr Verhalten nun zu verurteilen – und zugleich über das Denken von Müller, Maier oder Schmitz zu schweigen. Antisemitismus, das trifft ja nur die anderen.
Tatsache aber ist: Der Judenhass ist ein Problem in migrantischen Gemeinschaften – aber er grassiert auch unter denjenigen, die seit Langem hier leben. Das Phänomen des Judenhasses betrifft auch nicht nur Neonazis oder Rechtspopulisten. Es geht auch um vermeintlich Linke, die, ausgestattet mit antiimperialistischen Phantasien von heute und dem Judenhass ihrer Großväter, fleißig mitdemonstrieren, wenn es gegen den großen Dämon Israel geht.
Der Begriff des Antisemitismus ist rund 150 Jahre alt. Man hat lernen müssen, dass sich die Ressentiments in immer neuen Verkleidungen verstecken. Juden, das sind böse Kapitalisten, verschlagene Bolschewiken, reiche Banker, arme Schnorrer, die Bewohner der US-Ostküste oder die Erfinder eines Virus. Seit rund 70 Jahren zählt Israel zu diesem Kanon der Wirrnis.
Geschichte wiederholt sich nicht. Aber sie kann sich verdammt ähneln. Es kommt aber darauf an, den Judenhass überall zu bekämpfen, wo er auftritt. Auch wenn er Menschen betrifft, die eher am unteren Ende der Sozialpyramide stehen. Aber ebenso, wenn er vom Biertisch oder der Yoga-Gruppe herüberweht.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich