Debatte um den Klimawandel: Nicht viel mehr als Visionen

Die Erderwärmung schreitet schneller voran als berechnet. Eigentlich müsste die Menschheit verzweifeln, doch die Verdrängung funktioniert bestens.

Abgestorbene Fichten vor einem strahlend blauen Himmel.

Abgestorbene Fichten im Nationalpark Eifel Foto: Oliver Berg/dpa

Die neuesten Studien sind alarmierend: Das Eis auf Grönland schmilzt bereits jetzt so schnell, wie es ursprünglich für das Jahr 2060 berechnet war. Gleichzeitig tauen die Permafrostböden in Sibirien oder Kanada so rasant, wie es erst für 2090 kalkuliert war. Der Klimawandel überholt die Menschheit, während diese noch debattiert, wie man ihn aufhalten könnte.

Die Permafrostböden werden so viel Methan und Kohlendioxid freisetzen, wie die Menschheit momentan in zwei Jahren emittiert. Das mag harmlos klingen – aber die Atmosphäre ist bereits am Limit. Bisher galt, dass für alle Ewigkeiten nur noch so viele Treibhausgase ausgestoßen werden dürfen wie derzeit in acht Jahren. Sonst wird es sehr ungemütlich. Pi mal Daumen folgt aus den neuen Erkenntnissen über die Permafrostböden, dass die roten Linien spätestens in sechs Jahren überschritten sind. Das ist 2025.

Es wird gern vergessen: Jedes CO2-Molekül bleibt für Jahrtausende in der Luft. Es ist nicht harmlos, „eben mal“ mit dem Auto zum Supermarkt zu fahren. In diesen kurzen Minuten entstehen Treibhausgase, die nie wieder verschwinden.

Eigentlich müsste die Menschheit verzweifeln, doch die Verdrängung funktioniert bestens. Überall lassen sich SUVs entdecken, die mit Kindersitzen ausgestattet sind. Die Besitzer glauben offenbar, dass es die Zukunft ihres Nachwuchses nicht beeinträchtigt, wenn sie selbst permanent CO2 durch den Auspuff jagen.

Die Debatte um den CO2-Preis ist Mumpitz

Dieses Verdrängen fällt leicht, weil die Klimadebatte so normal wirkt. Die Treibhausgase werden verhandelt, als wären sie ein Thema wie die Grundrente. Um kurz bei der Sozialpolitik zu bleiben: Ausgiebigst wurde debattiert, ob man die Grundrente mit oder ohne Bedürftigkeitsprüfung einführt. Aber nie war strittig, dass sie die Altersarmut lindert. Der politische Kampf bewegte sich an der Oberfläche und signalisierte den Bürgern, dass es eine gute Lösung gibt, an deren Details man noch feilen muss.

Dieses Muster wird auch bei der Klimadebatte inszeniert: Union und SPD wollten ursprünglich pro Tonne CO2 ein Strafgeld von 10 Euro erheben, während die Grünen 40 Euro forderten. Schließlich einigte man sich auf 25 Euro pro Tonne – woraus viele WählerInnen folgern dürften, dass dieser Kompromiss der berühmte „richtige Schritt in die richtige Richtung“ sein muss.

Es gerät aus dem Blick, dass die Debatte um einen CO2-Preis Mumpitz ist, weil eigentlich gar keine Treibhausgase mehr entstehen dürfen, wenn das Klima nicht irreparabel leiden soll. Null CO2 kann aber keinen Preis haben. Null ist null.

Stattdessen haben Bundesregierung und Grüne einen Plan ausgetüftelt, wie die CO2-Preise langsam steigen. Im Jahr 2025 soll eine Tonne 55 Euro kosten – obwohl in diesem Jahr das Kontingent an Treibhausgasen komplett aufgebraucht sein dürfte, das die Menschheit noch in die Atmosphäre blasen darf. Die Deutschen erinnern an einen Zuckerkranken, der seinem Arzt Geld dafür gibt, dass er regelmäßig die Sahnetorten geliefert bekommt, die seinen sicheren Tod bedeuten.

Dieser Wahnsinn hat durchaus rationale Seiten. Der neue CO2-Preis dürfte tatsächlich erreichen, dass weniger Treibhausgase entstehen. Doch relative Erfolge sind keine absolute Lösung. Auch weniger CO2 ist zu viel CO2, doch diese Tatsache kommt emotional nicht an.

Visionen sind noch kein Konzept

Unbeirrt vertraut man auf die normative Kraft des Graduellen. Man will mit kleinen Maßnahmen anfangen, um sich kontinuierlich zu steigern. Der Bodensee ist ein gern zitiertes Beispiel: 1970 war er komplett verschmutzt; jetzt ist er sauber. Warum soll nicht die ganze Welt wie der Bodensee sein?

Dieser Vergleich hinkt doppelt. Es ist ein Trugschluss, Treibhausgase zu behandeln, als wären sie Abwasser. Wasser kann man reinigen. CO2 bleibt für immer in der Atmosphäre, und dieser Klimaschaden ist nicht mehr zu reparieren. Doch dieser Unterschied wird politisch verwischt, auch durch die CO2-Preise. Plötzlich kosten Klimagase eine Gebühr, wie auch Wasser seinen Preis hat, der bei durchschnittlich 4 Euro pro Kubikmeter liegt. Unvergleichliches wird monetär vergleichbar gemacht.

In einer CO2-freien Welt wären auch Banken, Versicherungen, Flughäfen, Reisebüros oder PR-Berater überflüssig

Zudem war der Bodensee ein Einzelproblem. Isolierte Probleme lassen sich immer lösen – und sei es, dass man sie woandershin verschiebt. Die Treibhausgase hingegen entstehen überall und sind eine Folge des Kapitalismus. Also müsste die gesamte Wirtschaft komplett reformiert werden. Sofort. Dafür gibt es kein Modell – und noch nicht einmal erste Ansätze.

Es gibt nur Listen, die Visionen aufzählen. Das soll nicht lächerlich gemacht werden. Inspirierend ist etwa das Buch „Drawdown“: Wissenschaftler aus allen Kontinenten haben hundert Maßnahmen zusammengetragen, wie sich Treibhausgase vermeiden oder wieder binden ließen. Die Vorschläge reichen von Windturbinen bis zu Hochhäusern aus Holz.

Doch Visionen sind noch kein Konzept. Wie immer die Szenarien aussehen: SUVs würde es nicht mehr geben, ob mit oder ohne Kindersitz. Schwere Autos verbrauchen zu viel Energie und Umwelt.

Was wird also aus Baden-Württemberg? Zwar sind in der deutschen Automobilindustrie „nur“ etwa 1,75 Millionen Menschen direkt oder indirekt beschäftigt. Doch leider ballen sich diese Betriebe in wenigen Regionen, die davon leben.

Zudem würde es nicht nur die Autoregionen treffen: In einer CO2-freien Welt wären auch Banken, Versicherungen, Flughäfen, Reisebüros oder PR-Berater überflüssig. Umgekehrt müssten sehr viel mehr Menschen auf den Äckern arbeiten, um ökologische Landwirtschaft zu betreiben.

Dieser Umbau ist nur möglich, wenn der Staat steuert. Noch ist unvorstellbar, dass die Bundesregierung diskutiert, wie sie Stadtbewohner zu Ökobauern umschult. Doch erst wenn diese Debatten einsetzen, wurde das Klimaproblem verstanden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.