Debatte um Thunbergs Segelreise: Niemand schafft's allein
Selbst Greta Thunberg kommt nicht klimaneutral über den Atlantik. Ihre Reise zeigt, dass manche Probleme nur kollektiv gelöst werden können.
D er Aufschrei war zu erwarten. Dass ausgerechnet die taz am Freitag aufgedeckt hat, dass der Segeltörn von Greta Thunberg dem Klima mehr schadet, als es ein normaler Flug getan hätte, hat viele, die ihr Anliegen teilen, verärgert. Das zeigen die Reaktionen im Internet sehr deutlich. In jenen Kreisen, denen Thunberg ohnehin als Hassfigur gilt, wird die Nachricht dagegen begeistert geteilt.
Diese Reaktionen kann man als Medium bedauern. Beeinflussen lassen sollte man sich davon jedoch nicht. Greta Thunberg hat selbst betont, dass sie „ohne Emissionen“ in die USA reisen wolle. Wenn Nachfragen nun ergeben, dass der Skipper, der Thunberg und ihren Vater über den Atlantik fährt, anschließend mit dem Flugzeug zurückreist und zudem neue Crewmitglieder eingeflogen werden, die das Schiff nach Europa zurücksegeln, dann ist das eine relevante Information.
Egal ob nun sechs Teammitglieder fliegen, wie der Pressesprecher des Skippers am Donnerstag der taz gesagt hatte, oder nur vier, wie ein anderes Teammitglied am nächsten Tag erklärte: Insgesamt erzeugt der vermeintlich klimaneutrale Trip damit mehr Emissionen, als bei einem Flug von Thunberg und ihrem Vater allein entstanden wären. Das kann eine Zeitung, die im Vorfeld ausführlich über die Reise berichtet hat, ihren LeserInnen nicht vorenthalten, nur weil es vielen nicht gefällt. Nur noch veröffentlichen, was beim eigenen Publikum gut ankommt, hätte mit Journalismus nichts mehr zu tun.
Viel spannender ist die Frage, ob diese neue Erkenntnis über die tatsächliche Klimabilanz des Segeltörns dem Anliegen von Greta Thunberg überhaupt schadet, wie gerade ihre KritikerInnen meinen.
Schließlich sollte ihre vollkommen emissionsfreie Reise ja vor allem ein Symbol sein. Ein Zeichen, dass man auch mit individuellem Verhalten die Welt verändern kann. Und ein Appell an die Weltgemeinschaft, insgesamt mehr für den Klimaschutz zu tun.
Wo der individuelle Ansatz an seine Grenzen stößt
Die erste Botschaft steht nun infrage. Wenn es selbst einer Greta Thunberg mit dem riesigen Aufwand und den gewaltigen Strapazen, die sie für ihre Reise auf sich nimmt, nicht gelingt, den Atlantik wirklich klimafreundlich zu überqueren, dann zeigt das eindrücklich, dass manche Probleme eben nicht auf persönlicher Ebene gelöst werden können.
Individuelle Verhaltensänderungen können als Denkanstoß oder als Vorbild sinnvoll sein, sie können Lösungen demonstrieren und politische Veränderungen einleiten. Wer freiwillig Fahrrad oder Bus statt Auto fährt, tut nicht nur sich und der Umwelt etwas Gutes. Sondern schafft langfristig auch Druck, den Raum in den Städten umzuverteilen und damit den Autoverkehr insgesamt zurückzudrängen. Wer Biolebensmittel kauft, sorgt nicht nur unmittelbar für weniger Gift und Dünger auf den Feldern, sondern liefert auch einen Beweis, dass Menschen sich nicht nur für den Preis der Nahrung interessieren.
Doch schon auf diesen Handlungsfeldern, auf denen praktikable Alternativen existieren, stößt der individuelle Ansatz bald an seine Grenzen. Um die Umwelt- und Klimakrise abzuwenden, reicht es nicht, wenn nur diejenigen ihr Verhalten ändern, die von sich aus die Notwendigkeit sehen und sich die Alternativen unter den bestehenden Verhältnissen leisten können.
Dafür braucht es Regeln, die die Probleme unabhängig von individuellen Entscheidungen lösen. Private Pkws aus Innenstädten zu verbannen und im Gegenzug einen funktionierenden, kostenlosen Nahverkehr zu schaffen bringt am Ende einfach mehr als ein Appell, das Auto doch mal stehen zu lassen. Genauso nützt ein flächendeckendes Verbot von Glyphosat und quälerischer Tierhaltung der Sache mehr als ein paar weitere KundInnen, die freiwillig aufs Biosiegel achten.
Kollektive Lösungen suchen
Noch viel wichtiger ist diese Botschaft, dass die Welt neue Regeln braucht, bei Themen, wo es auf individueller Ebene wenig oder keine Einflussmöglichkeiten gibt. Besonders beim Langstreckentransport wird das Problem offensichtlich: Selbst ökologische und faire Produkte aus fernen Ländern fahren im besten Fall auf fossil betriebenen Schiffen über die Meere. Und für Reisen über den Atlantik gibt es – siehe Thunberg – überhaupt keine klimaneutrale Art. Von einer praktikablen und skalierbaren ganz zu schweigen.
Einen Flug durch eine Spende für Klimaschutzprojekte in anderen Ländern zu „kompensieren“, wie es auch das Team von Thunbergs Schiff tut, ist global gesehen auch keine Lösung. Denn um die Erdüberhitzung zu verhindern, müssen die Emissionen überall sinken, nicht hier oder dort.
Auf individueller Ebene bliebe beim Thema Fernreisen also praktisch nur der völlige Verzicht, wenn man nicht zum Klimawandel beitragen will. Dazu sind aber die wenigsten Menschen bereit. Der Appell an individuelle Verhaltensänderungen führt bei diesem Thema darum zu Ohnmacht und Resignation. Wenn sich nur Menschen für den Klimaschutz einsetzen dürfen, die klimaneutral leben, bleibt praktisch niemand übrig.
Dazu kommt, dass es weder realistisch noch wünschenswert erscheint, Welthandel und Fernreisen aus Klimaschutzgründen komplett einzustellen. Das politische Ziel kann darum nur lauten, solche Transporte so weit wie möglich zu begrenzen, zugleich aber darauf hinzuarbeiten, die verbliebenen so klimafreundlich wie möglich zu gestalten.
Die Symbolkraft bleibt
Technische Ansätze dafür gibt es durchaus. Mit erneuerbarem Strom kann aus CO2 und Wasser weitgehend klimaneutraler Treibstoff hergestellt werden. Das kostet derzeit ein Vielfaches von konventionellem Sprit und stößt zudem auf Widerstand bei allen, die derzeit mit Erdölprodukten gutes Geld verdienen.
Früher war das Mittelmeer Zentrum der Identität Europas, heute wenden sich die Menschen von ihm ab. Ein Essay über ein Meer, das Hilfe braucht – in der taz am wochenende vom 17./18. August. Außerdem: Die Polizei möchte Bienen zur Drogenfahndung einsetzen. Science Fiction oder bald Realität? Und: In Belgien bekommen Obdachlose schnell eine Wohnung, in Deutschland nicht. Eine Reportage. Ab Samstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und bei Facebook und Twitter.
Dieser Technik zum Durchbruch zu verhelfen kann gelingen, indem der CO2-Ausstoß in großen Teilen der Welt so teuer wird, dass die Alternativen sich durchsetzen können. Oder indem verbindliche, jährlich steigende Quoten für die Beimischung von synthetischem Treibstoff vorgegeben werden. Das ist ohne Frage kein einfacher Weg – aber allemal realistischer als die Annahme, dass wir künftig alle im Segelboot reisen.
Über Thunbergs Probleme bei der klimaneutralen Atlantiküberquerung zu berichten, hilft also nicht zwangsläufig, wie viele LeserInnen meinen, jenen, die gar nichts gegen den Klimawandel unternehmen wollen. Ganz im Gegenteil.
Ebenso wie ihr unermüdlicher Streik bereits dazu geführt hat, dass eine weltweite Bewegung für den Klimaschutz entstanden ist, kann auch ihre ungemütliche Reise, auf der sie in den ersten 48 Stunden knapp 1.000 Kilometer vorangekommen ist, trotzdem zu einem starken Symbol für den UN-Klimagipfel werden, den sie ansteuert. Greta Thunbergs Trip zeigt, dass die Energiewende massiv beschleunigt werden muss, damit wichtige Reisen auch möglich bleiben, ohne dass das Klimasystem kollabiert.
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