Klimafreundliche Reisen auf der Schiene: Mit dem Zug nach Vietnam
Ein 19-Jähriger hat zusammen mit seinem Vater eine Agentur gegründet. Sie organisiert Fernreisen mit der Bahn auf der ganzen Welt.
4.206 Kilogramm CO2 verursacht beispielsweise ein Flug von Frankfurt nach Hanoi in Vietnam und zurück. Dass das klimaverträgliche Jahresbudget einer Person nur 2.300 Kilogramm CO2 beträgt, will der umweltbewusste Mensch am liebsten gar nicht wissen. Dass die Pro-Kopf-Emissionen in Indien in einem ganzen Jahr nur 1.600 Kilogramm CO2 betragen, auch nicht. In Zeiten von Flugscham und Fridays for Future rechtfertigt er seinen Urlaub ins wärmere und weit entfernte Ausland lieber mit Spenden in Klimaschutzprojekte über Kompensationszahlungen an Organisationen wie Atmosfair. 97 Euro kostet die Erleichterung des eigenen Gewissens für einen Hin- und Rückflug von Frankfurt nach Hanoi.
Zusammen mit seinem Vater Matthias will der Klimaaktivist Elias Bohun dieses Problem der klimaschädlichen Fernreisen anpacken, das den umweltbewussten Menschen schon seit Längerem beschäftigt. Seitdem sich der 19-jährige Österreicher vergangenes Jahr gegen das Fliegen entschieden hat, ist Flugscham für ihn kein Thema mehr. Auf Reisen um die halbe Welt verzichtet er trotzdem nicht. Ab Januar 2020 organisieren Elias und Matthias individuelle Zugreisen in Europa, nach Asien und Nordafrika und eröffnen damit das erste Reisebüro dieser Art. Die Idee: „Zugreisen, so weit, wie es geht.“
Bei Traivelling, so der Name des Reisebüros im niederösterreichischen Mödling, soll es anders als bei Luxuspauschalreisen wie mit dem Orientexpress um Zugreisen mit Gestaltungsspielraum gehen. „Es geht gerade darum, unterwegs etwas zu sehen“, sagt Matthias.
Mit dem Zug nach Hanoi für 650 Euro
Der Weg ist das Ziel. Wenn man in Wien in den Zug steigt, kann man für etwa 650 Euro acht Tage später in Vietnam wieder aussteigen. Plant man etwas mehr Zeit ein, kann man unterwegs Kiew, Moskau, Astana (die Hauptstadt Kasachstans), die Wüste Gobi und mehrere Städte Chinas sehen. Als Elias 18 Jahre alt war, hat er diese Reise mit seiner Freundin in 16 Tagen absolviert. „Elias hat mehr Zeit in die Vorbereitung seiner Reise gesteckt als in sein Abitur“, sagt sein Vater. „Viele haben gesagt, meine Reisepläne sind verrückt“, sagt Elias.
Elias beschreibt sich selbst als Zugfreak. Drei bis vier Monate habe er fast täglich auf russischen und kasachischen Zugticket-Portalen seine Reise geplant. Deshalb kennt er nun Menschen und Agenturen vor Ort, bei denen er Tickets für Reisende kaufen und hinterlegen kann. „Man bezahlt uns, und wir tragen die Bahntickets zusammen, die unsere Kunden dann vor Ort auf ihrer Reise abholen“, erklärt Elias. Dass jeder normale Mensch von den Portalen abgeschreckt sei, könne er gut verstehen, sagt er. Die meiste Zeit ist er nun damit beschäftigt, E-Mails und Anfragen an Traivelling zu beantworten. Sein Chemiestudium in Wien hat er dafür pausieren lassen. Und eigentlich interessiert ihn nachhaltige Mobilität auch viel mehr als Chemie. „Wir sind das konsequent klimafreundliche Bahnreisebüro“ steht auf der Website traivelling.com.
„Ich kenne die Zugverbindungen auswendig“
Fünf Hauptrouten nach Hanoi, Bangkok, Tokio, Barcelona und Lissabon zeigen exemplarisch, wie die weltweite Zugreise aussehen kann. Den individuellen Reisewunsch kann man über die Website an Elias und Matthias weitergeben. Ab Januar wollen sie geschäftsfähig sein und Zugtickets kaufen. Anfragen für etwa den Sommerurlaub kann man aber auch zum Jahresende schon stellen. „Ich kenne die Zugverbindungen in Europa und Asien auswendig“, sagt Elias. Er kümmert sich deshalb um die Ticketbuchungen.
Matthias hat eine Befähigungsprüfung zur Eröffnung eines Reisebüros gemacht und organisiert Vertriebspartnerschaften mit Bahnunternehmen. Die Nachfrage nach Zugtickets sei jetzt schon unglaublich hoch, erzählt Elias. „Reduziert das nicht auf den Umweltschutz, Zugfahren ist eine der tollsten Sachen, die es gibt“, sei eine der ersten Nachrichten an das Reisebüro gewesen.
Eines betont Elias besonders: „Ob die Menschen nun bei uns buchen oder nicht: Meine Hoffnung ist einfach, dass die Leute sehen, dass es eine Alternative zum Flugzeug gibt. Man muss die Idee vom Reisen und Genießen loslösen von dem Konzept, billig irgendwohin zu fliegen.“ Für Elias ist der Unterschied zwischen slow und fast travelling so ähnlich wie der Unterschied zwischen slow und fast food: Kein Verzicht, sondern ein Gewinn.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Russlands Nachschub im Ukraine-Krieg
Zu viele Vaterlandshelden