Debatte um Nikabverbot in Kiel: Streit um Schleier an der Uni
In der Koalition gibt es Streit über eine Studentin im Nikab. Die Grünen sind uneins in der Frage: Selbstbestimmung oder Unterdrückung?
„Für erfolgreichen Unterricht braucht es Kommunikation auf Augenhöhe. Dafür ist wichtig, das Gesicht zu sehen“, so Katharina Fegebank, Spitzenfrau der Hamburger Grünen und mögliche nächste Oberbürgermeisterin der Hansestadt. In Hamburg gibt es eine 16-Jährige, die vollverschleiert zur Schule geht. Fegebank fordert gesetzliche Grundlagen für ein Verbot. Auch Cem Özdemir hatte sich kritisch zur Haltung der schleswig-holsteinischen Grünen geäußert: Der Vollschleier mache „die Frau als Mensch unsichtbar“.
Die Grünen in Schleswig-Holstein wollen Jugendliche und Studierende unterschiedlich betrachten: „Wir stimmen einem Verbot der Vollverschleierung an Schulen zu“, sagte die Landesvorsitzende Ann-Kathrin Tranziska am Montag. Das betreffe aber nicht die Universitäten, machte der hochschulpolitische Sprecher der Landtagsfraktion, Lasse Petersdotter, am Dienstag in einem Tweet klar: „Nein, an den Unis verbieten wir Burka und Nikab nicht.“ Der taz sagte er, es sei „völlig klar, dass die Debatte um die Vollverschleierung polarisiert“. Nicht nur innerhalb der Grünen, auch bei Frauenverbänden gebe es unterschiedliche Auffassungen. Und: „Man kann die Vollverschleierung falsch finden und trotzdem der Meinung sein, dass ein Verbot mehr schadet als es nützt.“
Einigung auf ein paar Regeln
Immerhin haben sich die drei Regierungsfraktionen auf einige Regeln geeinigt: Lange Schleier sollen aus Brandschutzgründen in Laboren verboten sein, und bei Prüfungen muss die Schleierträgerin eine Feststellung ihrer Identität erlauben. Beides entspricht einem Erlass der Kieler Universität vom Februar 2019, als der Streit begann. Dass der Nikab außerhalb der Lehrveranstaltungen auf dem Campus getragen werden darf, war nie strittig.
Der Kieler Landtag hatte im Dezember zahlreiche Verbände und ExpertInnen eingeladen, die Argumente pro und kontra Schleier austauschten. Braucht es die Mimik, um das Gegenüber in einem Seminar zu verstehen? Nein, lautet ein Gegenargument. Das würde Blinde von Lehre und Lernen ausschließen. Und überhaupt: „Der Gesichtsausdruck der Studierenden steht nicht zur Bewertung der Dozierenden“, so der Kieler AStA, der Katharina K. unterstützt.
Aber geht es um Selbstbestimmung, geht es um Unterdrückung? Letzteres, sagen CDU und FDP: „Vollverschleierung passt nicht zu einer freiheitlichen Gesellschaft.“ Ähnlich die Einschätzung des Seminars für Orientalistik in Kiel. Die kleine Minderheit der in Deutschland lebenden Muslime, die für die Vollschleierung sind, gehören meist den sehr konservativen wahhabitischen Gruppen an und würden „die Integration in die als ungläubig angesehene Gesellschaft strikt ablehnen“, schreibt der Lehrstuhlleiter Lutz Berger.
Mit der Anhörung „haben wir in Schleswig-Holstein einen Beitrag dazu geleistet, die bundesweite Debatte zu versachlichen“, so Lasse Petersdotter. Aber ein Verbot sei nicht zielführend und bestrafe letztlich die Studentin, die damit abhängiger von Mann und Familie werde.
Katharina K. trägt weiter Nikab und sei bereit, für dieses Recht zu klagen, sagte sie der taz im vergangenen Jahr in einem Interview. Hinter ihr „stehen Menschen, die mich dabei unterstützen“. Gemeint ist eine Gruppe, die laut Medienberichten Kontakte zur Salafistenszene hat.
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