Debatte um Bezahlkarte: Hundegulasch und Auslandsüberweisungen
Geflüchtete kassieren Geld und schicken es in die Heimat? Das ist Quatsch, belegt eine Studie. Ein Beispiel für faktenfreie asylpolitische Debatte.
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A lternative Fakten, in Deutschland kennen wir die ja vor allem aus den USA, nicht? Vom ehemaligen und zukünftigen Präsidenten Donald Trump, der im Wahlkampf irgendetwas behauptet, was nicht stimmt, aber gut in seine Erzählung von den bösen Einwanderern passt.
Zum Beispiel, dass Migranten im Bundesstaat Ohio Haustiere der Einheimischen verzehrten. Die Amis halt, denken wir da kopfschüttelnd, so etwas würde uns Deutschen natürlich niemals passieren! Trotz aller Meinungsverschiedenheiten über Schuldenbremsen, Heizungsgesetze oder Kindergrundsicherungen diskutieren wir Deutschen ja immer auf Grundlage gesicherter Fakten. Oder doch nicht?
Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) gibt nun Anlass, dieses Selbstbild zu hinterfragen. Sieben Prozent der Geflüchteten in Deutschland haben im Jahr 2021 Geld ins Ausland gesendet. Die Studie basiert auf repräsentativen Haushaltsbefragungen des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) und zeigt, dass der Anteil der Geflüchteten, die Geld ins Ausland verschicken, sogar gesunken ist. 2012 lag er noch bei 13 Prozent.
Interessant ist das nun, weil sich die Ampelregierung im Frühjahr 2024 auf ein Gesetz für eine bundesweite Regelung für die Bezahlkarte geeinigt hatte – auf Druck der Bundesländer. Ihre Befürworter, allen voran die FDP, argumentierten, dass Geflüchtete Geld an Verwandte in Herkunftsländern oder an Schleuser senden würden.
Sozialdemokraten und Grüne, die in einer immer irrationaleren Asyldebatte nicht das Nachsehen haben wollten, zogen mit. Heute findet man diese Begründung auch in einem Beitrag über die Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes auf der Webseite der Bundesregierung.
Das Problem: Wie für die Trump’sche Fantasie vom Hundegulasch gibt es auch für die Behauptung, Geflüchtete würden in bedeutendem Ausmaß Geld ins Ausland schicken, keine Belege. Im Gegenteil: Auf Nachfrage hatte die Bundesregierung gar erklärt, ihr lägen keine Daten zum Umfang von Überweisungen in Herkunftsländer vor, die durch Asylbewerberleistungen finanziert sind. Heute wissen wir es besser. Aber Tatsachen sind längst geschaffen.
Viel über die asylpolitischen Debatten in Deutschland sagt aus, dass es für diese Erkenntnis eigentlich nicht mal eine Studie bräuchte. 460 Euro monatlich bekommt eine alleinstehende Asylbewerberin in Deutschland. Das ist weniger als das Bürgergeld. Man muss keine schwäbische Hausfrau sein, um festzustellen, dass sich davon kaum etwas beiseitelegen lässt, um es an Geschwister und Eltern abzutreten.
Und selbst wenn Geflüchtete Geld an ihre Verwandten schicken würden – warum sollten sie nicht wie andere Menschen das Recht haben, frei über den Betrag zu verfügen, der ihnen gesetzlich zusteht? Auf dieses Recht verweisen auch die Autorinnen der DIW-Studie, ebenso darauf, dass Auslandsüberweisungen nebenbei ein wichtiges Mittel zur Armutsbekämpfung in den Herkunftsländern sind.
Aktuell beraten die Innenminister der Bundesländer weitere asylpolitische Verschärfungen. Die Liste der Forderungen ist sehr lang und liest sich wie die Wunschliste der AfD an den Weihnachtsmann. Besorgen sollte das auch jene ohne Flucht- und Migrationsgeschichte. Denn Leidtragende dieses Vorgangs werden am Ende nicht allein Geflüchtete sein. Es geht hier auch um die Frage, ob Politik in Deutschland auf Grundlage von Fakten oder von Fantasien verhandelt wird. Und ob hierzulande bald US-amerikanische Verhältnisse herrschen.
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