Daniela Klette vor Gericht: Viel Bohei um Geldraub-Vorwürfe
Daniela Klette steht vor dem Oberlandesgericht Celle. Um die RAF sollte es in dem Verfahren eigentlich nicht gehen – und doch tut es das.

Schon das macht klar: Beim monatelang vorbereiteten und am Dienstag beginnenden Prozess gegen Daniela Klette im Staatsschutzsaal des Oberlandesgerichts Celle geht es um mehr als eine 66-jährige mutmaßliche Räuberin.
Formal angeklagt ist aber genau das, nicht mehr und nicht weniger: 13 bewaffnete Raubüberfälle auf Geldtransporter und die Kassenbüros von Supermärkten sowie Verstöße gegen das Waffengesetz. Ein zweites, getrenntes Verfahren wegen mutmaßlicher RAF-Mitgliedschaft ist bei der Bundesanwaltschaft noch in Vorbereitung. Doch ist diese Trennung zwischen einem unpolitischen Strafverfahren und einem Terrorismusprozess kaum durchzuhalten. Was Klettes Verteidiger später auch ins Zentrum ihrer Kritik stellen werden.
Erst mal wird allerdings die Hauptperson hereingeführt – ohne Handschellen und Fußfesseln, dafür in einen Kasten aus Sicherheitsglas, in dem sie mit ihren Verteidigern sitzen muss. Dass darin auch noch Justizwachtmeister sitzen, die alles mithören können, sorgt für den ersten Konflikt zwischen Verteidigung und Gericht. Der Vorsitzende Richter Lars Engelke bemüht sich, diesen schnell abzuräumen. Nach der Pause bleiben die Beamten draußen.
Klette umarmt ihre Verteidiger
Daniela Klette strahlt ihre Verteidiger an und umarmt sie, blickt dann aufmerksam in den Zuschauerraum, wo sich nicht nur etliche Journalisten, sondern auch Unterstützer tummeln – darunter Ariane Müller, die für die Organisation von Soli-Demos Ärger mit ihrem Arbeitgeber, einem Klinikum in Bremen, bekommen hat.
Klette wirkt noch mädchenhafter als auf den meisten Fotos, klein, zierlich, die Haare zu einem lässigen Knoten geschlungen. Die Fragen des Richters nach ihren Personalien beantwortet sie prompt und leise.

Dann verliest Staatsanwältin Annette Marquardt die Anklageschrift. Das meiste ist bekannt. Marquardt schildert Überfall für Überfall, so wie ihn die Ermittlungsbehörden glauben rekonstruieren zu können, wobei Klette meist das Fluchtauto gefahren haben soll. In drei Fällen soll sie sich auch bedrohlich mit einer Panzerfaust-Attrappe aufgebaut haben – meist um die Fahrer dazu zu bringen, die Geldtransporter zu entriegeln.
Drollige Details von Kaninchenstreu bis Abschiedsgruß
Sehr oft ist von „den gesondert Verfolgten“ die Rede, gemeint sind damit die immer noch flüchtigen Garweg und Staub, die wohl den gröberen Teil der Arbeit erledigten: in die Märkte gingen, in Kassenhäuschen eindrangen, Fahrer bedrängten. Man erfährt das ein oder andere drollige Detail: etwa, dass Staub und Garweg in Osnabrück zur Tarnung Kaninchenstreu in den Wagen legten oder sich in Leverkusen verabschiedeten mit den Worten „Vielen Dank, meine Damen, und auf Wiedersehen“. Immer wieder betont die Staatsanwaltschaft die Todesangst der betroffenen Kassiererinnen oder Fahrer, ihren Therapiebedarf, die posttraumatischen Belastungsstörungen. Vier Nebenklagevertreter sitzen ebenfalls im Gerichtssaal.
Am schwersten wiegt der Vorwurf beim Raubüberfall in Stuhr bei Bremen, wo einer der beiden Männer zunächst in den Reifen und dann in die Beifahrertür schoss, um den Fahrer dazu zu bringen, die Türen zur Ladefläche zu öffnen. Der konnte das aufgrund der automatischen Verriegelung gar nicht. Man musste ohne Beute abziehen. Es war der Überfall, bei dem alles schiefging. Auch der Brandsatz mit dem selbst gebastelten Zeitzünder am Fluchtauto funktionierte nicht. Die Ermittler fanden darin DNA-Spuren, die sie letztlich erst auf die Spur der „RAF-Rentner“ brachten, wie es bald spöttisch hieß.
Die große Frage wird sein, ob sich auch Daniela Klette diese Schüsse zurechnen lassen muss. Die Staatsanwaltschaft argumentiert hier mit der Struktur der Bande: Man habe sich gemeinsam zur Tat entschlossen und diese minutiös geplant, Klette habe außerdem gewusst, dass die Männer scharfe Schusswaffen tragen, habe also – genau wie diese – Verletzte und Tote in Kauf genommen.
In vergangenen Verfahren, in denen Angeklagten vorgeworfen wurde, sie seien RAF-Mitglieder, schwiegen diese oft, sodass ihre Beteiligung an Tathandlungen mehr angenommen wurde, als dass man sie wirklich nachweisen konnte. Im Fall von Klette, der bisher keine RAF-Mitgliedschaft nachgewiesen ist, sagen viele, sie habe nicht zur Kommandoebene gehört. Überhaupt ist über die Mitglieder der sogenannten dritten Generation und ihre Struktur wenig bekannt.
An den Haaren herbeigezogen
Die Verteidigung hält den Vorwurf des versuchten Mordes aber noch aus anderen Gründen für an den Haaren herbeigezogen: Dass sich der Vorfall in Stuhr überhaupt so abgespielt hat, wie von der Staatsanwaltschaft geschildert, ergebe sich nicht aus den Akten, sagt Verteidigerin Undine Weyers. Keinesfalls sei auf einen Menschen gezielt worden. Der Projektilsplitter in der Rückenlehne müsse auf andere Weise dorthin gekommen sein.
Und auch die Aussagen zur Struktur der Gruppe stimmten so nicht: Die Staatsanwaltschaft versuche hier Erkenntnisse aus anderen RAF-Generationen auf Klette, Staub und Garweg zu übertragen, um sie als wild um sich schießende Mörderbande erscheinen zu lassen. Dabei sind lediglich bei zwei der 13 Überfälle Schüsse gefallen. Auch bei ihrer Verhaftung habe Klette keine Anstalten gemacht, sich den Weg frei zu schießen, obwohl sie die Möglichkeit gehabt hätte.
Klette ihre Tatanteile nachzuweisen, wird ein langer Prozess. Über die Umstände ihrer Verhaftung soll gleich am ersten Tag der Beweisaufnahme einer der beteiligten Polizisten aussagen. Dann wird es auch darum gehen, ob sie wirklich sagte: „Ich bin die Daniela Klette von der RAF.“
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