Coronakranke auf Intensivstationen: Falsche Zahlen in der Kritik
Ein Papier wirft Intensivmedizinern Manipulation vor, die Zeitung „Welt“ greift es auf. Die Grundlage für die Vorwürfe ist jedoch fragwürdig.

„Die Angst vor knappen Intensivkapazitäten oder der Triage war unbegründet“, sagte Schrappe, der von 2007 bis 2011 stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrates Gesundheit der Bundesregierung, war, der Welt. Und: „Es gab in den Krankenhäusern offensichtlich die Tendenz, Patienten ohne Not auf die Intensivstation zu verlegen.“
Die Belege, die er dafür anführt, halten einer kritischen Überprüfung allerdings nicht stand. So behauptet er im Papier unter anderem, dass die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) eine „rückwirkende ‚Korrektur‘ der Intensivkapazitäten“ vorgenommen habe, was die Zahl der Intensivbetten ab März plötzlich um rund 3.000 geringer erscheinen ließ.
Tatsächlich hat die Divi in ihren Berichten ab diesem Zeitpunkt nur noch die Zahl der Intensivbetten für Erwachsene angegeben, weil auch die Corona-Intensivpatienten praktisch nur Erwachsene sind und die Kinderbetten für diese nicht genutzt werden können. Diese Veränderung wurde von der Divi transparent kommuniziert.
Empfohlener externer Inhalt
Zudem behauptet Schrappe, dass in Deutschland weitaus mehr Coronapatienten auf Intensivstationen liegen als in anderen Ländern. Rund 60 Prozent aller Coronapatienten, die im Krankenhaus behandelt werden, liegen dem Papier zufolge auf Intensiv. Diese Rechnung enthält aber gleich mehrere Fehler: Unter anderem arbeitet Schrappe dabei mit unvollständigen Daten und falschen Annahmen zur Liegedauer. Bei korrekter Rechnung ergibt sich ein Wert von rund 30 Prozent, der nicht sehr viel höher ist als in vergleichbaren anderen Ländern wie Belgien und der Schweiz.
Empfohlener externer Inhalt
Die Divi widersprach den Aussagen der Expertengruppe am Montag entschieden. Der Vorwurf, dass Patient*innen ohne Not auf Intensivstationen gelegt worden wären, sei „ein wirklicher Schlag ins Gesicht der Ärztinnen und Ärzte und der Pflegekräfte in den Krankenhäusern“, hieß es. „Pflegekräfte und Ärztinnen und Ärzte haben in den vergangenen Monaten unter höchster Belastung große Leistungen vollbracht und viele Leben gerettet.“ Auch das Gesundheitsministerium wies die Vorwürfe als „nicht belegt“ zurück.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Bundesregierung und Trump
Transatlantische Freundschaft ade
ifo-Studie zu Kriminalitätsfaktoren
Migration allein macht niemanden kriminell