„Compact“-Urteil: Die Unberechenbarkeit von Verboten
Hätten die Leipziger Richter gewollt, wäre Compact verboten geblieben – demokratische Richter tun sich schwer mit einer solchen Entscheidung.

Sie konnten uns nicht verbieten, also können sie auch die AfD nicht verbieten.“ Diesen Schluss zog Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer, nachdem das Bundesverwaltungsgericht das Verbot seines rechtsextremistischen Magazins an diesem Dienstag aufgehoben hatte. Juristisch ist Elsässers Schluss zwar keineswegs zwingend, im Ergebnis dürfte er aber recht behalten. Denn es wird in absehbarer Zeit nicht einmal einen Verbotsantrag geben.
Das Bundesverwaltungsgericht stellte Compact keinesfalls einen Freibrief aus. Die Richter:innen hielten insbesondere die völkische Rhetorik des Magazins für durchaus verbotswürdig, aber eben nicht für prägend genug. Ein Verbot wäre daher unverhältnismäßig, so das Bundesverwaltungsgericht.
Auf ein AfD-Verbot ist das nicht eins zu eins übertragbar. Zum einen gilt bei einem Parteiverbot das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht. Damit könnte die AfD also gar nicht argumentieren. Zum anderen würden andere Richter:innen über einen AfD-Verbotsantrag entscheiden. Zuständig wäre das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe und nicht das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.
Das Leipziger Urteil zeigt aber die ganze Unberechenbarkeit von Oppositionsverboten im Rechtsstaat. Das im Grundgesetz angelegte Prinzip der wehrhaften Demokratie ermöglicht zwar vieles. Wenn die Leipziger Richter:innen gewollt hätten, wäre Compact verboten geblieben. Und wenn die Karlsruher Richter:innen wollen, könnten sie die AfD verbieten. Aber demokratische Richter:innen tun sich verständlicherweise schwer mit dem Gedanken, dass die demokratisch gewählte Mehrheit einfach die demokratisch gewählte Minderheit verbieten kann. Die Wahrscheinlichkeit ist deshalb hoch, dass Gerichte Gründe finden, solche Verbote zu vermeiden, da sie der Demokratie vermutlich mehr schaden als nutzen.

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Jedenfalls politisch dürfte ein Antrag auf ein AfD-Verbot nun tot sein. Die Gegner:innen in CDU/CSU werden das Exempel aus Leipzig wohl dankbar aufnehmen und sich einem Verbotsantrag noch entschlossener verweigern.
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