Gans
oder gar nicht

Die Grünen wollen, dass auch für Lebensmittel ein vom Treibhausgas-Ausstoß abhängiger Zuschlag erhoben wird. Eine Kehrtwende, nachdem die Partei Ernährungsthemen infolge der Veggieday-Pleite gemieden hatte

Könnte nach dem letzten Bundesparteitagsbeschluss der Grünen eine teure Angelegenheit werden: der Gänsebraten Foto: Martin Parr/Magnum Photos/Agentur Focus

Von Jost Maurin

Die Grünen wollen Fleisch und andere tierische Lebensmittel durch einen Aufpreis für Treibhausgase verteuern. „Zu den Sektoren, die bislang nicht durch den europäischen Emissionshandel erfasst werden, gehört auch die Landwirtschaft. Wir führen die Bepreisung von Klimagasen daher auch für landwirtschaftliche Produkte ein, angefangen mit tierischen Lebensmitteln“, heißt es in einem bisher von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkten Beschluss der Bundesdelegiertenkonferenz von Mitte November. „Auch die Landwirtschaft muss ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Deshalb sollte sie auch in die Bepreisung von Klimagasen miteinbezogen werden“, sagte Ko-Parteichef Robert Habeck nun der taz.

Möglich wäre nach dem Wortlaut des Beschlusses, dass für den Ausstoß von Treibhausgas entweder Zertifikate gekauft oder eine Steuer gezahlt werden. Ein höherer Preis für besonders treibhausgasintensive Produkte soll den Konsum reduzieren und so das Klima entlasten.

Die Agrarbranche verursacht nach Zahlen des Umweltbundesamts direkt 7 Prozent der deutschen Treibhausgase. Inklusive der durch die Landwirtschaft bedingten Emissionen etwa in der Landnutzung, Kunstdünger- und Pestizidproduktion sind es dem bundeseigenen Thünen-Agrarforschungsinstitut zufolge rund 14 Prozent. Für ein Kilogramm Rindfleisch wird laut Beratern des Landwirtschaftsministeriums 23-mal so viel ausgestoßen wie für die gleiche Menge Gemüse.

Deshalb beschlossen die Grünen bei ihrem Bundesparteitag in Bielefeld, nicht nur die Klimagas-Emissionen aus Verkehr und Wärme zu bepreisen, sondern auch die aus der Landwirtschaft. „Der Beschluss kann als eine Kehrtwende gelten, nachdem das Thema Konsum von Tierprodukten nach der Veggieday-Kampagne der Springerpresse 2013 jahrelang in der Partei gemieden wurde“, sagte der taz Philipp Bruck, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Tierschutzpolitik der Grünen und Abgeordneter im Bremer Landesparlament, der die Entscheidung initiiert hatte. 2014 hatte die Partei sogar die Aussage beschlossen, es sei ihr „herzlich egal“, ob „jemand am Donnerstag Fleisch isst oder nicht“. „Heute sind Partei und Gesellschaft weiter, eine Steuer oder Abgabe auf Fleisch und Milch löst keine Panik mehr aus“, so Bruck.

Seit 2016 der wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik im Landwirtschaftsministerium den Vorschlag präsentierte, wird über eine Fleischsteuer in Deutschland diskutiert, bislang jedoch in Form einer Mehrwertsteuererhöhung. Die Motive dafür sind unterschiedlich. Den einen geht es mehr um Tierschutz, anderen um den Gülleeintrag in den Boden. Inzwischen überwiegen Klimaschutzüberlegungen. Bei einer Mehrwertsteuererhöhung von heute 7 auf 19 Prozent würde der Verbraucher für 500 Gramm Hackfleisch – die beim Discounter zurzeit 2,49 Euro kosten – 28 Cent mehr bezahlen.

Kritik an der Mehrwert­steueridee üben auch Umweltschützer. Die Abgabe würde etwa nicht auf Fleisch fällig, das exportiert wird. Das ist rund die Hälfte des in Deutschland erzeugten Fleisches. Überdies hat die Mehrwertsteuer keine Zweckbindung, dafür müsste ein eigenes Gesetz geschaffen werden. Biofleisch würde außer

dem überproportional teurer. Allerdings: Dieses Fleisch würde auch von einer CO2-Steuer nicht verschont bleiben. Die Klimabilanz der biologischen Landwirtschaft ist kaum besser als die der konventionellen. (kab)

Bereits im August hatte Friedrich Ostendorff, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, dafür plädiert, die Mehrwertsteuer auf Fleisch zu erhöhen. Damit konnte sich der Abgeordnete in der Partei aber nicht durchsetzen. Wie stark sich etwa Fleisch durch den Klimaaufschlag verteuern soll, lassen die Grünen offen. In ihrem Parteitagsbeschluss erwähnen sie aber, dass der Ausstoß von einer Tonne Kohlendioxid laut Umweltbundesamt Schäden in Höhe von 180 Euro verursache. Wenn der geplante Aufpreis genauso hoch wäre, würden auf die rund 5 Kilogramm CO2-Äquivalente für ein 250-Gramm-Stück Butter 89 Cent fällig. Derzeit kostet die Verbraucher ein Butterstück zum Beispiel 1,40 Euro. Sein Preis stiege also um 64 Prozent auf rund 2,30 Euro. Auf 250 Gramm Schweinefleisch, das etwa 2 Kilogramm Treibhausgas verursacht, würden 36 Cent erhoben.

Aus politischen Gründen könnte aber auch ein weit niedriger Klimagas-Preis festgelegt werden. Für die Emissionen im Bereich Verkehr und Wärme schlagen die Grünen vor, mit 40 Euro pro Tonne einzusteigen, um den Preis dann jedes Jahr um 20 Euro zu erhöhen. Für Lebensmittel hat eine Studie des Thünen-Instituts mit 60 US-Dollar (derzeit etwa 55 Euro) gerechnet. Damit kamen die Forscher auf eine Reduktion des privaten Konsums von Rindfleisch und Milcherzeugnissen in Deutschland um jeweils 5 Prozent. Die durch die Landwirtschaft bedingten Emissionen würden demnach um 3,5 Prozent sinken.

Offen lassen die Grünen auch, was mit den Einnahmen passieren soll. In ihren schon konkreteren Plänen für eine Klimakomponente bei Energiesteuern auf Verkehr und Wärme sieht die Partei als sozialen Ausgleich ein Energiegeld für alle Einwohner vor. Das wäre auch bei dem Klimaaufschlag für tierische Lebensmittel denkbar. Möglich wäre ebenso, mit dem Geld Umwelt- und Tierschutz in der Landwirtschaft zu unterstützen. Ko-Parteichef Habeck tendiert dazu, vor allem die Landwirte zu bedenken. Das System Klimagas-Bepreisung müsse „mit einer Reform der gemeinsamen Agrarpolitik der EU und einem Umbauprogramm für Tierhaltung einhergehen“, sagte er der taz. Im Parteitagsbeschluss ist dieses Junktim aber nicht enthalten.

Im Bundestag stehen die Grünen mit ihrer Forderung nach einem Klimaaufpreis auf Agrarprodukte weitgehend allein. „Bei 17 Millionen Hektar Nutzfläche und Millionen Nutztieren sind die Methan- und Lachgasemissionen nicht exakt mess- und damit qualifizierbar“, teilte Gitta Connemann, Vize-Fraktionsvorsitzende von CDU/CSU, der taz mit. Deshalb rate der Sachverständigenrat für Wirtschaftsfragen vom Emissionshandel für die Landwirtschaft ab. Man müsse auch erst mal klären, welchen Wert die Bindung von Klimagasen durch Land- und Forstwirtschaft habe. „Wald, Grünland und Co binden klimawirksam CO2. Beim Klimaschutz hilft auch die Bioenergie“, so die Abgeordnete. Mais oder andere Pflanzen für die Energiegewinnung anzubauen ist den wissenschaftlichen Beiräten für Agrar- und Waldpolitik beim Bundeslandwirtschaftsministerium zufolge aber “keine sinnvolle Klimaschutzmaßnahme“, unter anderem, weil die Kosten im Vergleich zu anderen Maßnahmen zu hoch sind.

„Eine Steuer oder Abgabe auf Fleisch und Milch löst keine Panik aus“

Philipp Bruck, Die Grünen

„Das Abstellen der Grünen auf die Treibhausgase in der Tierhaltung greift viel zu kurz“, sagt Matthias Miersch, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Für die SPD habe vielmehr die Umstellung der Mittel aus dem Agrarfördersystem der EU oberste Priorität.

„Wie die Grünen mit einer Treibhausgassteuer auf Fleischprodukte das ‚Klima‘ retten wollen, bleibt deren Geheimnis“, kritisierte der agrarpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Stephan Protschka, ohne diese Behauptung zu begründen. Linken-Parteichef Bernd Riexinger schrieb der taz: „Den Vorschlag der Grünen, einen bereits gescheiterten EU-Emissionshandel nun auch auf landwirtschaftliche Produkte anzuwenden und über mögliche Steuern diejenigen zahlen zu lassen, die am wenigsten für den Klimawandel können, halten wir für den falschen Weg.“

Der agrarpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Gero Hocker, erklärte: „Die Fleisch­erzeugung einseitig mit einem Klimaaufschlag zu versehen und Verbraucher zusätzlich zu belasten, ohne über die Wirksamkeit im Klaren zu sein, lehne ich entschieden ab.“ Statt zusätzliche Steuern und Abgaben zu fordern, solle man über eine Ausweitung des Emissionshandels der EU diskutieren, „die nicht nur Emissionen, sondern auch die Bindungsleistung der Landwirtschaft berücksichtigt“.