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CDU-Minister will Grundgesetz ändernDie Lehren aus der Schoah

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen will das individuelle Recht auf Asyl aus dem Grundgesetz streichen. Das würde an den Fakten wenig ändern.

„Asylrecht verteidigen“: Protestaktion in Berlin am 17.09.2024. Das individuelle Recht auf Asyl will die CDU in Brandenburg abschaffen Foto: Florian Boillot

E s wurde mal wieder Zeit, die letzten Vorschläge zur Asylrechtsverschärfung sind wirklich schon lange her. Diesmal war es Michael Stübgen, CDU-Innenminister von Brandenburg. Dort wird am Sonntag gewählt, für die AfD sieht es gut aus. Stübgen schlug jetzt vor, das individuelle Recht auf Asyl aus dem Grundgesetz zu streichen. Dann könnte Deutschland, so Stübgen, statt einzelne Asylanträge zu prüfen, Kontingente einführen: eine feste Zahl an Aufnahmeplätzen für ausgewählte Flüchtlinge pro Jahr. Ähnliches hatte schon der CDU-Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei angeregt. Jens Spahn und Friedrich Merz zeigten sich zustimmend, zuletzt äußerte sich auch Markus Söder (CSU) in dieser Richtung.

Dabei ist das individuelle Asylrecht eine Lehre aus der Schoah. Es soll garantieren, dass Ankommende nicht zurückgewiesen werden, sie einen Anspruch darauf haben, dass ihr Schutzgesuch geprüft wird. Um das Grundrecht durch Kontingente zu ersetzen, müsste Deutschland aus internationalen Verträgen austreten. Auch das EU-Recht verpflichtet Deutschland, das Gebot der Nichtzurückweisung einzuhalten.

Frei hatte seinerzeit eine Kontingentgröße von 500.000 pro Jahr EU-weit ins Spiel gebracht. Das ist ein Märchen. Es wird keine großen Kontingente geben. Alle Erfahrungen mit freiwilliger Aufnahme haben gezeigt: Wer darauf angewiesen ist, kann lange warten. Die bereitgestellten Kontingente waren stets winzig, die Wartezeiten enorm. Die allermeisten, die es überhaupt auf Wartelisten schafften, mussten am Ende bleiben, wo sie waren. Rechtsextreme Regierungen könnten die Kontingente zudem einfach abschaffen.

Ein Elendsproduktionsprogramm

Aber: Auch nach dem Wechsel auf ein Kontingentmodell würden Menschen trotzdem weiterhin kommen. Man müsste sie entweder an den Grenzen abweisen, was zur Folge hätte, dass die Nachbarstaaten ihrerseits immer gewaltsamer vorgehen. Oder man lässt sie herein, gibt aber auch Verfolgten, die man nicht abschieben kann, keinerlei Versorgung, um keine Anreize zu schaffen – ein Elendsproduktionsprogramm.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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