Bundestag beschließt „Veteranentag“: Werbung für die „Kriegstüchtigkeit“
Eine ganz große Koalition feiert die Deutschen mit Soldatenhintergrund. Das ist geschichtsvergessen. Außerdem sind die wahren Helden ganz andere.
W as ist das nur für ein geschichtsvergessenes Schauspiel, das sich da am Donnerstagvormittag in Berlin abgespielt hat? In der einstigen Hauptstadt erst des preußischen und dann des nationalsozialistischen Militarismus beschließt der Bundestag mit übergroßer Mehrheit die Einführung eines „nationalen Veteranentages“. Von nun an soll jährlich am 15. Juni wieder das deutsche Soldatentum gefeiert werden. Nur die kleine Gruppe der Linken stimmte dagegen. Warum haben sich SPD, CDU, CSU, FDP und die einstmals pazifistischen Grünen eigentlich nicht den 30. August ausgesucht, den Tag des Sieges in der Schlacht bei Tannenberg? Das wäre wenigstens konsequent gewesen auf ihrem Weg, Deutschland wieder „kriegstüchtig“ zu machen. Nicht einmal, dass die AfD stramm an ihrer Seite steht, scheint sie zu irritieren.
Auf nichts Vernünftiges kann sich die rot-grün-gelbe Selbstblockadekoalition mehr einigen. Aber wenn es um die Verherrlichung des deutschen Militärs geht, dann marschieren sie geschlossen, mit der rechts von ihr platzierten Parlamentsopposition an ihrer Seite. Dabei ist es schlicht verlogen, wenn in dem jetzt beschlossenen Antrag heroisch von „gefährlichen Bedingungen, persönlichen Entbehrungen sowie körperlichen und seelischen Härten“ schwadroniert wird, denen die 10 Millionen zu „Veteranen“ erklärten Deutschen mit Soldatenhintergrund allesamt ausgesetzt gewesen wären.
Real in Auslandseinsätzen, zum Beispiel und vor allem in Afghanistan, waren bislang „nur“ etwa 500.000 Berufs- oder Zeitsoldaten. Sie haben tatsächlich ihre Gesundheit und ihr Leben riskiert. Und, auch das sollte nicht vergessen werden: so manches Leben genommen. Für sie bräuchte es keinen „Veteranentag“, sondern eine Entschuldigung des Bundestags, in einen solch desaströsen Krieg wie den am Hindukusch überhaupt geschickt worden zu sein. Was die nicht wenigen Versehrten unter ihnen ebenso verlangen können: eine weitaus bessere Behandlung ihrer erlittenen physischen und vor allem psychischen Verletzungen. Aber damit lässt sich nicht so gut Werbung für die Bundeswehr machen.
Bei dem großen Rest der „Veteranen“ handelt es sich um jene Männer, die von der Einführung der Wehrpflicht 1956 bis zu ihrer Aussetzung 2011 zwangsrekrutiert wurden. Am Anfang 12 Monate, zeitweise 15 bis 18 Monate, zum Schluss nur noch 6 Monate waren sie vor allem der Gefahr ausgesetzt, in der Kaserne eine Alkoholvergiftung zu erleiden. Die wahren Helden der damaligen Zeit waren die Kriegsdienstverweigerer, die sich als „Drückeberger“ beschimpfen lassen mussten, während sie als Zivildienstleistende hilfsbedürftigen Menschen den Hintern abwischten. Aber für sie wird es auch weiterhin weder einen „Veteranentag“ noch das seit 2019 verliehene „Veteranenabzeichen“ geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland