Blasphemiegesetz in Dänemark: Kein Gott vorm Staat
Um Koranverbrennungen zu stoppen, wollen die dänischen Sozialdemokraten Gotteslästerung wieder unter Strafe stellen. Das ist ein Rückschritt.
G esellschaftlicher Fortschritt ist kein Automatismus. Das zeigt sich dieser Tage wieder einmal in Dänemark. Die dortige sozialdemokratische Regierung will Gotteslästerung erneut unter Strafe stellen, um eine neuerliche Welle von Koranverbrennungen zu brechen. Sie möchte gerne zurück ins Jahr 1683 – als sich das Königreich seinen ersten Blasphemieparagrafen gab. Lang ist’s her: Im selben Jahr endete auch die zweite Belagerung Wiens durch die osmanische Armee.
In den letzten Monaten hatte unter anderem der rechte Politiker Rasmus Paludan mehrere Korane verbrannt, was zu teils gewaltsamen Gegenprotesten führte. Die „unangemessene Behandlung von Objekten, die für eine Religionsgemeinschaft eine wichtige religiöse Bedeutung haben“, soll in Dänemark deswegen mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft werden. Die französische Satirezeitung Charlie Hebdo, der bekanntlich nichts und niemand heilig ist, tat sich diese Woche mit 17 skandinavischen Blättern zusammen, um gegen das Gesetz und für die Meinungsfreiheit zu protestieren.
In der Tat hatte das dänische Parlament den alten Gotteslästerungsparagrafen erst 2017 abgeschafft. Den Anstoß gab damals kurioserweise eine Anklage nach einer Koranverbrennung. Daraufhin forderte die linke „Einheitsliste“, den Paragrafen 140 zu streichen; die Mitte-rechten Sozis hingegen verteidigten damals wie heute diesen vormodernen Straftatbestand, um des „öffentlichen Friedens“ willen.
Vulgär und subversiv
Ein Akt, der die Meinungsfreiheit beschneidet, der aber auch unter Linken Sympathien findet, könnte ein solches Gesetz doch eine religiöse Minderheit vor den Provokationen rechter Fanatiker schützen. Doch obwohl die Verbrennung heiliger Schriften oft vulgär ist, wohnt dem Bildersturm – der Zerstörung religiöser Ikonen – auch ein subversives Potenzial inne: Erst Anfang August schredderte die feministische dänisch-iranische Künstlerin Firoozeh Bazrafkan einen Koran vor der iranischen Botschaft in Kopenhagen und trug dabei ein „Woman Life Freedom“-Shirt – ein Akt des Widerstands gegen die Ajatollahs in Teheran.
Da wäre auch die Fotografin Sooreh Hera, ebenfalls Iranerin: Ihr Bild „Adam & Ewald“ von 2007 zeigt zwei schwule Männer mit Masken des Propheten Mohammed und seines Schwiegersohns Ali. Das Gemeentemuseum in Den Haag zensierte das Bild damals, vorgeblich, um die „religiösen Gefühle“ von Muslimen nicht zu verletzen – aber wohl eher aus Angst vor Terroranschlägen.
Unter dem vorgeschlagenen Paragrafen müssten der Protest und Kunst von Bazrafkan und Hera ebenfalls verfolgt werden. Denn das Gesetz kann nicht zwischen „guter“ und „schlechter“ Gotteslästerung unterscheiden. Auch wenn Kunst- und Meinungsfreiheit weiter im Gesetz bestehen bleiben, müssten die Rechtsgüter dann immer mit dem Blasphemieparagrafen abgewogen werden.
Die Rechte migrantischer Künstlerinnen stehen hier also ebenso auf dem Spiel – und gar die von Muslimen selbst. Denn es sind Minderheiten, die in der Mehrheitsgesellschaft am meisten von einer breiten Religions- und Meinungsfreiheit profitieren. Der Staat verteidigt diese Freiheiten also entweder für alle – oder schafft sie für alle ab.
Das Blasphemiegesetz fügt sich in ein größeres Bild der dänischen Politik ein. In das Bild einer Regierung, die es mit einigen fundamentalen Menschenrechten nicht mehr so genau nimmt. Seit Jahren schotten sich die Dänen gegen Einwanderer*innen ab; 2019 gab die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen die Losung aus, „keine Asylsuchenden“ mehr aufnehmen zu wollen. Vergangenes Jahr begann ihre Regierung dann gar, Geflüchteten aus Syrien die bereits erteilte Aufenthaltserlaubnis zu entziehen. Sie können seitdem in ein Land abgeschoben werden, in dem nach wie vor die faschistische Assad-Familie herrscht.
Dieselbe dänische Regierung, die künftig religionskritischen Protest verbieten will, möchte also auch Syrer*innen aus ihren Wohnungen zerren und sie ins Flugzeug Richtung Damaskus setzen. Klingt das nach einem Staat, der sich wahrhaft um das Wohlergehen von Minderheiten sorgt?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Krieg in Nahost
Israels Dilemma nach Assads Sturz
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit
Missbrauch in der Antifa
„Wie alt warst du, als er dich angefasst hat?“
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima