Bekenntnisse zum Nahost-Krieg: Deutschland, schalt dich ab!

Viele verspüren Druck, sich zu Israel oder Palästina zu bekennen. Doch die Angst, falsch verortet zu werden, ist oft größer als die Sorge um das Leid Betroffener.

Frau hält ein Hadny vors Gesicht , trägt einen grünes Palästinensertuchs

Propalästinensische Demonstrantin in Hamburg am 13. Oktober Foto: Jonas Walzberg/dpa

Jeder Hans und Franz schreibt seit dem 7. Oktober das Internet voll mit leeren Floskeln. Ob Scholz’ Staatsräson-Gesabbel, Nullaussagen neoliberaler NGOs, Politgruppen-Posts „gegen jeden Antisemitismus und Rassismus“ oder andere Deutsche, die alles richtig machen wollen. Das mag euch jetzt aufregen, aber ihr habt eins gemeinsam: Eure Statements scheinen nicht allein motiviert durch Entsetzen, Mitleid und Trauer über das antisemitische Massaker der Hamas oder die zivilen Opfer des daraus resultierenden Kriegs.

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Daraus schreit auch eine erbärmliche Angst: Angst, etwas Falsches zu sagen. Angst, wenn man nichts sagt, das Schweigen später vorgeworfen zu bekommen. Überall Ächzen und Stöhnen, nach dem Motto: „Scheiße, irgendwas müssen wir dazu machen, aber was schreiben wir nur, ohne dass sich eine Seite beschwert?“

Angesichts des fast genervten Untertons, den ich da heraushöre, muss ich an den Satz des jüdischen Psychoanalytikers Zvi Rix denken: „Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen.“ Die Angst vor Fettnäpfchen, Vorwürfen oder Konflikten besorgt viele Unbetroffene mehr als das Leid der Betroffenen. Das ist nicht nur selbstbezogen. Es ist ekelhaft.

Warum schreibt ein Modelabel oder eine Klimaforscherin auf Instagram über „Israel und Palästina“? Es verlangt doch auch niemand von seiner Klempnerin, dass sie sich dazu äußert, bevor sie die Klospülung reparieren darf. Das lässt sich genauso anwenden auf die Ärztin, den Friseur und so weiter. Wieso verspüren wir Kultur-, Politik- und Zivilgesellschafts-Heinis ein so unbändiges Bedürfnis, uns zu bekennen?! Weil wir uns für wichtiger halten? Oft haben wir weder Ahnung noch stabile Positionen, ganz zu schweigen von guten Ideen, sondern vor allem: ein anderes Selbstbild. Hinzu kommen dürfte die Schlandweite Sehnsucht nach der „Wiedergutwerdung“, wie sie etwa der Autor Max Czollek vor einigen Jahren in seiner Polemik „Desintegriert Euch“ erläutert hat, zu deren Lektüre ich aktuell einigen rate.

Unbewusst soziales Kapital absichern

Aber es geht nicht nur ums Selbstbild, sondern, sicher oft unbewusst, auch darum, soziales Kapital abzusichern. Was gibt es da für eine bessere Investition als einen Insta-Post? #Juden #Gaza #Trauer. Die Nachfrage nach Bekenntnissen scheint mir allerdings deutlich niedriger als das Angebot. Ökonomisch gesprochen entsteht ein Netto-Verlust von Zeit, die für nachhaltigere Investitionen auf dem Polit-Markt fehlt.

Meine Mutter hat mir beigebracht: „Wenn man nichts Gutes zu sagen hat, sollte man lieber schweigen.“ Klar, über Belastendes muss man sich austauschen. Bitte tut das; in der Kneipe. Nur verschont die Öffentlichkeit damit. Zur Meinungsfreiheit gehört nämlich auch, dass euch niemand zwingt, Nonsens zu verbreiten. Allen, die unter akutem Bekenntnisdruck leiden, empfehle ich erst einmal zuzuhören. Zum Beispiel beim Podcast „Trauer und Turnschuh“. Hadija Haruna-Oelker formuliert darin die nützliche Leitfrage: „Wo ist meine Expertise und kann ich einen Beitrag leisten, der einen Mehrwert hat?“

Klar, Social Media befeuert die Positioniererei, aber das Medium allein ist nicht das Problem. Deutsche Feuilletons oder Kritzeleien in Kneipentoiletten offenbaren oft genauso große geistige Leere. Selbst autonome Antifa-Gruppen – für deren Arbeit die Welt dankbar sein muss – äußern sich oft fragwürdig, weil sie uneins sind, wie sie zum Existenzrecht Israels stehen. Ganz ehrlich, Leute: Wer die Eier(stöcke) hat, Nazis zu verprügeln, sollte nicht zu feige sein, sich mal mit dem Nahostkonflikt zu befassen.

Mich stören aber nicht nur dumme und banale Stimmen, sondern auch, dass die interessanten zögerlich oder stumm bleiben: Eine Freundin, die weder von Antisemitismus noch von Rassismus betroffen, aber Expertin für internationale Politik ist und in einem Kriegsland lebt, klagt seit dem 7. Oktober über ein Gefühl von Sprachlosigkeit. Vor ein paar Tagen hat sie dann Worte und Belege für eine spannende These gefunden. Nur, wie so häufig gerade bei Frauen, fürchtete sie, nicht qualifiziert genug zu sein, um diese zu veröffentlichen. Auch dass sie „nicht betroffen“ sei, trieb sie um. So weit hat Identitätspolitik uns also schon gebracht, habe ich geschimpft, und obwohl ich selbst nicht frei von Angst vor Angriffen bin, habe ich sie ermuntert: Schreib den Beitrag! Er wurde ein Erfolg.

Wie wäre es mit Aktionen statt Bekenntnissen?

Versteht mich nicht falsch: Ich will nicht in einer Expertokratie leben, in der man erst ab der Dissertation mitreden darf, aber ein Diskurs mündiger Menschen setzt eben nicht nur voraus, dass sie sprechen dürfen, sondern auch, dass sie etwas zu sagen haben. Die Wahrscheinlichkeit erhöht sich, wenn man vorher mal nachdenkt oder ein Buch liest – je nachdem, zu welchem Lager ihr euch zählt – über antimuslimischen Rassismus oder israelbezogenen Antisemitismus, Hauptsache, von der „anderen Seite“.

Und obwohl es durchaus wertvolle Beiträge gibt, nervt mich auch die Versteifung auf den Diskurs an sich. Gingen Bekennerschreiben früher nicht mal Aktionen voraus? Ja, Terror und Krieg lähmen. Und niemand kann zaubern. Das Dilemma „Nie wieder Krieg“ oder „Nie wieder Auschwitz“ ist für viele real. Aber würde all die Energie statt in bedeutungslose Statements ins Lesen, Denken, Handeln fließen, wären zumindest kleine Verbesserungen möglich. Für Betroffene da sein, Nazis besuchen, whatever. Warum besetzen Linke nicht weltweit ägyptische Botschaften, bis der Grenzübergang in Rafah geöffnet wird, damit Zi­vi­lis­t*in­nen aus Gaza flüchten können?

Das ist nur ein spontanes Beispiel, an dem bestimmt gleich wieder herumgemäkelt wird. Aber in diese Richtung geht, was mich aus linker Sicht interessiert, nämlich die strategische Frage: Wie kann Druck von unten aufgebaut werden, um das Leid der Menschen zu verringern?

Damit darüber nachgedacht und dann wirksam gehandelt werden kann, wünsche ich mir, nicht erst an Weihnachten, ein paar stille Nächte. Deutschland, schalt dich mal ab! Keine leichte Aufgabe für all die Getriebenen, Moralapostel und Alphamännchen, denn: Wer still ist, wird auf seine eigenen Gedanken und Gefühle zurückgeworfen – für viele sicher hart. Mein Beileid! Vielleicht mache ich euch ja mal eine Instagram-Kachel.

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Lotte Laloire ist Mitte 30 und immer noch links. Sie arbeitet seit 10 Jahren als Journalistin - für Medien wie taz, nd (Neues Deutschland), Tagesspiegel, Frankfurter Rundschau, Jungle World, Brigitte oder Deutschlandfunk.

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