Baerbocks Feminismus: Bloß nicht aussprechen
Wie viel Feminismus steckt in der grünen Kanzlerkandidatin? Weniger als man erwarten würde. Das Wort nimmt sie nur ungern in den Mund.
K eine Geringere als Carola Rackete, die berühmt gewordene Seawatch-Kapitänin, sieht Deutschland kurz vor der feministischen Machtübernahme. „Das Ende des Patriarchats kommt immer näher“, twitterte sie kürzlich beschwingt. „Das wissen scheinbar insbesondere auch die Männer, die sich jetzt immer wieder an @ABaerbock abarbeiten.“ Allein ist die politische Aktivistin mit ihrer Sicht auf die grüne Kanzlerinnenkandidatin nicht. Viele aus ihrem Milieu, aber durchaus auch weit darüber hinaus, teilen ihre Freude und ihre hohen Erwartungen.
Anlass genug, sich einmal genauer anzuschauen, wie viel Feminismus tatsächlich in Annalena Baerbock steckt – zumal Ricarda Lang, stellvertretende Parteivorsitzende, nicht müde wird einzufordern, dass doch bitte endlich mal wieder über Sachthemen statt über Lebensläufe und Nebeneinkünfte diskutiert werden soll.
Fangen wir also mit Baerbocks Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ an, das diese Woche ganz frisch in den Buchläden eintrifft. Es ist eine Skizze dessen, was ihr aus dem Parteiprogramm besonders wichtig ist, garniert mit persönlichen Geschichten und Erlebnissen. Interessant: Das Wort Feminismus kommt im gesamten Buch genau ein einziges Mal vor. Und an dieser Stelle ist es eine Mahnung: Moderner Feminismus sehe den Kampf für die Rechte der Frauen immer auch im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Diskriminierung anderer Gruppen.
Die Botschaft lautet also, dass der moderne Feminismus auch in Gestalt von Engagement für Geflüchtete oder im Kampf gegen Benachteiligung daherkommen kann. Für Baerbock ist diese Sichtweise sehr praktisch, denn sie passt zu ihren bisherigen politischen Aktivitäten. Etwas ausdrücklich Feministisches ist bisher nicht dabei gewesen. Ihr Einsatz für einen Wickelraum im Bundestag und Mutterschutz von Abgeordneten waren eher ihrem eigenen Interesse als junge Mutter geschuldet als dem Feminismus. An der Schwerpunktsetzung in ihrem Buch ist abzulesen, dass ihr vor allem die Klimakrise, Generationengerechtigkeit und Familienpolitik wichtig sind. Doch Familienpolitik, auch wenn Frauen davon profitieren können, ist noch keine feministische Politik.
Kein Wort zu feministischer Außenpolitik
So wie Baerbock in ihrem Buch das Wort Feminismus meidet wie die CSU den Namen Laschet, so ist es auch in ihren Reden und TV-Auftritten. Bei ihrer Nominierung begründet sie beispielsweise ihre Kandidatur damit, dass die Entscheidung für sie statt Robert Habeck auch mit „Emanzipation“ zu tun habe – ein verdruckster Begriff, der schon so lange aus der Mode ist, dass er höchstens der Generation von Alice Schwarzer noch geläufig ist. Auch bei anderen Ansprachen, etwa ihrer Rede auf dem grünen Parteitag vergangene Woche, ist geradezu auffällig, wie der Begriff gemieden wird. Vielleicht, weil sie es als nicht hilfreich im Kampf um die Wähler*innen der Mitte ansieht. Für naheliegender scheint jedoch, dass Baerbock das Thema einfach nicht sonderlich interessiert.
Bis auf die Frauenquote, von der sie auch selbst profitiert. Sie hat schon häufiger beklagt, dass etwa im Bundestag der Frauenanteil bei nur 31 Prozent liegt. Baerbock bemängelt, wenn bei einer Podiumsdiskussion zu viele Männer hintereinander das Wort ergreifen. Sie hat bei ihrer Buchvorstellung auch erstmals Bundeskanzlerin Angela Merkel gewürdigt, die als Erste in diesem Amt anderen Frauen wie ihr den Weg bereitet hätten. Doch wie genau der politische Rahmen aussehen soll, um eine Quote in Politik und Wirtschaft zu erreichen, dazu hört man von ihr wenig.
Parität ist zudem zwar ein wichtiger Bestandteil feministischer Politik, aber eben nur ein Bestandteil. Frauen an der Macht führen nicht automatisch zu einer antipatriarchalen Politik, wie Merkel und Margret Thatcher eindrücklich bewiesen haben. Genauso wenig hat die Quote, etwa bei der SPD, dazu geführt, dass Frauen in der Partei mehr zu sagen haben. Es bilden sich dann oft informelle männlich dominierte Hierarchien, die genauso gut funktionieren wie formelle. Auch die Grünen haben trotz Quote sehr lange nur männliche Stars hervorgebracht. Von daher kann auch eine Frau an der Macht keinen Fortschritt bei der „Emanzipation“ bringen. Umgekehrt könnten auch Männer eine feministische Politik machen.
Dazu gehören aber starke feministische Positionen und teils auch radikale Veränderungen, etwa beim Thema Schwangerschaftsabbruch, Gewalt gegen Frauen, Femizide, Arbeitszeiten und auch bei den Asylgründen. Noch immer ist es beispielsweise schwer bis unmöglich, bei drohender Genitalverstümmlung, Zwangsehe oder auch ungleichen Bildungschancen – etwa in Afghanistan – einen Asylanspruch geltend zu machen. Man könnte auch die Besteuerung radikal verändern, so dass Unternehmen es sich dreimal überlegen, wen sie einstellen und wen sie befördern.
Von alledem ist im Konkreten von Baerbock wenig zu hören und zu lesen. Und bei ihren Kernthemen ist es auch nicht anders. Sie hat sich auf eine „Klimaaußenpolitik“ festgelegt, allerdings nicht auf eine feministische Außenpolitik, obwohl für ein solches Konzept bereits Beispiele existieren. Schweden ist hier Vorreiter. Die grüne Kandidatin könnte sich zum Beispiel hörbar und öffentlich darauf festlegen, dass in Ländern, wo Frauenrechte nicht gelten, grundsätzlich eine Frau Botschafterin wird. Doch in den diversen außenpolitischen Auftritten Baerbocks, etwa bei der Bundesakademie für Sicherheitspolitik oder dem Atlantic Council, wo sie jeweils rund eine Stunde sprach, kam alles, nur nicht Feminismus in der Außenpolitik vor. Einmal mehr ist es das Wort, das nicht genannt werden soll.
Vielleicht ist die Klimakrise tatsächlich im Augenblick das wichtigste Anliegen unserer Zeit, drängender als andere Politikfelder. Dann wäre es falsch, andere Prioritäten zu setzen. Aber es ist auch falsch, von der grünen Kanzlerkanzlerkandidatin eine feministische Politik zu erwarten. Sie hat sich im Patriarchat recht gut eingerichtet.
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