Scheitern der Ampelkoalition: Ampel aus die Maus
Die Bundesregierung ist Geschichte. An einem Tag, an dem sich die Ereignisse überschlagen, kündigt Scholz Neuwahlen im März an und feuert den Finanzminister.
N ach und nach treffen die Parteivorsitzenden und Minister*innen am Mittwoch zu später Stunde im Bundestag ein und verschwinden umringt von Abgeordneten in ihren Fraktionssälen. Überall ähnliche Szenen: Die SPD begrüßt Bundeskanzler Olaf Scholz unter lautem Jubel und minutenlangem Klatschen.
Wenige Meter weiter nehmen die Grünen hinter einer Glastüre Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck unter Applaus in Empfang. Und auf der gegenüberliegenden Seite gibt es Standing Ovations im Fraktionssaal der FDP für Christian Lindner.
Der Applaus muss einer Selbstvergewisserung gleichkommen, in einer Situation, in der viele die Tragweite dessen, was hier passiert, noch nicht begriffen haben: Die Bundesregierung ist Geschichte. Eine Stunde zuvor, um 21.15 Uhr, hat Bundeskanzler Olaf Scholz seinem Finanzminister Egoismus und wiederholten Vertrauensmissbrauch vorgeworfen – und ihn entlassen. Scholz kündigt an, im Januar die Vertrauensfrage zu stellen, im März soll der Bundestag neu gewählt werden.
Eine wortgewaltige Rede vom Bundeskanzler
Das alles stellt Scholz in einer für seine Verhältnisse wortgewaltigen Rede dar. Was hat den Kanzler zu dieser Kurzschlussreaktion getrieben? Der Koalitionsausschuss tagte seit 18.00 Uhr im Kanzleramt. Es ging um den Haushalt, zumindest sahen das SPD und Grüne so. Die FDP hingegen wollte eine Wirtschaftswende, eine Abkehr von der bisherigen Politik der Ampel. Um 20.08 Uhr schlug Linder vor, gemeinsam den Weg für Neuwahlen freizumachen. Scholz unterbrach die Sitzung, erbat Bedenkzeit und las eine Minute später bei der Bild von dem Neuwahlvorschlag.
Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion
Diese Indiskretion war es, die laut SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich den Ausschlag gab. Die SPD-Fraktion trifft sich um 22:30 Uhr. Mützenich tritt nach nur 30 Minuten vor die wartenden Medienverter*innen. Lindner habe dem Kanzler das Vertrauen nicht aussprechen wollen, erläutert Mützenich. Erst habe dieser sein parteipolitisch gefärbtes Wirtschaftswende-Papier veröffentlicht, nun auch Neuwahlen gefordert. „Ein schwerwiegender Vertrauensbruch und eine grobe Indiskretion. In diesem Moment hat der Bundeskanzler keine andere Wahl gehabt, als den Finanzminister aus der Bundesregierung zu entlassen“, sagt der Fraktionschef.
Scholz hatte den Finanzminister dem Vernehmen nach davon überzeugen wollen, die Schuldenbremse auszusetzen, um nach der Wahl Donald Trumps in den USA höhere Hilfen für die Ukraine zu finanzieren, ohne an anderer Stelle im Haushalt kürzen zu müssen. Denn gleichzeitig wollte Scholz auch die Stromkosten senken, Arbeitsplätze in der Autoindustrie sichern und Prämien an Unternehmen auszahlen, die in Deutschland investieren. Kurz gesagt: Geld ausgeben.
Doch Lindner sperrte sich, verteidigte die Schuldenbremse und verlangte Kürzungen im Sozialen und bei Renter*innen. Für den zum lupenreinen Sozialdemokraten transformierten Scholz ein No-Go. „Ich bin nicht bereit, unsere Unterstützung für die Ukraine und Investitionen in unsere Verteidigung zulasten des sozialen Zusammenhalts zu finanzieren“, so Scholz in seiner Regierungserklärung, die halb schon eine Wahlkampfrede war.
60 Tage nach Vertrauensfrage müssen Wahlen stattfinden
Denn der Wahlkampf hat ab sofort offiziell begonnen. Wenn der Kanzler die Frage im Bundestag gestellt hat – und verliert –, kann der Bundespräsident innerhalb von 21 Tagen den Bundestag auflösen. Danach müssen binnen 60 Tagen Neuwahlen stattfinden. Das wäre im März.
Nach heutigem Stand würden alle drei Ampelparteien kräftige Verluste hinnehmen müssen. In der SPD-Fraktion, die sich ab 22.30 Uhr trifft, dominiert dennoch vor allem ein Gefühl: Erleichterung. „Wir haben keine Mehrheit, aber Klarheit“, meint etwa Verteidigungspolitiker Andreas Schwarz. Sie habe eine gewisse Gelöstheit gespürt, sagt Umweltpolitikerin Nina Scheer. „So vorgeführt zu werden vom Finanzminister, das ging einfach nicht mehr.“ Die Basis sei happy, meint sie und scrollt durch Textnachrichten auf ihrem Handy. „Starke Rede“, „Guter Auftritt, Olaf“.
Nur Urgestein Axel Schäfer ist etwas besorgt, dass seine Partei wegen des schlechten Images der Ampel nicht mit ihren Themen durchdringt. Schäfer saß schon im Bundestag, als Gerhard Schröder im Jahr 2005 die Vertrauensfrage stellte, die zum Ende der rot-grünen Koalition führte. Als eines von zwei Fraktionsmitgliedern meldete er sich in der Sitzung zu Wort und wollte wissen, wie es nun weiterginge.
Frei gewordene Posten werden neu verteilt
Die Formalien stehen zumindest. Am Donnerstagvormittag hat Scholz einen Termin beim Bundespräsidenten. Der wird dann Lindner und die anderen FDP-Minister wahrscheinlich am Nachmittag entlassen. Die vier frei gewordenen Ministerposten wollen sich SPD und Grüne teilen. Die Namen der möglichen neuen Minister sind noch nicht bekannt, aber werden wahrscheinlich im Laufe des Donnerstags feststehen. Für den Posten des Finanzminister fiel der Name des von Lindner entlassenen Staatssekretärs Werner Gatzer. „Der kennt sich wenigstens aus“, sagt ein Genosse.
Als die Fraktionssitzung der Grünen beginnt, steht Anton Hofreiter noch vor dem Saal und gibt ein Statement ab. Von Olaf Scholz, das wurde in den drei Regierungsjahren überdeutlich, hält er überhaupt nichts. Doch jetzt lobt er ihn tatsächlich: „Das ist bisher eine seiner besten Reden gewesen“, sagt der ehemalige Fraktionsvorsitzende. Entschiedenheit hätte er sich vom Kanzler nur früher schon mal gewünscht, fügt er hinzu.
Dass Scholz einen außergewöhnlich guten Auftritt hingelegt hat, ist unter Grünen an diesem Abend Konsens. Die Rede muss vorbereitet gewesen sein, heißt es immer wieder – ein bisschen anerkennend, ein bisschen vorwurfsvoll, ein bisschen neidisch.
Für die Grünen treten nach Scholz’ Erklärung Robert Habeck und Annalena Baerbock in der Einfahrt zum Kanzleramt vor die Presse. Es ist ein passabler Auftritt, aber keiner, der hängen bleibt. Es ging viel um die US-Wahlen und um die Ukraine. Dann bemühte sich Habeck, Optimismus zu verbreiten. Vor der Zukunft müsse man keine Angst haben – wenn man sie denn gestaltet. „Wir können das gemeinsam tun“, sagte der mutmaßliche Kanzlerkandidat der Grünen dann noch. Ein Hauch von „Yes, we can“, wenn auch nur ein leichter.
Dabei dürften auch die Grünen nicht vollkommen überrascht vom Ampel-Aus gewesen sein. Der Ärger über Lindner und die FDP ist seit langem groß, hatte zuletzt zugenommen. Am Morgen warf Fraktionsgeschäftsführerin Irene Mihalic dem Finanzminister in einem Pressegespräch vor, er beherrsche die Grundrechenarten nicht – anders sei die Lücke im Haushalt nicht zu erklären. Der Glaube daran, dass die Ampel bis zum Ende durchhält, war merklich gesunken.
Neuwahlen am schwierigsten für die Grünen
Jetzt gibt es also tatsächlich wahrscheinlich Neuwahlen – und von allen drei Koalitionspartnern stellt das die Grünen vielleicht vor die größten Herausforderungen. Man sei vorbereitet, heißt es einerseits. Andererseits sind nach dem angekündigten Rücktritt des bisherigen Vorstands noch nicht mal die neuen Parteivorsitzenden im Amt.
Dazu kommt, was nun auch den anderen Parteien blüht: Aufstellungsversammlungen für die Landeslisten und Wahlkreise vorziehen. Wahlkampfhelfer*innen motivieren. Und: Den Parteitag vorziehen, der das Wahlprogramm beschließen soll. Das war bei den Grünen eigentlich erst fürs Frühjahr vorgesehen.
Jetzt muss es schon im Januar so weit sein – und bis dahin müssen die Grünen noch ein paar inhaltliche Fragen klären, etwa in der Migrationspolitik oder in puncto soziale Gerechtigkeit. Immerhin: Dass es jetzt schnell gehen muss, könnte zusammenschweißen. Vom Flügelstreit, der zuletzt wieder stärker hochkochte, ist am Mittwochabend weniger zu spüren als in den vergangenen Wochen.
Christian Lindner, Bundesvorsitzender FDP
Als Lindner wenige Minuten nach dem Statement von Scholz im Bundestag vor die Kameras tritt, wirkt er angefasst. Für seine kurze Rede hat er entgegen seiner sonstigen Art einen Notizzettel vorbereitet. Dem Bundeskanzler wirft Linder vor, dieser habe einen „kalkulierten Bruch der Koalition“ herbeigeführt. „Sein genau vorbereitetes Statement von heute Abend belegt, dass es Olaf Scholz längst nicht mehr um eine für alle tragfähige Einigung ging“, sagt Lindner.
„Entscheidung für Schuldenbremse einstimmig unterstützt“
Letztendlich war es die Dauerbaustelle in der Koalition, die ihr Ende besiegelte: Die Frage nach der Aufnahme neuer Kredite für Investitionen. „Der Bundeskanzler hat seit heute Mittag ultimativ von mir verlangt, die Schuldenbremse des Grundgesetzes auszusetzen“, so Lindner. Dem habe er nicht zustimmen können, weil dies seinen „Amtseid verletzt“ hätte.
Der Fraktionschef der Liberalen, Christian Dürr, sagt, die Abgeordneten hätten sich in ihrer gemeinsamen Sitzung geschlossen hinter Lindner gestellt. „Die Entscheidung des Parteivositzenden, für die Schuldenbremse einzustehen, wurde einstimmig unterstützt.“ Kurz darauf verkündet Dürr, dass auch die anderen drei Minister der FDP ihren Rücktritt einreichen wollen.
Aus der zerstrittenen Regierung ist der Weg zum Einzelkämpfermodus nicht weit. In der FDP ist man bereit, schon am Donnerstag in die Oppositionsrolle zu wechseln, wenn Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in den Haushaltsausschuss geladen wird. Man wolle sich das nicht entgehen lassen, sagt ein Abgeordneter vor dem Fraktionssaal der Liberalen.
Wenn es nach der SPD geht, dann regiert sie mit den Grünen als Minderheitsregierung noch bis Ende des Jahres weiter und holt für die eine oder andere Abstimmung andere Parteien mit ins Boot. Mützenich denkt dabei etwa die Mietpreisbremse, die man nun endlich auf den Weg bringen könne.
Scholz will zeitnah auf Unionschef Friedrich Merz zugehen und den Oppositionführer davon überzeugen, gemeinsam die Hilfen für die Ukraine aufzustocken. Ob das Chancen hat? Er sei sehr sicher, dass die Union in Einzelfragen mit der SPD zusammenarbeiten werde, etwa im Sicherheitsbereich, gibt zumindest der Abgeordnete Thomas Heilmann zu Protokoll, der sich, warum auch immer, noch um Mitternacht im Bundestag aufhält. Mal sehen, wie Merz das sieht. Die Union trifft sich um 8.00 Uhr zur Sitzung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Schuldenbremsen-Dogma bröckelt
Auch Merz braucht Geld
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“