AfD-Erfolge in Thüringen und Sachsen: Wo bleibt der Aufschrei?

Der Erfolg der AfD ist eine Zäsur für den deutschen Rechtsextremismus. Die Politik hat ihrem Aufstieg viel zu lange zugeschaut.

Kann den Thüringer Wahlsonntag als Erfolg verbuchen: AfD-Anführer Björn Höcke Foto: Michael Kappeler/dpa

Man braucht nur die Stimmen derjenigen hören, die wissen, was jetzt auf sie zukommt – und nicht nur auf sie. Mit diesem Wahlergebnis vom Sonntag drohe „eine Abkehr von der bisherigen politischen Kultur der Bundesrepublik“, warnte Charlotte Knobloch, die frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden, angesichts der AfD-Erfolge in Thüringen und Sachsen. „Wie hierzulande die Zukunft aussieht, ist ab heute wieder eine große und schwierige Frage.“ Der sächsische Flüchtlingsrat fürchtet „im Alltag noch mehr Diskriminierung und Übergriffe auf Geflüchtete“. Matthias Gothe vom Thüringer Queerweg sieht queere Strukturen „existenziell bedroht“.

Und tatsächlich gibt es an der Zäsur, die die Landtagswahlen am Sonntag bedeuten, gibt es an der Gefahr, die sich damit Bahn gebrochen hat, nichts zu relativeren. Und es gibt dafür noch viel zu wenig Erschütterung und Widerstand.

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wird eine rechtsextreme Partei stärkste Kraft in einem Bundesland, die AfD in Thüringen. In Sachsen verfehlt die Partei dies nur knapp. Erstmals hält eine solche Partei eine Sperrminorität in Thüringen. Es gab die Republikaner in Landtagen in den Neunziger Jahren, es gab die DVU und NPD – aber keiner dieser Parteien gelang ein solcher Erfolg, keiner ein so kontinuierlicher Aufstieg, keiner eine solche Wirkmacht.

Jeweils mehr als 30 Prozent der Wählenden gaben der AfD ihre Stimme in beiden Ländern, knapp 400.000 Menschen waren es in Thüringen, 720.000 waren es in Sachsen. Einer Partei, die in Thüringen mit Björn Höcke von einem Mann angeführt wird, der schon vor 14 Jahren an einem Neonazi-Aufmarsch in Dresden teilnahm und seitdem rechtsextreme Netzwerke knüpft. Der schon seit Jahren ein „groß angelegtes Remigrationsprojekt“ forderte, umgesetzt mit „wohltemperierter Grausamkeit“. Der auch zuletzt erklärte, er akzeptiere „die Multikulturalisierung Deutschlands nicht“ und wolle sie „rückabwickeln“.

Einer Partei, deren Vertreter auch in Sachsen mit den stumpfen Hetzern von Pegida auf einer Bühne stehen, wo auch AfD-Landeschef Jörg Urban über eine migrantische „Messerkultur“ oder „Globalisten“ ätzt und erklärt, der „Islam gehört nicht hierher“. Eine Partei, die genau deshalb in beiden Ländern vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde – woran Ex­per­t*in­nen schon zuvor keinen Zweifel hatten.

Erfolg ausgerechnet im Geburtsland des NSU

Diese Partei also bekommt nun mehr als 30 Prozent der Stimmen. All dies auch noch in Thüringen, wo sich einst der rechtsterroristische NSU radikalisierte, und in Sachsen, wo dieser Unterschlupf fand – und dann zu zehn Morden ausrückte. Alles vergessen, oder schlimmer noch: alles egal. Denn für die Wäh­le­r:in­nen ist es schon lange kein Geheimnis mehr, für was diese AfD und für was Höcke steht – sie wollen genau diese Politik.

In einer Umfrage nach der Thüringenwahl erklärten 58 Prozent der Befragten, sie fänden es gut, dass die AfD „den Zuzug von Ausländern und Flüchtlingen stärker begrenzen will“. 75 Prozent fanden, der Einfluss des Islam in Deutschland werde „zu stark“. Für 68 Prozent kommen „zu viele Fremde“ ins Land. Und 50 Prozent erklärten, „wir leben gar nicht in einer richtigen Demokratie“. Es ist genau das, was die AfD vertritt.

Nicht von ungefähr jubelte noch am Sonntag der Identitären-Vordenker und „Remigrations“-Prediger Martin Sellner, das AfD-Ergebnis sei „ein Grund zu feiern“. Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer sprach von einem „Wahlbeben“. Sie tun dies nicht unbegründet. Denn selbst wenn das Getöne von Höcke, er wolle nun Ministerpräsident werden, in diesem Punkt folgenlos bleiben wird, wird es die AfD-Politik in den Landtagen von Thüringen und Sachsen nicht sein. Mit der Sperrminorität kann die Partei in Thüringen zur Dauerblockiererin werden, Untersuchungsausschüsse einberufen, Verfassungsänderungen oder Richterwahlen verhindern. Sie kann und wird die anderen Parteien vor sich hertreiben – und die Demokratie weiter von innen sabotieren und aushöhlen.

Steter Machtausbau im Kommunalen

Und die AfD hat Zeit. Je größer der Spagat der Demokraten wird, um eine Regierung zu bilden, umso mehr kann sie mit ihrer Parole der „Einheitspartei“ hausieren gehen, zu der die „Altparteien“ verschmelzten. Vor allem aber wird die AfD im Kommunalen ihren Einfluss weiter ausbauen: Schon jetzt hält die AfD in vielen sächsischen und Thüringer Gemeinden die stärkste Fraktion, bestimmt nun über Jugend- oder Kulturprojekte mit, wird von anderen Parteien in Ämter gewählt. Die Brandmauer, sie ist hier vielerorts längst gefallen. Und just am Sonntag gewann die Partei ihren nächsten Bürgermeisterposten, den ersten in Sachsen, in Großschirma.

Und die AfD wird auch ihr rechtsextremes Vorfeld weiter ausbauen, wird nun wieder neue Mitarbeitende anstellen können, die ihre Agitation noch weiter verbreiten, wird auch Rechtsextreme jenseits der Partei weiter fördern. Nicht ohne propagandistisches Kalkül sperrte Höcke die Presse am Wahlabend von der Thüringer AfD-Wahlfeier aus – und bedankte sich zugleich euphorisch beim rechtsextremen Netzwerk „Ein Prozent“, das die Partei mit Propagandavideos pusht. Schon zuletzt trumpfte in Sachsen und Thüringen eine selbstbewusste, teils sehr junge rechtsextreme Szene auf, von der Elblandrevolte bis zu den Freien Sachsen – auch beflügelt vom Boden, denen ihnen die AfD bereitete.

All das hat Folgen, schon heute. Es sind das auch durch die AfD verhetzte Debattenklima und deren Feindmarkierungen, die zu Gewalt führen. Angriffe auf Geflüchtete stiegen zuletzt wieder an, vorne lagen: Sachsen und Thüringen. CSDs erlebten rechtsextreme Gegenproteste, demokratische Wahlkämpfende wurden bedroht und verprügelt. All das dürfte sich nun weiter zuspitzen. Es genügt ein Blick nach Sonneberg in Thüringen, wo seit einem Jahr ein AfD-Landrat im Amt ist und laut der Opferberatungsstelle ezra seitdem 20 rechte Angriffe gezählt wurden, fünfmal mehr als im Vorjahr. Wo Täter erkennen, dass ihre Gewalt gewollt ist, führten sie diese auch schneller aus.

Zivilgesellschaft ist entscheidend

Es ist dieses Klima, das Menschen wie Charlotte Knobloch, Matthias Gothe oder dem Flüchtlingsrat Angst macht. Und es sind diese Gefahren, zu denen der Aufschrei noch viel zu leise ausfällt.

Wo ist das Zusammentun der Demokraten? Wo der Kabinettsausschuss der Bundesregierung gegen Rechtsextremismus? Wo sind die schnellen Anklagen nach den Angriffen auf die Wahlkämpfenden? Wo sind die vollstreckten Haftbefehle gegen gesuchte Neonazis? Wo ist das Demokratiefördergesetz? Wo ist die ernsthafte Debatte über ein AfD-Verbot?

Gewiss, entscheidend wird es nun auf die demokratische Zivilgesellschaft vor Ort ankommen. Eine Zivilgesellschaft, die sich auch in Sachsen und Thüringen weiter überall findet. Eine, die im Frühjahr noch auch dort gegen Rechtsextremismus auf der Straße stand. Und dann von den Regierungen im Bund wie in den Ländern allein gelassen wurde. Die Politik reagierte mit Nichtstun – was sich nun rächt. Wenn dort aber jetzt kein Handeln einsetzt, wenn nicht die Engagierten in Thüringen und Sachsen unterstützt werden, nicht die Demokratie gestärkt, wann dann überhaupt noch?

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Seit 2010 bei der taz, erst im Berlin Ressort, ab 2014 Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" im taz-Inlandsressort. Von 2022 bis 2024 stellvertretender Ressortleiter Inland. Studium der Publizistik und Soziologie. Mitautor der Bücher "Staatsgewalt" (2023), "Fehlender Mindestabstand" (2021), "Extreme Sicherheit" (2019) und „Bürgerland Brandenburg" (2009).

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