Sexualstraftäter bei Olympia: Show oder Schande?

Der Beachvolleyballer Steven van de Velde nimmt für die Niederlande an Olympia in Paris teil. Er ist verurteilter Sexualstraftäter.

Steven van de Velde mit Spielpartner beim Selfiemachen

Dauerhaft im Selfie-Modus: Steven van de Velde (r.) mit Spielpartner 2023 in Mexiko Foto: Imago/Pablo Morano

Auf die Fußball-EM folgt das nächste Großevent: Bald schon werden die ersten Sportler_innen bei Olympia das Siegertreppchen besteigen, von der Nationalhymne untermalt mit Medaillen geschmückt und als Held_innen gefeiert. Einer von ihnen könnte Steven van de Velde sein: ein niederländischer Beachvolleyballer.

Als seine Teilnahme bekannt wurde, war der Aufschrei groß. Denn van de Velde ist nicht nur Spitzensportler, er ist auch ein verurteilter Sexualstraftäter. In einer Onlinepetition fordern deswegen Zehntausende seine Disqualifizierung. Die Begründung: Es sei nicht in Ordnung, dass ein Vergewaltiger an so einem prestigeträchtigen Event teilnehme, während ein unschuldiges Kind ein Leben lang mit einem schweren Trauma leben müsse. Auch die internationale Berichterstattung war voller Empörung, so ein Mann könne schließlich kein Vorbild sein. 



Was van de Velde getan hat, ist außer Frage ein schweres Verbrechen. Als 19-Jähriger reiste er von den Niederlanden nach England, um dort einer Zwölfjährigen Alkohol zu geben und sie daraufhin drei Mal zu vergewaltigen. 2016 wurde er deswegen zu einer Haftstrafe verurteilt, nach 13 Monaten kam er frei. In einem Interview sagte er damals: „Ich kann das Geschehene nicht rückgängig machen und muss die Konsequenzen dafür tragen. Es war der größte Fehler meines Lebens.“

Rechtlich gesehen darf Steven van de Velde nun ein Leben führen wie jeder andere Mensch auch. Er darf eine Familie haben, einen Job ausüben, sich feiern lassen. Doch nur weil etwas rechtlich in Ordnung ist, muss es nicht moralisch richtig sein. Schließlich ist unser gesellschaftlicher Umgang mit sexualisierter Gewalt viel zu lax. Wir haben diese Form des Machtmissbrauchs als Teil unseres Alltags akzeptiert. Trotz schwerer Vorwürfe werden Prominente zu Präsidenten gewählt, auf Bühnen gefeiert und mit Preisen gekürt. Während die Betroffenen als Lügnerinnen stigmatisiert werden und allein mit ihrem Schmerz zurechtkommen müssen.

Komisches Bauchgefühl

Dass sich also ein komisches Bauchgefühl einstellt, wenn ein verurteilter Sexualstraftäter bei Olympia zum sportlichen Wettkampf antreten möchte, ist nur verständlich. Doch die Situation bei van den Velde ist eine andere. Auf den Protest gegen seine Teilnahme antwortete das Olympische Komitee der Niederlande, dass van de Velde nach seiner Freilassung sich einer professionellen Beratung unterzogen habe und Expert_innen seine Rückfallquote auf 0 Prozent schätzen. Er habe seine Schuld eingesehen und die Konsequenzen tragen müssen. Wie also gesellschaftlich mit ihm umgehen?

Sollte er bis zu seinem Lebensende im Gefängnis sitzen? Sollte er nie wieder seinen Beruf ausüben dürfen? Sollte er keinen Erfolg haben dürfen? Sollte er nie wieder glücklich sein? Wohl kaum. Jeder Mensch, der seine Schuld eingesteht und keine Gefahr für andere ist, hat eine zweite Chance verdient.

Van de Velde sollte die Möglichkeit gegeben werden, seinen Worten Taten Folgen zu lassen, um den schwersten Fehler seines Lebens wieder gutzu­machen. Nichts kann die Tat ungeschehen machen, nichts die Last von dem Opfer nehmen. Doch van de Velde könnte die Aufmerksamkeit bei Olympia nutzen, um sie auf Opferrechtsvereine oder andere Hilfsangebote für Betroffene zu lenken. So könnte er dann vielleicht auch eine Art Vorbild für andere sein.

Statistisch gesehen werden bei Olympia einige Gewalttäter das Siegertreppchen betreten. Verurteilt ist nur einer von ihnen – alle anderen gucken weg, streiten ab, tun, als sei nichts gewesen. Im Profi-Sport herrschen bis heute Strukturen, die Missbrauch und Gewalt begünstigen. Wichtig wäre es, die Wut gegen all diejenigen zu richten, die schweigen und diese Strukturen täglich fortschreiben, statt gegen einen, der versuchen möchte, etwas besser zu machen.

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Ressortleiterin bei taz zwei - dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Schreibt hauptsächlich über intersektionalen Feminismus, (digitale) Gewalt gegen Frauen und Popphänomene. Studium der Literatur- und Kulturwisseschaften in Dresden und Berlin. Seit 2017 bei der taz.

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