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Besuch von Milei in DeutschlandKettensägenmann trifft Kanzler

Am Sonntag besucht der argentinische Präsident Javier Milei Berlin. Obwohl die militärischen Ehren gestrichen sind, hadern Grüne mit dem Staatsgast.

Der argentinische Präsident Milei am nationalen Flaggentag am 20. Juni in Rosario Foto: Farid Dumat Kelzi/ap

Berlin taz | Wäre das politische Leben in Berlin eine Soap-Opera, dann könnte die aktuelle Folge heißen: Böse Buben im Kanzleramt. Am Freitag, um 16:30 Uhr empfängt der Bundeskanzler den ungarischen Staatschef Victor Orban. Am Sonntag hat sich gleich der nächste schwierige Gast angekündigt: Argentiniens rechts-libertärer Präsident Javier Milei.

Der eine hat Ungarn erfolgreich gleichgeschaltet und den Rechtsstaat unterminiert, verbreitet Verschwörungserzählungen und mäkelt schon im Vorfeld am Gastgeber herum: Wo früher Fleiß und Ordnung geherrscht hätten, präsentiere sich heute „eine bunte, veränderte multikulturelle Welt“, in der Migranten „nicht länger Gäste“ seien. Reizende Worte. Im Juli übernimmt Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft.

Der andere setzt in Argentinien gerade seinen Kettensägen-Wahlkampf in die Praxis um, kürzt radikal im Sozialen, privatisiert Staatsbetriebe und entlässt zehntausende Staatsbedienstete.

Politisch verbindet den deutschen Regierungschef und Sozialdemokraten Olaf Scholz mit beiden Kollegen also herzlich wenig. Das Zeremoniell um die Besuche herum wurde deshalb auch auf ein Minimum reduziert. Weder Orban noch Milei werden mit militärischen Ehren empfangen, auch Pressekonferenzen wurden wieder abgesagt.

Kritik am geplanten Freihandelsabkommen

Wobei sich das Kanzleramt bei letzterem Punkt auch nach den Präferenzen der Gäste richtete. Am Mittwoch erklärte die stellvertretende Regierungssprecherin jedenfalls in der Bundespressekonferenz: „Grundsätzlich finden wir es gut, wenn Pressebegegnungen stattfinden können, aber es lässt sich eben nicht immer so realisieren.“

Laut des Portals Politico soll der Wunsch, den Besuch auf eine Stunde zu begrenzen, aus Buenos Aires gekommen sein. Ohnehin hat Milei sein Treffen mit dem Kanzler nur als Zwischenstopp geplant und den gesamten Besuch rund um die Verleihung der Hayek-Medaille an ihn geplant. Bei der erzkonservativen Gesellschaft hält Milei am Samstag eine Rede. Ob er da auch ein paar Worte zur Gattin des Kanzlers findet?

In Spanien hatte Milei bei einer Wahlkampfveranstaltung der rechtsextremen Vox-Partei, die Ehefrau von Ministerpräsident Pedro Sanchez als korrupt beschimpft. Seitdem gilt das Verhältnis zwischen Spanien und Argentinien als gestört.

Ein gemeinsames Thema wird es bei dem zum Arbeitsbesuch heruntergestuften Antrittsbesuch des Argentiniers in Berlin aber doch geben: Das Freihandelsabkommen Mercosur, das beide Seiten wollen.

In den Reihen der Grünen sieht man das kritisch. „Die rechtsextreme Milei-Regierung ist kein stabiler Wertepartner für die deutsche Wirtschaft“, so der Grüne Bundestagsabgeordnete Max Lucks zur taz. Lucks, Grüner Obmann im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, fragt sich: „Wie wir mit einem Präsidenten, der den menschengemachten Klimawandel leugnet und sämtliche Menschenrechte innenpolitisch abschaffen möchte, verbindliche Standards in ein Mercosur-Abkommen verhandeln wollen, ist mir ein Rätsel.“ Er erwarte vom Kanzler, „dass er erkennt, wo deutsche Wirtschaftsinteressen auch durch den Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gefährdet werden“ und „im bilateralen Dialog ein klares Bekenntnis zu unserer wertebasierten internationalen Zusammenarbeit.“

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26 Kommentare

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  • Ich kann mir nicht helfen, aber:



    Irgendwie mag ich diesen Milei…ja, die feinsten Umgangsformen scheint er wohl nicht zu haben, aber „weniger Staat/staatliche Einmischung“ ist einfach ein zu interessanter neuer Ansatz, würde ich mir hier in Deutschland statt der überbordenden Bürokratie und nannyhafter Einmischung in die privatesten Lebensumstände auch wünschen.

  • Tatsächlich sind weder Migranten noch geflüchtete Menschen "Gäste", so gerne Völkerrechts-Verdreher wie Orban und Wagenknecht das auch so sehen und kommunizieren mögen. Sowohl Migranten, wie auch Geflüchtete haben Rechte, die sich aus der Ratifizierung internationaler Verträge ergeben und diese Rechte sind zu würdigen. Wir über das Gastrecht hinaus.

  • de.wikipedia.org/w...e_Schock-Strategie



    Nach dieser Lektüre war ich geschockt. Der "Typ" hat genau nach diesem "script" gearbeitet und ganze Arbeit geleistet. Ich kann gar nicht soviel essen wie ich .......!

  • Dann wird Herr Scholz von ihm lernen, dass man auch mal seinen Mund aufmachen kann und Probleme auch mal anpacken kann

  • Milei ist ein Diktator, wird aber von der Bundesregierung nicht so bezeichnet. Er ist ein Geistesbruder von Pinochet. Sein Anarchokapitalismus mit den ewigen Privatisierungsorgien und die polizeistaatlichen Methoden der Aufstandsuntderdrückung sind bestens bekannt, nicht nur in Lateinamerika.

    Die Menschheit dreht sich im Kreis und kommt nicht wirklich vorwärts. Linke lösen Rechte ab, Rechte lösen Linke ab, usw. Rechte Staaten werden protegiert, Linke Staaten sanktioniert und isoliert.

    Und dann heißt es: "Seht ihr? Links funktioniert nicht!"

    Was funktionieren würde, wäre eine linke, soziale, nicht sanktionierte, demokratische und wissenschaftlich gut beratene Gesellschaft, die sich international, über die Landesgrenzen hinaus aufstellt.

    Dagegen stemmen sich die neoliberalen Kräfte mit aller Gewalt, notfalls mit nacktem Terror. Nicht nur Milei steht dafür, sondern auch sein Verbündeten in Deutschland, USA, Frankreich, usw.

    • @Uns Uwe:

      Milei ist in verhältnismäßig freien und fairen Wählen zum Präsidenten geworden. Das ändert nichts daran, dass seine Politik sich an der Grenze zum Irrsinn bewegt - ihn aber "Diktator" zu schimpfen, ist dumm.

    • @Uns Uwe:

      „Was funktionieren würde, wäre eine linke, soziale, nicht sanktionierte, demokratische und wissenschaftlich gut beratene Gesellschaft, die sich international, über die Landesgrenzen hinaus aufstellt.“

      Könnten Sie Beispiele nennen? Mir fällt kein Staat ein, in dem das funktioniert hat, nachdem die anfängliche Euphorie verflogen war.

      Wie es danach weitergeht, hängt davon ab, ob es sich um eine Demokratie handelt: Dann nämlich haben die Wähler bei der nächsten Wahl die Möglichkeit, die Regierung aufgrund ungenügender Leistungen abzuwählen. Beispiel Brasilien, wo Bolsonaro gehen musste. Ob die Wähler mit seinem Nachfolger da Silva zufriedener sind, wird sich bei der nächsten Wahl zeigen.

      Nicht so in einer Diktatur: Da gelingt es dem Diktator mit Tricks und Gewalt an der Macht zu bleiben, auch wenn das Volk ihn eigentlich nicht mehr will. Beispiele dafür gibt es genug!

  • Der Neoliberalismus ist nach dem Faschismus die zweitschlimmste Herrschaftsform des Kapitals. In Deutschland wird Javier Milei leider nicht auf taube Ohren stoßen. Im Gegenteil.

    • @Rolf B.:

      Die FAZ hat sich vor ein paar Monaten sogar darüber beschwert, dass deutsche Politiker nicht bei Milei Schlange stehen. So würden Chancen für die deutsche Wirtschaft verschenkt. Das Kapital findet Milei Klasse. Unter ihm kann man so richtig Kasse machen.

    • @Rolf B.:

      Mit neoliberal und Faschismus hat "Anarchokapitalismus" nichts zu tun. Mit gutem Anarchismus wie dem der spanischen Freiheitskämpfer 1935 hat Anarchokapitalismus nichts zu tun, eher mit totaler Spekulation und totaler sozialer Ungleichheit. Anarchokapitalismus ist eine von vornherein verbrecherisch angelegte Ideologie. Anarchokapitalismus ist in etwa der von Marx als Endstadium des Kapitalismus prognostizierte Monsterkapitalismus, der nach Marx leider abwegiger Theorie antithetisch automatisch im endgültigen Sieg der kommunistischen Weltrevolution enden muss.

      Was die laienhafte Darbietung des Milei'schen Anarchokapitalismus tatsächlich bedeutet, ist mehr Chaos in der Welt und unbeschreibliche Not der ArgentinierInnen, die sich ihren Schlächter selber gewählt haben.

      • @Uwe Kulick:

        Wer wissen will, wie real existierender Ancap aussieht, braucht sich nur einen Western anzusehen.



        Millionen Menschen zog es aus aller Welt in den "Wilden Westen", der in Wahrheit gar nicht so wild war, dafür brachte er einen Wohlstand, der den europäische Etatismus vor Neid erblassen ließ.

  • Die Bundesregierung hätte diesen Hater Milei schlicht gar nicht ins Land kommen lassen dürfen. Der ist schlimmer als Orbán und Trump zusammen. Außerdem ist die „Auszeichnung „ mit der Hayek-Medaille ein weiterer Grund, diesen Typen nicht zu empfangen.

    • @denkmalmeckermalmensch:

      Stimmt. Während der Finanzkrise galt die "Bilderberg"-Konferenz als böser Geheimzirkel der Welt, ich stellte aber damals schon fest, dass die von-Hayek-Gesellschaft ein vermutlich wirksameres und bedeutend viel bedrohlicher wirkendes Netzwerk ist, vor dem man stattdessen hätte warnen sollen.

  • [Max Lucks]

    "dass er erkennt, wo deutsche Wirtschaftsinteressen auch durch den Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gefährdet werden"

    OK.

    Aber auch nur, wenn es die deutschen Wirtschaftsinteressen tangiert?

    So tief sind wir gesunken?

    • @tomás zerolo:

      Ja. So tief! Und wir sinken immer noch....

    • @tomás zerolo:

      Sehr guter Punkt!

  • Wenn "Kettensägenmann" impliziert, notwendige Sozialreformen anzugehen (Stichwort Bürgergeld), die Eindämmung illegaler Migration sicherzustellen, Bildung und Leistung als Primat der Politik anzusehen, eine überfällige Verschlankung des Staates durch Abbau von Bürokratie und unproduktiver Strukuren anzugehen um damit die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes zu verbessern, her damit.

    • @Michas World:

      "...Bildung und Leistung als Primat der Politik anzusehen..."

      Da liegt ein Irrtum vor. Der Kettensägenmann hat pauschal und rigoros die Mittel für Bildung zusammengestrichen.

    • @Michas World:

      Ach ja, „notwendige Sozialreformen“ … wie wäre es mit: Ein weiteres Kapitel des Klassenkampfs von oben? Ansonsten ist Milei nicht mal vernünftig neoliberal - eher wie Bolsonaro: Kulturkampf, Hass und Bereicherung einer kleinen Clique. In Argentinien sieht es finster aus, da können bestimmte Medien den Witzbold noch so hochjazzen - es war glaube ich die ‚welt‘ (bewusste Kleinschreibung), welche nach Javis Wahlsieg doch glatt meinte, jetzt würden die linken Regierungen/Regime in Lateinamerika zittern. M-mh, so ein ökonomisches Desaster mit Ansage wird sicher überall nachgeahmt werden.

      • @Earl Offa:

        Der argentinische Staatsapparat ist in den vergangenen 30 Jahren um ein Vielfaches stärker gewachsen die Bevölkerung. Noch gar nicht mitgezählt sind da die unzähligen von den Regierungen gegründeten und finanzierten "NGOs", wo weitere zehntausende Apparatschiks sich die Taschen vollmachen. Es ist absolut richtig diesen korrupten Sumpf auszutrocknen.

    • @Michas World:

      Nein Kettensägenmann impliziert verarmung der Gesellschaft, weitreichendes Elend und wirtschaftlicher Niedergang.

  • Und nun warten wir mal in aller Ruhe ab, wie lange es dauert, bis Argentinien Betriebe verstaatlicht. Gabs ja damals unter Pinochet in Chile ebenfalls.